Es gebe keine rechtsextreme Szene im Kanton – sagen die einen. Es gebe nur «einzelne Fälle». Einer dieser Einzelfälle geschah vor mehr als einem Jahr im Glarnerland. Vanessa M.* glaubt jedoch nicht, dass ihre Geschichte ein Einzelfall ist.
Von Marc Allemann
Ein fremder maskierter Mann steht in ihrem Zimmer. «Wo sind die anderen sechs?», will der Vermummte wissen. Es ist mitten in der Nacht, Vanessa M. hat keine Ahnung, wovon er redet. Es gibt keine «anderen», nur ihre Mitbewohnerin, welche in dieser Nacht nicht da ist.
Ihr Mobiltelefon wird ihr in die Hand gedrückt. «Ruf die anderen an», fordert die Stimme hinter der Skimaske. Sie hat keine andere Wahl, als dem Befehl zu folgen. Als Vanessa telefoniert, kommt ein anderer Mann ins Zimmer. Er hat seinen Pullover bis zur Nase heraufgezogen.
Die Männer werden nervös. Sie merken, dass Vanessa das Telefon dazu gebraucht hat, Alarm zu schlagen. «Wehe, du erzählst irgendwem, dass wir da waren», sagt der eine noch. «De Rechtä regiäred ds Glarnerland», rufen sie und verschwinden.
«Man muss sich wehren»
Das Geschehene liegt über ein Jahr zurück, ist Vergangenheit. «Ich möchte, dass die Leute wissen, dass man sich wehren muss. Darum erzähle ich es», sagt Vanessa M.
Der Polizeibeamte habe sich nicht vorstellen können, dass die Täter eine rechtsextreme Gesinnung hätten, erzählt sie weiter. Doch Vanessa und ihre Familie fordern eine Aufklärung des Verbrechens – und die Polizei findet kurz darauf Tatverdächtige.
Vanessa hat der Polizei die Kleider beschrieben, welche die Täter in jener Nacht trugen. Anfangs bestreiten die Verdächtigten alles, doch ihre Aussagen widersprechen sich.
Zuerst gesteht einer, dann der andere. Nicht gestehen wollen sie bis zuletzt, dass sie eine rechtsextreme Parole geschrien hätten. Vanessa liest später bei der Akteneinsicht, dass einer ausgesagt habe, er sei nicht rechtsextrem, nur «sehr rechts».
In Angst und Schrecken versetzt
Im Strafmandat des Verhöramtes ist festgehalten, was die Polizei vorfand, als sie von Vanessas Familie alarmiert, beim Tatort eintraf. Eine Auflistung des Sachschadens: angezündete Rauchpetarden, verschmutzter Teppich, zerschnittene Kabel, Unordnung, Schlüssel und Bargeld entwendet.
Vor dem Verhöramt bekennen sich die jungen Männer zu den Tatbeständen Hausfriedensbruch und Nachtruhestörung. Als unbeweisbar sieht das Verhöramt die Sachbeschädigungen und die Entwendung des Hausschlüssels. Die Täter bestreiten bis zuletzt, dass sie das «Opfer» bedroht oder genötigt haben. Sie bestreiten, rechtsextreme Ansichten zu haben. Und das Verhöramt beschliesst, dass die «objektiven Tatbestandselemente» für ein Strafverfahren wegen Nötigung und Drohung nicht erfüllt sind. Man müsse in diesem Fall die Unschuldsvermutung gelten lassen, da Aussagen von Opfer und Täter nicht übereinstimmten, wird argumentiert. Dies, obwohl der Verhörrichter einräumt, dass die Täter ihr Opfer wissentlich in Angst und Schrecken versetzt hätten. Auch hätten die jungen Männer in Kauf genommen, dass die junge Frau künftig mit einem Trauma leben müsse.
Die jungen Männer werden vom Verhöramt zu bedingten Gefängnisstrafen von jeweils zehn und vierzehn Tagen verurteilt. Das ist ihre Strafe für «den Bestand des Hausfriedensbruchs und den Bestand der Nachtruhestörung». Der Verhörrichter betrachtet das Delikt als einen «besonders schweren Fall» eines Hausfriedensbruchs. Trotzdem lässt man Milde gelten, sind die Täter doch jung. Dass sie unter Alkoholeinfluss standen, kommt ihnen auch zugute. Das Verhöramt sieht darin eine leicht verminderte Zurechnungsfähigkeit.
«Strafmass gerecht»
Vanessa ist zufrieden mit der Arbeit der Polizei und dem Urteil. Die Polizei habe rasche Ergebnisse erzielt und sie ernstgenommen. Dafür ist sie dankbar. Auch das Strafmass findet sie gerecht. Die jungen Männer können sich jetzt keine Gesetzesübergriffe mehr erlauben, die Probezeit dauert drei Jahre. Doch es bleibt das Unbehagen, dass die Motivation der Täter nicht geklärt wurde, dass möglicherweise noch andere Mittäter im Haus waren, welche die Polizei nicht identifizieren konnte. Die ermittelten Täter haben angegeben, dass ihnen zugesteckt wurde, dass in dem Haus sieben «Linke» wohnten. Diese würden schlecht über sie reden, rechtfertigten die Täter den Einbruch. Das war ihre Begründung, in ein fremdes Haus einzubrechen, die Gesichter verhüllt. Vanessa ist bestürzt, dass jemand Unwahrheiten über sie erzählt hat, die solche Folgen für sie hatte.
Sie ist sich jedoch sicher, nicht die Einzige zu sein, die von rechtsextrem gesinnten Jugendlichen bedroht und belästigt wurde. «Das geschieht die ganze Zeit», sagt die junge, selbstsichere Frau. Solche Straftaten müssten unbedingt gemeldet werden. Denn sonst kommen sie nie ans Tageslicht.
*Name geändert
Rechtsextremismus im Kanton Glarus – es gibt ihn, wie verschiedene Vorfälle zeigen. Eine junge Glarnerin wurde mitten in der Nacht von vermummten Gestalten erschreckt. Ein ernstes Problem mit Rechtsextremen bestehe aber nicht, sagt der Experte. Die Szene sei sehr, sehr klein.