Blick: Politiker fordern neue Gesetze gegen Hitlergruss und Hakenkreuz
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Nach dem Bundesgerichtsurteil, das den öffentlichen Hitlergruss auf dem Rütli erlaubt, wollen Politiker handeln. Sie möchten Provokationen von unverbesserlichen Neonazis ein Ende bereiten. Die Schaffhauser SPNationalrätin Martina Munz fordert: «Explizite Symbole der Nazi-Kultur wie Hakenkreuze oder der Hitlergruss muss man verbieten.»
Das seien ja klar rassistische Symbole. Und es gebe eine gefährliche Tendenz, dass Rassismus immer salonfähiger werde, so die Schaffhauser Nationalrätin. Auch ihr Parteikollege Jean Christophe Schwaab (VD) fordert weitergehende Regeln: «Ich bin klar für ein Verbot von Nazi-Symbolen wie Hitlergruss oder Hakenkreuz.»
Deutlichere Grenzen für rechtsextreme Gesten finden auch bei den Bürgerlichen Zuspruch. So will der grünliberale Nationalrat Beat Flach (AG) den Hitlergruss auf dem Rütli nicht tolerieren. «Solche Symbole an einem so symbolträchtigen Ort will ich nicht zulassen», sagt Flach. Wie man das am besten verhindere, wisse er noch nicht. Aber Rassismus dürfe nicht salonfähig werden. Ein grosses Problem seien auch «die von Fremdenhass getränkten Kommentare auf Facebook und in Online-Foren».
Auslöser für die Diskussion ist das umstrittene Urteil des Bundesgerichts (BLICK berichtete). Es hat am Mittwoch das Urteil gegen einen Neonazi aufgehoben, der 2010 an einer unbewilligten Demonstration von Rechtsextremen auf dem Rütli den Hitlergruss gezeigt hatte. Das Verdikt der Richter: Der Mann habe seine Gesinnung gezeigt, aber nicht Propaganda für rassistisches Gedankengut gemacht. Und nur dies stelle die Antirassismus-Strafnorm unter Strafe.
Das Urteil sorgt weltweit für Schlagzeilen (siehe Spalte rechts). Gleichzeitig feierten Rechtsextreme das Urteil.
Die Forderungen der Politiker sind nicht der erste Anlauf für ein Symbolverbot. Es war eine Petition des Jugendparlaments, die 2003 zu einer Motion der Rechtskommission des Nationalrats zum Verbot von rassistischen Symbolen führte. 2005 stimmten beide Räte dem Vorstoss zu. Aber der damalige Justizminister Christoph Blocher sorgte dafür, dass das Vorhaben versandete.
Dem SVP-Übervater war schon die Antirassismus-Strafnorm selbst ein Dorn im Auge. Ausgerechnet in der Türkei kritisierte Blocher 2006 die Norm vor einem Publikum von Nationalisten. Zuvor hatte ein türkischer Politiker in der Schweiz den Völkermord an den Armeniern durch das Osmanische Reich geleugnet und war darum wegen Verstosses gegen die Antirassismus-Strafnorm angeklagt worden.
Der Gesamtbundesrat rüffelte Blocher. Der stufte dann das Verbot von Nazi-Symbolen auf der Prioritätenliste zurück, obwohl sich in der Vernehmlassung eine Mehrheit der Kantone und Verbände dafür ausgesprochen hatte. 2010 schlug der Bundesrat auf Antrag von Eveline Widmer-Schlumpf vor, das Gesetzesprojekt ganz zu beerdigen. Beide Räte folgten der Regierung.
Sieben Jahre parlamentarische Arbeit löste sich in Luft auf, die Gesetzeslücke, die letztlich zum Urteil vom Mittwoch führte, blieb bestehen.
SP-Nationalrat Schwaab will nun erneut in anderen Parteien Befürworter eines Verbots suchen und eine breite Allianz aufbauen.
SVP-Nationalrat Hans Fehr hingegen findet, man solle «Spinner Spinner sein lassen», solange sie keinen Schaden anrichteten: «Das Schweizer Volk hat genug Substanz im Kopf, um sich von solchen Gesten und Ideen zu distanzieren.»
«Explizite Symbole der Nazi-Kultur wie den Hitlergruss muss man verbieten.»
SP-Nationalrätin Martina Munz
«Solche Symbole an einem Ort wie wie dem Rütli will ich nicht zulassen.»
GLP-Nationalrat Beat Flach
Der Ursprung einer unheilvollen Geste
«Heil Hitler!» Der Bruch mit den alten Gruss-Gewohnheiten war deutlich: Begrüsste man sich in Deutschland einst mit «Grüss Gott» oder «Servus», befahlen die Nazis nach ihrer Machtergreifung 1933 den «Deutschen Gruss». Zwölf Jahre lang war diese heute grotesk anmutende Geste ein Loyalitätsbeweis für die Nazis. Wer den Hitlergruss nicht befolgte, machte sich verdächtig. Für NSDAP-Mitglieder war die Grussform bereits 1926 Pflicht. Hitler guckte sich den ausgestreckten Arm beim italienischen Faschistenführer Benito Mussolini ab, der sich wiederum auf den römischen Gruss (Saluto romano) berief. Ob sich die Römer tatsächlich so begrüssten, ist jedoch umstritten. Laut Historikern finden sich dafür keine Belege. Den Gruss erfunden hat wohl eher ein Nachgeborener: der französische Maler Jacques-Louis David mit seinem Gemälde «Der Schwur der Horatier» im Jahr 1784.
Die rechtsextreme Szene ist geschrumpft
Maximal 20 Personen. So klein ist der harte Kern Schweizer Neonazis und Rechtsextremer. In deren Dunstkreis bewegen sich etwa 800 Anhänger, sagt Samuel Althof (59) von der Fachstelle Extremismus- und Gewaltprävention: «Es sind immer die gleichen Leute.»
Die Szene überschneidet sich in verschiedenen Gruppierungen stark. Sie pendelt um die Pnos (Partei National Orientierter Schweizer) und die Avalon-Gemeinschaft, ein rechtsextremistischer Bildungszirkel. Dessen Anführer Adrian Segessenmann ist auch Pnos-Vizepräsident.
Auf tiefem Niveau dümpelt die Schweizer Neonaziszene vor sich hin. «Das heisst nicht, dass die Prävention gestoppt werden soll», sagt Althof. Die Situation könne sich schnell ändern.
Althof teilt die Einschätzung des Nachrichtendiensts des Bundes (NDB). Dieser schreibt im aktuellen Lagebericht «Sicherheit Schweiz»: In der Schweiz ist die gewaltbereite, rechtsextreme Szene über die letzten zehn Jahre geschrumpft. Sie trete kaum mehr öffentlich und organisiert auf, die Gewalttaten seien eher spontan und würden «häufig unter Alkoholeinfluss verübt», so der NDB. Er verzichtet seit 2012 sogar auf eine Fichierung von Neonazis und Holocaustleugnern.
«Für den Staat ist die Gefahr durch die rechtsextreme Szene gleich null», sagt Althof. Rechtsextreme und Neonazis hätten in der Schweiz keinerlei politische Basis. Die Pnos hat nach eigenen Angaben bloss 300 Mitglieder. Und einzig im bernischen Langenthal sass von 2004 bis 2011 ein Pnos-Mitglied im Stadtparlament.
Im Internet ist es einfach, neonazistisches Gedankengut zu finden. Dort tummeln sich Rechtsextreme und Schweizer Neonazi-Kameradschaften auf einem Dutzend Webseiten und in Facebook-Gruppen. Sie hetzen nicht mehr plakativ, sondern entpuppen sich erst auf den zweiten Blick als diskriminierend.
Für Samuel Althof sind nicht Neonazis das Problem, sondern alltäglicher Rassismus: «Rechtsextreme werden in der Gesellschaft konsequent geächtet. Alltagsrassismus ist in der Schweiz aber sehr virulent.» Das sei viel gefährlicher: Darauf bauen bestimmte Politiker, darum komme es punktuell immer wieder zu rassistisch motivierter Gewalt.