Der Bund.
Judenfeindliche Vorfälle haben während der Corona-Pandemie stark zugenommen. Nationalrätin Marianne Binder reichts: Sie fordert ein Verbot von Symbolen und Gesten aus dem Nationalsozialismus.
Hitlergrüsse an einer Corona-Gegendemo in Bern. Skeptiker mit angeheftetem gelbem Judenstern und dem Vermerk «ungeimpft» bei Anti-Corona-Kundgebungen in Bern, Zürich, Basel und Lachen SZ. Ein Flyer mit einem Hakenkreuz aus Spritzen und dem Spruch «Impfen macht frei» auf der Social-Media-Plattform Telegram.
«Unhaltbare Vergleiche mit dem Holocaust und antisemitische Verschwörungstheorien sind zu einem ständigen Begleiter der Corona-Proteste geworden», konstatiert Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes. Dies belegt auch der Ende September publizierte Bericht der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus: Demnach haben im Jahr 2020 antisemitische Vorfälle und Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie stark zugenommen.
Solche Provokationen bewegen sich in einem juristischen Graubereich. Zwar ist die öffentliche Verwendung und Verbreitung entsprechender Symbole aufgrund der seit 1995 bestehenden Antirassismusstrafnorm verboten. Ein Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2014 bestätigte dies, schuf aber darüber hinaus kaum Klarheit.
Wer seine Gesinnung mit einem Hitlergruss oder einem Nazisymbol öffentlich bekundet, macht sich laut dem Lausanner Verdikt nicht wegen Rassendiskriminierung strafbar. Nur wer mit einer Geste für den Nationalsozialismus wirbt, verstösst gegen das Gesetz. Das Bundesgericht sah dies als nicht gegeben, als eine Gruppe Neonazis auf dem Rütli die Hände in die Höhe streckte. Obwohl Spaziergänger in der Nähe gewesen seien, fehle es am «werbenden Verhalten», das laut Gesetzgeber für den Akt des Verbreitens nötig sei.
Eigenständige Strafnorm gefordert
In solchen Differenzierungen sieht die Aargauer Nationalrätin Marianne Binder (Die Mitte) Spitzfindigkeiten. Es sei an der Zeit, dem immer stärker grassierenden Antisemitismus endlich einen Riegel vorzuschieben. Sie verlangt mit einem parlamentarischen Vorstoss eine eigenständige gesetzliche Grundlage, um Symbole des Naziregimes zu verbieten.
Bestärkt fühlt sie sich durch die «enttäuschende» Antwort des Bundesrats auf ihr Ansinnen, solche antisemitischen Vorfälle besser zu beobachten und selbst zu erfassen. Man tue genug, wurde ihr von der Landesregierung erst kürzlich beschieden.
«Der Nationalsozialismus ist historisch als einzigartiges Verbrechen dokumentiert», hält Binder dagegen. Das zeige ja auch eine vom Parlament gewünschte Schweizer Holocaust-Gedenkstätte. Die Einzigartigkeit legitimiere eine eigene Gesetzgebung für antisemitische Vorkommnisse dieser Art, ist Binder überzeugt.
Schon Anfang des 21. Jahrhunderts wurde ein Verbot rassistischer Symbole diskutiert. Acht Jahre rangen Bundesrat und Parlament, ehe die Vorlage 2011 versenkt wurde. Warum soll es dieses Mal klappen?
Sie fokussiere mit ihrer Motion bewusst nur auf antisemitische Symbolik und Nazigesten und Kennzeichen und nicht allgemein auf alle rassistischen Symbole, betont Marianne Binder. Das mache die Abgrenzung einfacher, aber man werde wahrscheinlich einen genau definierten Deliktskatalog erstellen müssen, dann funktioniere eine solche neue Strafnorm und könne auch mehrheitsfähig sein.
Binder umreisst in ihrer Motion, was alles unter Strafe gestellt werden könnte: die Verwendung von Gesten, Parolen, Grussformen, Zeichen und Fahnen sowie von Gegenständen, die solche Kennzeichen darstellen oder enthalten, bis hin zu Schriften, Ton- oder Bildaufnahmen. Wenn diese für eine historische Aufarbeitung verwendet werden, müsste dies allerdings erlaubt sein. Ihrer Ansicht nach fällt die Verwendung von Nazisymbolen und Nazigesten auch nicht unter die Meinungsäusserungsfreiheit.
Als «Hygiene-Nazi» tituliert
Marianne Binder fordert, dass insbesondere auch der digitale Raum von der neuen Strafnorm erfasst wird. Was hier abgehe, sei zum Teil jenseits von Gut und Böse. Dass man sie wegen ihres Engagements fürs Impfen als «Hygiene-Nazi» tituliert habe, gehöre noch zum Harmloseren. Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus habe diese Woche zwar ein Pilotprojekt zur Meldung rassistischer Hassrede im Netz gestartet: «Das kann nur ein Anfang sein, es braucht eine neue Strafnorm, mit der auch Bussen ausgesprochen werden können.»
Kasten: In etlichen Ländern verboten
Deutschland toleriert im Gegensatz zur Schweiz keine Nazisymbole. Die Darstellung einer Swastika, wie das Hakenkreuz auch genannt wird, ist in Deutschland, Österreich und weiteren Staaten seit 1945 verboten. In Deutschland wird ein Verstoss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe geahndet. Auch nicht erlaubt sind abgewandelte Symbole, die dem Hakenkreuz zum Verwechseln ähnlich sehen. Deutschland versuchte 2007 vergeblich, ein EU-weites Hakenkreuzverbot durchzusetzen.(gr)