Züri Oberland 24. In der Gemeinde Maur wurden Flugblätter verteilt, welche die Gemeinden und den Staat als Firmen bezeichnen. Der Absender, ein Architekt aus Wetzikon, imitierte dafür die offizielle Maurmer Gemeindezeitung.
Konspirative Gedanken haben spätestens seit der Coronapandemie Hochkonjunktur. In Eschenbach kursierte vergangene Woche ein Flugblatt mit staatskritischem und irreführendem Inhalt, das in seiner Tonalität an die deutschen «Reichsbürger» erinnerte. Letztere entziehen sich den Gesetzen und Reglementen und bezeichnen Gemeinden und Staat als Firmen. Solche Staatsverweigerer bezahlen typischerweise keine Steuern oder Bussen und anerkennen weder die Polizei noch ein Gericht.
Gemeindewappen verwendet
Um dem verstörenden Schreiben, das in Eschenbach verteilt wurde, einen offiziellen Anstrich zu verleihen, verwendeten die anonymen Absender das Gemeindewappen von Eschenbach sowie das St. Galler Kantonswappen als Illustration. Der Eschenbacher Gemeinderat reagierte umgehend und liess via Communiqué mitteilen: «Um Verunsicherung vorzubeugen, distanziert sich die Gemeinde hiermit offiziell vom irreführenden Schreiben, auf welchem auch das Gemeindewappen abgedruckt ist. Die Gemeinde erwägt, eine Strafanzeige gegen die Verursacher einzureichen.»
Auch in Maur
Just am selben Tag flatterten auch in der Gemeinde Maur am Greifensee zwei Flugblätter in die Briefkästen. Absender ist ein Architekt aus Wetzikon, der schon zuvor mit verschwörerischer Propaganda aufgefallen war.
Zeitungs-Privatisierung als Verschwörung?
In einem der Flugblätter, das Gemeinde, Kantone und Staat als «Firmen» bezeichnet und die angedachte Privatisierung der Lokalzeitung «Maurmer Post» als Beweis für die kruden Theorien aufführt, verwendet der Verfasser den Schriftzug ebendieser Wochenzeitung. Das Flugblatt wurde just an jenem Datum verteilt, an dem die echte Publikation (wegen Ostern) nicht erschienen ist.
Der Absender des Flugblatts moniert einleitend, dass ein zuvor von ihm eingereichtes Inserat, welches «die geheimen Prozesse aufdecken» sollte, abgelehnt worden sei. Damit werde «eine Diskussion verhindert», welche die ganze Gesellschaft im Grundsatz treffe.
Eidgenossenschaft mit Sitz in Belgien
In dem Flugblatt ist auch die Rede von der «geheim durchgeführten Privatisierung der einstigen öffentlich-rechtlichen Institutionen zu privaten Kapitalgesellschaften». Zudem werden darin diverse Politiker:innen, etwa Ernst Stocker, Jacqueline Fehr oder Martin Bornhauser, diffamiert und als Umsetzer der grossen Konspiration bezeichnet.
Ausserdem heisst es beispielsweise, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft ihren Sitz in Belgien habe und sie 2014 „incorporated“, d. h. als Kapitalgesellschaft eingetragen worden sei. Oder dass die öffentlich-rechtliche Schweiz mit Bund, Kanton und Gemeinden nicht mehr existiere. Sie werde uns nur noch vorgetäuscht. Alle Handlungen der ehemaligen Behörden und Ämter seien null und nichtig. Sie seien weder handelsrechtlich noch hoheitlich befugt, tätig zu sein.
Flugblatt-Verfasser aktenkundig
Bei der Gemeinde Maur will man die Sache nicht überbewerten. Rechtliche Schritte seien kein Thema, heisst es auf Anfrage – obwohl der Verfasser der Blätter bei der Kantonspolizei aktenkundig sei. Grundsätzlich stelle man seit der Pandemie eine Anhäufung von Verschwörungs-Theoretiker:innen und Staatskritiker:innen fest. Das gehe bis zu Einwohnenden, die ihre Steuern nicht mehr bezahlen wollen.
Rechtsradikales Milieu
In der Vergangenheit wurden solche Flugblätter auch bereits andernorts in der Schweiz verschickt, zum Beispiel in Wittenbach und Baselbieter Gemeinden. Noch können die Beispiele als Einzelfälle bezeichnet werden. Die Art, mit der die Absender vorgehen, gibt aber zu denken – und erinnert definitiv an die deutschen Reichsbürger, die sich oft im rechtsradikalen, antisemitischen Milieu bewegen. In Deutschland gab es auch schon etliche Auseinandersetzungen, 2016 wurde in Bayern gar ein Polizist von einem Anhänger der Reichsbürgerbewegung getötet.
In der Schweiz noch wenig organisiert
In der Schweiz seien die Staatsverweigerer jedoch noch wenig organisiert, sagte Soziologe Marko Kovic im Dezember 2022 gegenüber SRF. Das Gewaltpotenzial sei entsprechend kleiner. Wenn es noch nicht viele Leute gebe, die an etwas glaubten, dann sei auch das Radikalisierungspotenzial noch gering. Wenn es aber in Zukunft eine Bewegung in diese Richtung geben sollte, dann könne aus der radikalisierten Breite auch eine gewaltbereite Spitze entstehen und zu einer Gefahr für die Demokratie werden, so Kovic.