Nazi-Sänger düpiert Kapo: «Polizisten waren unaufmerksam»

srf.ch: Erst wird die St. Galler Kantonspolizei von einem grossangelegten Neonazi-Konzert überrumpelt, eine Woche später lässt sie einen rechtsextremen Sänger passieren – trotz Einreisesperre. Sicherheitsdirektor Fredy Fässler bedauert die Vorfälle – fordert aber eine differenzierte Betrachtung.

Heute, 14:35 Uhr

Der Sänger einer deutschen Neonazi-Band reist unerkannt in den Kanton St. Gallen, trotz Einreisesperre. Und obwohl die Polizei Fahrzeuge und Personen kontrolliert hat. Die St. Galler Polizei räumt ein, dass das rund um eine Veranstaltung der rechtsradikalen Bewegung Pnos in Kaltbrunn am letzten Wochenende so geschehen ist.

Die Frage stellt sich: Wie ist die Fehlerkette zu erklären – eine Woche, nachdem bereits ein Neonazi-Konzert in Unterwasser (SG) schweizweit für Aufsehen gesorgt hatte? Antworten vom St. Galler Sicherheitsdirektor Fredy Fässler.

SRF News: Herr Fässler, haben Ihre Polizisten versagt?

Fredy Fässler: Sie waren sicher etwas unaufmerksam. Der betreffende Sänger ist tatsächlich unerkannt mit einem Drittfahrzeug vor dieses Restaurant gefahren und leider in den Räumlichkeiten verschwunden. Die Polizei hat dann darauf verzichtet, ihn gewaltsam herauszuholen. Die Kantonspolizei bedauert das; und wenn sie den Fall neu beurteilen könnte, würde sie wohl auch anders handeln.

Die Kantonspolizei hat in Kaltbrunn also nicht eingegriffen. Was hätte geschehen müssen, damit sie das getan hätte?

Sie hat in Kaltbrunn letztlich eingegriffen, mit einer Verzögerung von zwei Stunden. Sie hat der betreffenden Person die Einreisesperre eröffnet und sie an die Grenze begleitet. Das Konzert hatte bedauerlicherweise zu diesem Zeitpunkt bereits stattgefunden, meiner Meinung nach war das falsch. Nachträglich kann ich aber an der Situation auch nichts ändern.

  In Unterwasser hat die Polizei korrekt gehandelt. Es wäre nicht zu verantworten gewesen, dort einzugreifen. Die Kommunikation war aber schlecht. 

Fredy Fässler
Zum Neonazi-Konzert mit 5000 Besuchern

Der Musiker hat das Einreiseverbot erst nach seinem Konzert erhalten, aus Gründen der Verhältnismässigkeit, wie Sie sagten. Was heisst de Verhältnismässigkeit in so einem Fall?

Wenn man von Verhältnismässigkeit spricht, muss man abwägen, welche Rechtsgüter zur Diskussion stehen. Die Kantonspolizei war der Meinung, in Anwesenheit all dieser Medienleute darauf zu verzichten, diese Einreisesperre unmittelbar durchzusetzen und diese Person mit Gewalt aus den Räumlichkeiten zu holen. Das war meines Erachtens falsch, lässt sich aber wie gesagt nicht mehr ändern.

Innert kurzer Zeit gab es zwei Vorkommnisse, die aus Ihrer Sicht unglücklich verlaufen sind: Das Neonazi-Konzert in Unterwasser, bei dem Sie überrumpelt wurden; und jetzt der Auftritt eines rechtsextremen Sängers in Kaltbrunn, den Sie nicht verhindern konnten. Sie wurden also gleich zwei Mal über den Tisch gezogen.

Das Konzert in Kaltbrunn hätte man verhindern können. Bedauerlicherweise sind diese Bemühungen irgendwie unterwegs stecken geblieben. In Unterwasser hat die Polizei korrekt gehandelt. Es wäre nicht zu verantworten gewesen, dort einzugreifen. Die Kommunikation war aber schlecht. Wenn ein solches Ereignis schweizweit Aufmerksamkeit erregt, kann man das nicht reaktiv und beschönigend begleiten. Man muss aktiv werten.

Trotzdem riskieren Sie, sich ein Image-Problem einzuhandeln. Der Eindruck entsteht, dass Neonazis in St. Gallen tun und lassen können, was sie wollen – ohne etwas befürchten zu müssen.

Natürlich. Das Thema wird jetzt in der ganzen Schweiz diskutiert, es hat auch schon im Bundesparlament zu Vorstössen geführt. Man wird jetzt sehr aktiv diskutieren müssen, was derzeit im Bereich des Rechtsextremismus geschieht. Und man wird auch diskutieren müssen, ob auf gesetzgeberischer Ebene Handlungsbedarf besteht. Bisher war die Schweiz von einem sehr liberalen Verständnis geprägt. Man hat darauf verzichtet, Gruppierungen zu verbieten. Das kann man jetzt wieder diskutieren – aber man sollte es nicht unter dem Druck dieser Aktualitäten machen, sondern sich die nötige Zeit nehmen.

Das Gespräch führte Daniel Eisner.