Mord am Thunersee

Blick

Das Blut-Urteil der Neonazis Er wollte nicht mehr schweigen, da schlugen sie ihn tot

VON BEAT MICHEL

UNTERSEEN BE ? Erst beschliessen die Neonazis, dass ihr Kamerad Marcel von Allmen (19) sterben muss. Dann planen sie die Bluttat bis ins letzte Detail voraus.

Sie nennen sich «Orden der arischen Ritter» ? den Namen fanden zwei Gründungsmitglieder in einer braunen Zeitschrift. Vier der dubiosen Ritter treffen sich im Januar ? um den Tod eines der Ihren zu beschliessen: Marcel von Allmen spricht ihrer Meinung nach zu oft mit Aussenstehenden über den «Geheimbund». Damit verstösst er gegen das Schweigegebot der Gruppe. Die übrigen vier Mitglieder, Marcel M. (22), Alexis T. (17), Renato S. (22) und Michael S. (22), beschliessen, den 19-Jährigen zu töten. Seinen Tod setzen die abartigen «Ritter» auf den 27. Januar fest ? weil einer der Täter am folgenden Tag in die Ferien fährt.

Samstag, 27. Januar, kurz vor elf Uhr nachts: Marcel von Allmen sitzt mit seiner Freundin Sonja* beim Nachtessen. Obwohl Sonja an diesem Tag Geburtstag feiert, lässt Marcel sie plötzlich sitzen. Sonja sieht ihn nie wieder. Marcel von Allmen fährt mit seinem Velo zum Steindler Schulhaus. Dort wartet einer seiner «Freunde» auf ihn. Marcel ahnt nicht, dass der schon bald zu seinem Mörder wird.

Marcel steigt ins Auto seines Kollegen. Der «arische Ritter» fährt ihn zur Ruine Weissenau. Dort warten zwei weitere Mitglieder der Neonazi-Gruppe. Der Anführer schlägt mit einem Metallrohr auf Marcel ein. Als er verletzt zu Boden stürzt, treten die anderen beiden «Ritter» auf den Wehrlosen ein. Der Vierte im Bunde ist nicht anwesend ? dafür stellte er sein Auto für die Bluttat zur Verfügung und half bei der Planung mit.

Als Marcel nicht mehr atmet, binden ihm die drei «arischen Ritter» einen schweren Metallzylinder um die Beine. Dann legen sie den Leichnam in den Kofferraum des Autos. Den Totschläger werfen sie in den nahen Schifffahrtskanal. Dort finden ihn später die Fahnder der Polizei. Die drei Täter sind gut vorbereitet: Sie brausen zu den Beatushöhlen ? an eine Stelle, die sie zuvor ausgekundschaftet haben. Dort werfen sie ihren toten Kameraden in den Thunersee.

Die Polizei vermutet schnell, dass hinter Marcels Verschwinden ein Drama steckt: Ein 15-köpfiges Sonderermittlungsbüro übernimmt den Fall. Die Beamten stossen im Umfeld des Verschwundenen auf rechtsextreme Kreise. Polizeitaucher finden Marcels Leiche: unterhalb der Beatushöhlen, sechs Meter unter der Wasseroberfläche. Jetzt ist klar, dass die Mitglieder des «Ordens» das Verbrechen begingen. Die Fahnder nehmen die vier jungen Männer fest.

Aber noch sind Fragen offen: Was hat es mit der Bibel auf sich, die BLICK-Reporter am Tatort entdeckten? Welch andere Schandtaten gehen noch auf das Konto der «arischen Ritter»? Die Mitglieder haben auf schreckliche Art bewiesen, dass sie nicht davor zurückschrecken, Gewalt anzuwenden. Ihr «Orden» besteht schon seit zwei Jahren. Eines der Ziele war es, «unerwünschte» Ausländer zu vertreiben. Die vier Verhafteten behaupten, nie Nazi-Veranstaltungen besucht zu haben. Dafür fanden die Ermittler auf mehreren Computern der Gruppe Nazi-Propagandamaterial.

*Name geändert

KOMMENTAR

Und was passiert jetzt im Dorf?

VON MARCEL SIEGENTHALER, NACHRICHTENCHEF

Junge Schweizer Männer: Auf ihren Handys prangt das weisse Kreuz. Bei jedem Anruf erklingt die Nationalhymne. Im Dorf denkt man: «Schön, diese Liebe zum Vaterland.» Die jungen Männer haben Hitler-Fotos in ihren Portemonnaies. Sie beschimpfen Ausländer. Im Dorf ernten sie versteckt Applaus. Die jungen Männer gründen eine Neonazi-Sekte. Auf den «Orden der arischen Ritter» schwören sie einen Eid. Auf ihre Fahne schreiben sie sich die Vertreibung der Ausländer. Im Dorf schaut man weg. Einer bricht den Eid. Seine Kameraden richten ihn brutal hin. Im Dorf ist man entsetzt. «Für uns ist es nicht zu spät, nachzudenken und für unser Zusammenleben als Menschen neue Wege zu suchen»: So predigt der Dorfpfarrer an der Beerdigung des Ermordeten. Für Marcel (19) ist es zu spät. Erstmals hat ein Neonazi-Verbrechen in der Schweiz ein Leben gekostet. Vielleicht beginnt jetzt im Dorf das Nachdenken.