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Jährlich gibt der Bund über 20 Millionen Franken für Nationale
Forschungsprogramme aus. Und finanziert damit ein erstaunliches Sammelsurium
an zweckfreier Grundlagenforschung.
Nationale Forschungsprogramme (NFP) sorgen kaum für Aufsehen. Es sei denn, die Forscher
fordern – wie kürzlich geschehen – die Aufwertung des Englischen zur Teil-Amtssprache oder
sie stellen fest, dass vier Prozent der Schweizer potenziell rechtsextrem seien.
Eigentlich sollten NFP dort ansetzen, wo der Bevölkerung der Schuh drückt. «NFP leisten
wissenschaftlich fundierte Beiträge zur Lösung aktueller Probleme von nationaler Bedeutung»,
betont der für die NFP zuständige Nationalfonds. Ein Blick auf die Forschungsprogramme zeigt
jedoch, dass die NFP-Forscher über ein sehr weit gefasstes Verständnis von wirklich
drängenden Problemen verfügen.
Mädchen bleiben lieber zu Hause
So wandte das Institut für Praktische Theologie der Uni Bern 519’631 Franken auf für das
Projekt «Gute-Nacht-Geschichten und mehr? Familie brauchen Rituale». Als primäres
Studienergebnis wird genannt: «Auch heute praktizieren junge Familien viele Rituale. Die Art
und Weise, wie sie das tun, ist beeinflusst vom Milieu, in dem sie verankert sind, aber auch von
ihrer religiösen Zugehörigkeit.» Das gelte besonders für die Taufe. Die hohen Studienkosten
werden damit gerechtfertigt, dass die Forscher viele Rituale in Echtzeit aufzeichneten – die
Familien konnten sich den Tauf-Fotografen sparen.
Die Studie war Teil des 12 Millionen Franken teuren NFP 52 zur Kindheit und Jugend in der
Schweiz. Die Forscher des Programms präsentierten letzten Sommer ihre Ergebnisse. Diese
bestanden unter anderem in der Erkenntnis, dass sechsjährige Mädchen am liebsten im Haus
spielen, während Knaben die Quartierstrassen bevorzugen und dass autoritär erzogene Kinder
später oft Cannabis konsumieren und häufiger Suizidgedanken hegen.
Weiterhin geforscht wird am NFP «Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft». Dabei
untersucht das Institut für Religionswissenschaften der Uni Bern die «Rezeption des tibetischen
Buddhismus in Schweizer Institutionen» (134’728 Franken), während sich das Lausanner
Observatoire des Religions en Suisse mit dem Thema «Individuelle Religiosität im sozialen
Wandel» (399’295 Franken) befasst.
Kulturgeschichte der Alpenluft
Auch wenn viele NFP durchaus praxisnah erscheinen (so werden derzeit mögliche Folgen von
Handystrahlen und Risiken der Freisetzung von Gentech-Pflanzen erforscht), erstaunt es immer
wieder, wofür NFP-Gelder fliessen. So kostet die Klärung der essenziellen Frage «Wie
funktioniert Mehrsprachigkeit beim Militär?» 240’880 Franken. Mit 443’938 Franken schlägt die
Studie «Kulturgeschichte der Alpenluft und ihrer Bedeutung für die Landschaftswahrnehmung
der Alpenreisenden» zu Buche, und 296’979 Franken werden für das Thema «Integration und
Ausschluss im Kontext von Raumstruktur, Raumwahrnehmung und Raumnutzung»
aufgewendet.
Die NFP-Grundthemen werden vom Bundesrat vorgegeben. Eine Leitungsgruppe bewilligt
anschliessend die eingereichten Einzelprojekte. Seit 1975 sind auf diese Weise 65
Forschungsprogramme zustande gekommen, die im Schnitt 11 Millionen kosteten. In den letzten
Jahren sahen sich die NFP-Verantwortlichen allerdings vermehrt Kritik ausgesetzt. So war von
Filz die Rede, als bekannt wurde, dass einzelne Mitglieder der Leitungsgruppe eigene Projekte
bewilligt und Forscher ihre Projekte gegenseitig unterstützt hatten. Damit ist unterdessen
Schluss: Mitglieder der Leitungsgruppen dürfen keine Projekte mehr einreichen, und
ausländische Experten bewerten die Eingaben.
Reagiert hat der Nationalfonds auch auf einen Bericht des Zentrums für Wissenschafts- und
Technologiestudien. Dieses hielt 2007 fest: «Den NFP fehlt eine systematische, auf
Wirkungsnachweis gerichtete Dokumentation und ein strukturiertes Reporting zum Abschluss
der Programme.» Laut Christian Mottas, Sektionsleiter NFP beim Nationalfonds, müssen die
Forscher seither intensiver und bis über das Projektende hinaus Rechenschaft ablegen. Nichts
hält Mottas hingegen von der SVP-Forderung, bei der Vergabe der Gelder müsse der
wirtschaftliche Nutzen stärker berücksichtigt werden: «NFP können Einfluss auf die
Gesetzgebung haben oder Lösungen für gesellschaftliche Probleme liefern. Das kann man nicht
beziffern.» Als Beispiel erwähnt Mottas das NFP 35 «Frauen in Recht und Gesellschaft», das
dazu beigetragen habe, dass häusliche Gewalt zu einem Offizialdelikt wurde. Zudem betont er:
«Wären unsere Vorgaben zu starr, würden keine renommierten Wissenschaftler mehr Projekte
einreichen.» Der Forscherfantasie sind damit weiterhin keine Grenzen gesetzt.
Worum geht es hier? Familienrituale im Fokus des Forschungsprogramms.