NZZ am Sonntag: Emil Rahm, Rimuss-Fabrikant, Verschwörungstheoretiker und Leserbriefschreiber, ist 85-jährig gestorben.
Sein Leben war eine dauernde Rechtfertigung. Das trotzige «Aber» bestätigte freilich mehr, als dass es entschärfte, was Emil Rahm eigentlich entschärfen wollte: Nein, ein Antisemit sei er nicht – «aber die Frage muss erlaubt sein, ob der Bolschewismus eine jüdische Erfindung ist». Nein, an die Echtheit der «Protokolle der Weisen von Zion» glaube er nicht – «aber ich glaube, dass sich das ereignet, was darin steht, ob nun von abgefallenen Juden oder Christen inspiriert».
Der Hallauer Weinproduzent Emil Rahm bewegte sich ein Leben lang im Dunstkreis rechter bis rechtsextremer Publizisten und Verschwörungstheoretiker. Der Fundamentalchrist sah überall Luzifer am Werk – mal im Gewand der Freimaurer, dann im Kleid des Weltbankers, aber auch organisiert in Uno oder EU. «Hitler – von der Wall Street gekauft», verkündete er allen Ernstes.
Geboren 1930 im schaffhausischen Hallau, wird Emil Rahm das Missionarische in die Wiege gelegt. Die Familie gehört der frommen Chrischona-Gemeinde an. Er sei Hallauer und habe darum «freiheitliches Blut», sagt er über sich selbst. Zudem sei er «religiös erzogen worden und froh darüber, mit der Bibel in Kontakt gekommen zu sein». Die kaufmännische Ausbildung macht er im Wissen darum, dereinst zusammen mit seinem Bruder die väterliche Weinkellerei zu übernehmen.
Dass er neben dem Betrieb der Weinkellerei quasi als Hobby publizistisch tätig werden kann, verdankt er dem alkoholfreien, moussierenden Traubensaft, den sein Vater in den fünfziger Jahren entwickelt hat. Rimuss ist ein Schweizer Markenartikel. Der Kinderchampagner (Werbeslogan: «Mit Rimuss stossed alli aa!») gehört bis heute zu Weihnachten wie der Baum und die Kerzen. Er macht die Rahms wohlhabend.
Anders als sein Bruder fühlt Emil Rahm sich berufen, seine Weltanschauung tausendfach vervielfältigt unter die Leute zu bringen. 1966 lanciert er «memopress», die äusserlich wie eine linke Matrizendrucker-Publikation daherkommt. Der Inhalt freilich ist von anderer Gesinnung. Immer wieder zitiert er aus deutschen revisionistischen, okkult-obskuren und zuweilen offen rechtsextremen Publikationen oder empfiehlt diese zur Lektüre. Rahm selbst sieht dies viel harmloser. Er wolle «Politiker und weitere verantwortungsbewusste Staatsbürger mittels dem Informationsblatt ‹memopress› mit wichtigen, zu wenig bekannten Informationen bedienen». Publizistischen Flankenschutz gibt er sich selbst – er spricht einmal von sich als dem «bekanntesten Leserbriefschreiber der Schweiz».
Um 1971 herum ist Emil Rahm Kopf des «Komitees zum Schutz der politisch nicht interessierten Frau». Es engagiert sich gegen die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz. «Weil ein Recht auch verpflichtet, empfindet die gewissenhafte, politisch nicht interessierte Frau dieses Recht als Belastung», argumentiert er – und warnt vor «neurotischen Störungen» und «ungünstigen Auswirkungen auf die Kinder». Für die «Schweizer Illustrierte» lässt er sich als achtsamen Familienvater ablichten, umrahmt von Frau und Töchtern bei der Hausmusik.
So bürgerlich-bieder er sich gibt, sogar der sonst eher mit linken Umtrieben beschäftigten Bundespolizei ist SVP-Mitglied Rahm nicht ganz geheuer. In den siebziger Jahren observiert sie ihn. In seiner Fiche heisst es später: «Vertritt keine politische Gruppe, muss aber anhand seiner Publikationen eher als rechtsstehend betrachtet werden.» Wegen der Einfuhr antisemitischer Bücher wird Rahm in den neunziger Jahren rechtskräftig verurteilt.
Den letzten grossen politischen Auftritt hat Rahm 1994, als er mit ein paar Getreuen das Referendum gegen die Antirassismus-Strafnorm zustande bringt. An der Urne hat es keinen Erfolg. Dann wird es ruhiger um Emil Rahm. Die «memopress» tauft er in «Prüfen + Handeln» um. Der Schweiz sagt er düstere Zeiten voraus, «wenn man sich in der neuen Landeshymne nicht mehr unter Gott stellen will».