Mein Sohn, der Neonazi

St. Galler Tagblatt

Über zehn Jahre lang haben Jacqueline und Daniel Suter versucht, ihren Sohn vom «rechten» Weg abzubringen

rorschacherberg.

Als 15-Jähriger schor sich Jacqueline Suters Sohn den Kopf kahl, kam mit Bomberjacke und Springerstiefeln mit weissen Schnürsenkeln nach Hause. Sofort hätten sie und ihr Mann Daniel, der Stiefvater ihres Sohnes, gemerkt, «dass da etwas abgeht, das nicht mehr gesund ist». Suters reagierten mit Verboten. Von da an waren Bomberjacke und Springerstiefel zu Hause tabu. Rechts-Rock und Plakate wurden aus dem Zimmer verbannt.

Trotzdem: Der Sohn ging an Skinhead-Treffen, redete in Diskussionen über seine neuen Freunde, seine neue Einstellung, von «wir» und nicht mehr von «ich». Und rutschte immer tiefer in die Neonazi-Szene.

«Er war 15, noch ein Bub», sagt Jacqueline Suter. Sie hätten es damals der Pubertät zugeschrieben: rebellieren, sich vom Zuhause lösen, etwas anderes kennen lernen.

«Wir haben immer gehofft, ihm würden bald einmal die Augen aufgehen», sagt Daniel Suter. Vergebens. Über zehn Jahre war ihr Sohn in der rechten Szene aktiv.

Schweigen und verharmlosen

Vor kurzem war Jacqueline Suter Gast in der Sendung «Quer» des Schweizer Fernsehens ? eingeladen als Mutter eines rechten Skinheads. Neben ihr sass Rosmarie Bein, die Mutter des im April 2003 in Frauenfeld von sieben Neonazis fast zu Tode geprügelten Dominik. Als der schwer behinderte Dominik sie aus dem Publikum anlächelte, ihr Hallo sagte, habe sie gehofft, Moderator Patrick Rohr werde ihr nicht gleich eine Frage stellen. Sie hätte in diesem Moment nicht antworten können. Auch ihr Mann sass im Publikum. Obwohl der Sohn nicht an der Gewalttat in Frauenfeld beteiligt war, habe sich Daniel Suter geschämt. Geschämt dafür, dass das Gedankengut, das auch jenes seines Sohnes ist, zu einer solchen Tat geführt hatte.

Scham empfand Jacqueline Suter nicht, aber «mir ist klar geworden, dass es nicht geht, still zu sein». Zu viele Menschen schwiegen und verharmlosten das Thema. Rechtsradikale Gruppierungen seien keine blossen Bürgerwehren, die darauf achteten, dass alles mit rechten Dingen zugehe. «Man muss sich bewusst sein, dass diese Ideologie grundsätzlich darauf abzielt, den Gegner zu vernichten», sagt Daniel Suter. Deshalb wollen sie sich den Mund nicht verbieten lassen. «So etwas wie mit Dominik darf nie wieder geschehen. Der Fall muss auch noch die Letzten wachrütteln.»

«Permanenter Kampf»

Totgeschwiegen wurde das Thema bei Suters nie. «Bei uns wurde immer offen darüber geredet und politisiert», sagt die ehemalige SP-Gemeinderätin. Zehn Jahre endlose Diskussionen mit dem Sohn, für Jacqueline Suter ein «permanenter Kampf». Den Glauben, dass er den Ausstieg schafft, haben Suters nie aufgegeben. Sie hofften, dass irgendetwas im Leben ihres Sohnes ? Lehre, Freundin ? die Wende bringen werde. Selbst auf die Rekrutenschule haben sie gesetzt. Dort wurde dem Sohn zwar wegen seines Gedankenguts das Weitermachen verweigert. An seiner Gesinnung änderte sich nichts.

Professionelle Hilfe haben Jacqueline und Daniel Suter, beide Sozialpädagogen, nicht in Anspruch genommen ? aus ihrer heutigen Sicht ein Versäumnis. «Und eine Selbsthilfegruppe gab es damals und gibt es meines Wissens auch heute nicht», sagt Jacqueline Suter. Im Nachhinein würde sie noch viel mehr Präsenz zeigen. Für Daniel Suter heisst das «ihn immer wieder bei seiner Gruppe aufsuchen, ihn auffordern, Abstand zu nehmen und nach Hause zu kommen». Der Sohn hätte noch mehr spüren müssen, wie wichtig es ihnen sei, dass er das rechtsextreme Gedankengut nicht übernimmt.

In einer Uniform versteckt

Nach der Rekrutenschule zog der Sohn aus. «Wir haben nie daran gedacht, ihn aus der Wohnung zu werfen», sagt Daniel Suter. «Zu Hause hat er die Regeln immer befolgt.» Auch nach dem Auszug blieb sein rechtsextremes Gedankengut Hauptthema in der Familie. Mit den Jahren sei es für sie immer schwieriger geworden, ihn einfach als ihren Sohn anzusehen und nicht als Skinhead, erzählt Jacqueline Suter. Wenn er zur Türe reingekommen sei, habe sie als erstes auf seine Kleider geachtet. Und habe sie in der Zeitung einen Bericht über ein Skin-Treffen gelesen, habe sie sofort zum Telefonhörer gegriffen, um ihn zu fragen, ob er dabei gewesen sei.

Oft haben sich Jacqueline und Daniel Suter gefragt, was die Gruppierung ihrem Sohn bietet, was sie ihm nicht geben können. Weshalb gerade ihr Sohn ein Neonazi geworden ist. «Gefährdet sind die Ängstlichen, und er war ängstlich. In dieser Uniform konnte er sich quasi verstecken», vermutet Jacqueline Suter.

Draussen?

Das Verstecken in der Uniform der Rechtsextremen scheint für den mittlerweile 26-Jährigen und seine Familie zu Ende. «Er sagt, er sei draussen, und ich glaube es ihm gern», sagt Jacqueline Suter. Sie habe es satt, mit der Etikette «Mutter eines Rechtsextremen» rumzulaufen. Mit dem Ausstieg des Sohnes ist für sie aber noch längst nicht alles getan. Weil zehn Jahre rechtsextreme Indoktrinierung nicht einfach abgelegt werden könnten wie eine Bomberjacke und ein Lonsdale-Shirt. «Wir werden weitermachen wie bis anhin und unseren Mund nicht halten, obwohl er ein erwachsener Mann ist», sagt sie. «Wir wollen seine Familie sein, und das weiss er auch. Jetzt muss er entscheiden, wer seine Familie ist.»