Nazi-Lieder auf Pausenplätzen

BernerRundschau

Nazi-Lieder auf Pausenplätzen

Rechtsextreme Mit deutscher «Schulhof-CD» versucht, Nachwuchs zu gewinnen

Die rechtsextreme Szene in der Schweiz sei letztes Jahr stark gewachsen, stellt der Staatsschutz in einem gestern veröffentlichten Bericht fest. Rekrutierungsversuche erfolgten auch mit einschlägigen Musik-CDs. Auch in Burgdorf, Huttwil und Wangen tauchten Tonträger mit rechtsextremen Liedern auf.

Bruno Utz

Um 200 auf 1200 Personen sei der harte Kern der rechtsextremen Szene in der Schweiz letztes Jahr angewachsen, schreibt die Bundespolizei in ihrem Bericht. 200 davon leben gemäss Angaben der Kantonspolizei im Kanton Bern. Im vergangenen Jahr hätten auch die Versuche zugenommen, neue Mitglieder und Sympathisanten zu rekrutieren. So seien in den Kantonen Aargau, Luzern, Glarus und Bern von Szenengängern «Schulhof-CDs» (vergleiche Update) gratis unter die Leute gebracht worden. Von grösseren Aktionen, wie sie im Kanton Aargau vorgekommen sind (vergleiche Artikel unten), ist dem bernischen Regierungsrat allerdings nichts bekannt. «Gemäss Rückmeldungen der Schulinspektorinnen und -inspektoren sind auf Pausenplätzen der bernischen Volksschulen bisher keine Verteilaktionen rechtsradikaler Propaganda bekannt geworden», schreibt er in der Antwort auf eine Interpellation von Grossrätin Johanna Wälti (Grüne/Burgdorf). Mit einer Ausnahme treffe das auch für die Gymnasien und Berufsfachschulen zu. Aus der Reihe getreten ist die Berufsfachschule Emmental (BFE) in Burgdorf: «Bei uns ist letzten Herbst eine solche CD aufgetaucht», sagt Vizerektor Christian Stalder auf Anfrage. Innerhalb einer Stunde sei der Lehrling ausgemacht worden, der die «Schulhof-CD» weitergegeben hatte. Er sei mündlich verwarnt worden. Die Liedtexte seien zwar bisher in der Schweiz richterlich nicht beurteilt worden, «doch wer hinhört, weiss genau, was gemeint ist», sagt Stalder. Politische Propaganda sei in der BFE grundsätzlich verboten, egal welcher Richtung. Es seien schon Wahllisten oder Aufrufe zur Teilnahme an Antifa-Demos aufgelegen. Solches Material werde umgehend entfernt. Politisches, auch Rassismus und Gewalt, werde im Staatskundeunterricht behandelt. «Feststellbare Gewalt kommt bei uns selten vor, unsere Schule ist mit rund 1500 Lernenden überblickbar. Und unsere Lehrkräfte schauen hin, nicht weg», sagt Stalder.

CD in Briefkasten gelegt

Gemäss der Interpellationsantwort tauchten vereinzelt weitere «Schulhof-CDs» auf. Anfang Oktober 2005 sei in Moosseedorf ein Exemplar in den Briefkasten der Gemeindeverwaltung gelegt worden. In Wangen a/A habe ein 18-Jähriger eine CD auf den Polizeiposten gebracht. Er habe angegeben, diese von zwei unbekannten Männern erhalten zu haben, die er der rechte Szene zuordne. Ende Oktober sei eine CD in Huttwil einer volljährigen Person angeboten worden, die sie später der Polizei brachte.

Ein junger Mann aus der rechtsradikalen Szene sei von der Polizei in Interlaken als Verteiler ermittelt worden. Und bei einer Hausdurchsuchung bei einem bekannten Rechtsradikalen in Unterseen habe die Polizei kürzlich gleich neun Stück der «Schulhof-CD» sicherstellen können. Die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen, schreibt der Regierungsrat.

Bundespolizei ist vorsichtig

Ob es je zu einem Verfahren kommt, ist fraglich. Auf Anfrage des Kantons Aargau hat die Bundespolizei (Bupo) die fragliche «Schulhof-CD» bereits unter die Lupe genommen. «Aus unserer Sicht haben wir nichts festgestellt, was strafbar ist», sagt Bupo-Sprecherin Danièle Bersier. Die Bupo empfehle nur eine Anzeige, wenn anzunehmen sei, dass es zu einer Verurteilung kommt. Ein allfälliger Freispruch würde von den Betroffenen sicher umgehend für die eigene Propaganda genutzt. Bersier: «Das heisst aber noch lange nicht, dass die Liedtexte in Ordnung sind.»

«Schulhof-CD», nennt sich der Tonträger, der letztes Jahr kostenlos auch an bernischen Schulen in Umlauf gebracht wurde. Darauf besingen einschlägige Bands rechtsextremes Gedankengut in Reinkultur. Herausgeberin der CD ist die deutsche Rechtsextremen-Partei NPD. Es gibt zwei Versionen: Die erste CD «Anpassung ist Feigheit. Lieder aus dem Untergrund» mit einer Auflage von 50 000 Stück war 2004 in Deutschland strafrechtlich relevant verboten worden. Die zweite Pressung mit dem Titel «Der Schrecken aller linken Spiesser und Pauker» brachte die NPD vor den Wahlen 2005 in Umlauf. Die Auflage beträgt 200 000 Stück. Dieser Tonträger hat die Prüfung der deutschen Staatsanwaltschaften bestanden.

Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren ein

Im vergangenen September wurden auch in mehreren aargauischen Gemeinden in grösserem Stil Exemplare der deutschen «Schulhof-CD» verteilt. Zwei kahlgeschorene Männer haben die CD an den Bezirksschulen in Unterkulm und Oberentfelden in Umlauf gebracht. In Entfelden verteilten Unbekannte die CD gleich schachtelweise. Etwa 60 Exemplare davon konnte die Polizei noch sicherstellen. Es handelte sich um die in Deutschland verbotene Version «Anpassung ist Freiheit. Lieder aus dem Untergrund». Wenige Tage später brachte in Fahrwangen ein Schüler mehrere «Schulhof-CDs» in Umlauf, wie die Aargauer Zeitung damals berichtete. Das aargauische Departement für Bildung, Kultur und Sport rief die Schulleitungen zur Wachsamkeit auf. Unerwünschten Personen sei das Betreten des Schulareals unter Androhung einer Anzeige wegen Hausfriedensbruchs zu verbieten.

Einige Urheber der Neonazi-CD-Verteilaktionen konnten ermittelt und angezeigt werden. Die Kantonspolizei Aargau liess die CD durch die Bundespolizei auf illegale Texte und Bilder überprüfen. Gemäss Untersuchungsrichter Rolf Kasper hat das Bezirksamt Kulm gegen eine erwachsene Person eine Strafuntersuchung durchgeführt. Die Staatsanwaltschaft habe jedoch das Verfahren eingestellt. Der Inhalt der «Schulhof-CD» sei aber hart an der Grenze des Verträglichen mit dem Antirassismus-Artikel in der Bundesverfassung.