Nazi-Denkmal in Chur – Wegen Nazi-Stein: Graubünden beginnt historische Aufarbeitung

SRF. Die Bündner Regierung will die Geschichte des Kantons während des Nationalsozialismus und Faschismus erforschen lassen. Sie übernehme damit schweizweit eine Pionierrolle, sagt Historiker Jakob Tanner.

Anfang Jahr machte SRF publik, dass in Chur ein nationalsozialistisches Denkmal steht. Die Recherche schlug hohe Wellen: Während in Chur der Nazi-Stein zum Stadtgespräch wurde, berichtete international die britische BBC darüber.

Im Bündner Kantonsparlament forderten Politikerinnen und Politiker aller Parteien ausser der SVP, dass der Kanton die Geschichte des Faschismus und Nationalsozialismus in Graubünden wissenschaftlich aufarbeiten lässt. Auch solle das Denkmal in Chur bleiben und vor Ort erklärt werden.

Positiv von den Antworten der Regierung überrascht ist nun SP-Grossrätin und Historikerin Silvia Hofmann. Sie hatte einen der beiden Vorstösse eingereicht: «Ich hatte erwartet, dass die Behörden defensiv argumentieren.» Doch jetzt wolle die Regierung sogar das Forschungsvorhaben finanzieren.

Konkret will die Bündner Regierung ein oder mehrere Forschungsprojekte in Auftrag geben und finanzieren. Sie schreibt, die Berichterstattung von SRF habe «eine breite Debatte ausgelöst». In einem ersten Schritt will die Regierung den aktuellen Forschungsstand sichten und Forschungslücken identifizieren. Als Untersuchungszeitraum schlägt die Regierung die Zeit der Zwischenkriegsjahre bis einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg vor.

Erfreut über die klaren Worte ist auch Mitte-Politiker Tino Schneider. Auch der Historiker hatte einen Vorstoss eingereicht. «Es ist wichtig, zu zeigen, was in der Zeit des Faschismus und Nationalsozialismus in der Schweiz und in Graubünden passiert ist», eine «Mauer des Schweigens» sei falsch.

Graubünden übernimmt Pionierrolle

Das Denkmal der Nationalsozialisten auf dem Churer Friedhof Daleu will die Bündner Regierung in Zusammenarbeit mit der Stadt Chur stehen lassen und die Hintergründe vor Ort erklären (siehe Kasten). Es wäre ein Fehler, das Denkmal abzuräumen, kommentiert Politikerin und Historikerin Silvia Hofmann: «Es ist ein Zeugnis für eine dunkle Zeit für Graubünden und die Schweiz.» Das Nazitum habe bei den Menschen Ängste ausgelöst, manche hätten Widerstand geleistet. «Solche Objekte muss man erhalten und die Leute darüber aufklären, worum es sich handelt.»

Mit einem solchen umfassenden Forschungsvorhaben würde Graubünden schweizweit eine Pionierrolle übernehmen, sagt Historiker Jakob Tanner, ehemaliges Mitglied der «Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg» (UEK): «Es ist mutig und wichtig, dass die Bündner Regierung jetzt vorangeht.»

Das Denkmal in Chur sei zwar nicht unbekannt gewesen, aber nicht präsent im öffentlichen Bewusstsein, «man hat es immer wieder vergessen». Es brauche eine breitere Forschung, um die Präsenz des Nationalsozialismus während der Zwischenkriegsjahre und des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz aufzuzeigen.


Bericht der Stadt Chur zum Nazi-Denkmal stösst auf Kritik

Stellung zum Denkmal auf dem Friedhof Daleu nahm am Montag auch die Churer Stadtregierung in einem über 20-seitigen Bericht. Es sei nicht mehr notwendig, die Geschichte rund um das Denkmal historisch aufzuarbeiten, das sei bereits umfassend erfolgt. «Weitere Forschungsarbeiten würden voraussichtlich keine neuen Erkenntnisse zur Geschichte des Nationalsozialismus in Chur liefern.» Der Stadtrat erachte es jedoch als sinnvoll, mit einer Informationstafel auf dem Friedhof Daleu die Hintergründe des Denkmals zu erläutern.

Auslöser des Berichts war auch hier ein Vorstoss von Mitte-Politiker Tino Schneider, er ist auch Gemeinderat. Seine erste Reaktion: «Aus meiner Sicht hinterlässt der Bericht des Stadtrats einen zwiespältigen Eindruck.» Zwar sei die Antwort sehr umfassend, und doch «sind nicht alle Details abgebildet». So fehle beispielsweise der Hinweis auf die deutschen Nazis in Chur, die sich für das Denkmal eingesetzt hatten.

Subtile Botschaften

In ihrem Bericht betont die Churer Stadtregierung weiter, dass auf dem Denkmal alle Nazisymbole fehlten. Dies müsse auf der Infotafel erläutert werden. Auch hier widerspricht Tino Schneider, selber Historiker: «Das ist die falsche Antwort. Gerade die Nationalsozialisten arbeiteten mit sehr subtilen Botschaften, um ihre Ideologie zu vermitteln. Entsprechend sollte man genau auf diese subtilen Botschaften hinweisen.»

Auftraggeber des Denkmals war der damals nationalsozialistisch geprägte Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Die Sprecherin Diane Tempel sagte im Januar gegenüber SRF: «Natürlich klebt da ein Stück Gesinnung daran.» Die Form des Mausoleums sei typisch: «Dieses Denkmal erzählt auch vom damaligen nationalsozialistischen Totenkult.»


Internationales Medienecho

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Die Recherche von SRF Investigativ zum Nazi-Stein von Chur löste nicht nur in der Schweiz, sondern auch international ein Medienecho aus.

Nachdem die britische BBC Anfang April unter dem Titel «Nazi monument at Swiss cemetery sparks controversy» berichtet hatte, nahmen unter anderem Medien im Vereinigten Königreich, in Israel, Russland, der Türkei, in den Niederlanden, Dänemark oder Brasilien die SRF-Recherche auf.