Lukas Egli
Die Strategie der Schweizer Ultrarechten trägt Früchte: Auf Gemeindeebene feiern sie Wahlerfolge. Doch sie bleiben eng mit der gewaltbereiten Skin-Szene vernetzt. Und sie verbreiten rassistisches Gedankengut, sagt ein aktuelles Urteil.
Fast ein Jahr lang hat man die Neonazis in Burgdorf kaum gesehen. Früher sassen sie oft im Restaurant Landhaus oder im «Meeting Point» in der Oberstadt. Plötzlich waren sie wie verschwunden. Aber eigentlich waren sie präsenter denn je. Nur nicht in der Altstadt. Sie hatten am Stadtrand ein eigenes Lokal gefunden.
Sie mieteten sich in einer Gewerbeliegenschaft am Einschlagweg ein. Er wolle das Lokal als Musikraum benutzen, gab der Mieter an. Tatsächlich probte darin die Nazirockband Indiziert. Bis sich eine Nachbarin über den Lärm beklagte. Danach wurde der Raum für stillere Aktivitäten genutzt. Am Einschlagweg 67 traf sich fortan die regionale Rechtsextremen-Szene. Exponenten der Nationalen Offensive, der Helvetischen Jugend, der Schweizer Hammerskins, aber auch der Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) gaben sich die Klinke in die Hand. Etliche von ihnen sind wegen Gewalttaten vorbestraft.
Das Bundesamt für Polizei registrierte im Jahr 2004 insgesamt 111 rechtsextrem motivierte Vorfälle in der Schweiz, 9 mehr als im Jahr zuvor. Mit 17 weist der Kanton Bern am meisten Vorfälle auf. Zählt man diejenigen der Kantone Solothurn und Aargau dazu, zeigt sich, dass rund ein Drittel aller rechtsextremen Aktivitäten im Mittelland geortet wurden – ein brauner Fleck auf der Landkarte.
Krawatte statt Glatze
«Ich kenne den Vater des Mieters von der Feuerwehr. Ich hätte nie gedacht, dass sein Sohn mit Neonazis verkehren würde», sagt der Bauunternehmer Adolf Bürki, Besitzer der Liegenschaft Einschlagweg 67. Auch in der Nachbarschaft will niemand etwas von konspirativen Treffen der Rechtsradikalen bemerkt haben, obwohl das Quartier bewohnt ist und kaum Schutz für lichtscheue Gestalten bietet. Als ihm klar geworden sei, wer sein Haus frequentiere, habe er den Mietvertrag sofort gekündigt, erklärt Bürki. Das Ganze sei ihm sehr peinlich.
Adolf Bürki sagt das, was alle sagen, die den Neonazis Räume vermieten: Man habe nicht gewusst, mit wem man es zu tun habe, man sei getäuscht worden. So werden im Mittelland jährlich Dutzende von Waldhütten und Schiessstände an Rechtsradikale vermietet. Die Schweizer Hammerskins beispielsweise feierten am 2. Juli auf der Schiessanlage Winigraben bei Lyss BE unbehelligt mit rund 300 Sympathisanten und einschlägig bekannten Bands wie Blitzkrieg (D), Hatemachine (USA) und Civico 88 (I) ihr 15-Jahr-Jubiläum.
Nach dem Rausschmiss in Burgdorf mietet derselbe Aktivist in einer alten Hefefabrik in Hindelbank einen neuen Raum. Diesmal fliegen die Neonazis rasch auf. Nach einem Konzert von Indiziert am Vorabend des 1. Mai, an dem in Solothurn 120 Mitglieder der Helvetischen Jugend aufmarschieren und sich eine Schlacht mit der Polizei liefern, wird auch dieser Vertrag gekündigt. Nun tauchen die Neonazis wieder vermehrt in der Burgdorfer Altstadt auf.
So etwa am traditionellen Volksfest Solennität am 28. Juni: Drei Neonazis greifen zwei Linke an und verfolgen sie. Im Restaurant Aemmi trifft der Pulk auf eine Schulverbindung, zu der auch SP-Stadtrat Nadaw Penner gehört. Es kommt zur Keilerei, bei der eine Person verletzt wird. Vor Ort dabei: Pascal Lüthard aus Roggwil, der Berner Sektionschef der Partei National Orientierter Schweizer (PNOS), der als Strippenzieher der Szene gilt und nicht an der Schlägerei beteiligt gewesen sein will. Er ist wegen Übergriffen vorbestraft. «Hier ist eine braune Suppe am Kochen, der ich viel zutraue», meint der schweizerisch-israelische Doppelbürger Nadaw Penner.
Krawatte statt Glatze – so könnte die Strategie der am 1. August 2000 beim ersten grossen Aufmarsch der Rechtsextremen auf dem Rütli gegründeten PNOS umschrieben werden. Die Partei strebt «eine ganzheitliche Neuordnung des Staates» an, die «Errichtung eines echten Volksstaats, in welchem das Schweizer Volk leben und gedeihen kann, befreit von Globalisierungswahn, kapitalistischer Ausbeutung, Überfremdung, Umwelt- und Familienzerstörung». Das Logo zeigt ein Schweizer Kreuz, darin prangt ein Morgenstern.
«Nationalsozialist? Ja»
Parteichef Jonas Gysin gibt sich moderat. Die PNOS sei die zweite Mitte, sagt er. Sie sei «wirtschafts- und ausländerfeindlich» und liege in Fundamentalopposition zur FDP. Der 25-Jährige bezeichnet sich als Nationalsozialist, nicht aber als Rechtsextremer. Er bestreitet nicht, dass die PNOS ein Sammelbecken für rechte Extremisten ist. «Es ist mir egal, welche Haarlänge einer hat. Es gibt Leute aus der Skinhead-Szene, die bei uns mitmachen. Dazu stehen wir», so Gysin, Exmitglied des Skin-Netzwerks Blood and Honour und wegen zweier Überfälle vorbestraft. Ausserdem ist jetzt die PNOS-Führung vom Bezirksamt Aarau wegen Rassendiskriminierung verurteilt worden.
Gysin pflegt Kontakte zu sämtlichen rechtsextremen Gruppen der Schweiz, so auch zur Avalon-Gemeinschaft, der mehrere Holocaust-Leugner angehören. Am 11. Juni hielt er am «Fest der Völker» in Jena, wo prominente europäische Neonazikader und -bands auftraten, eine Rede. Mit dabei: Indiziert vom Einschlagweg 67.
«Die PNOS kann noch nicht als reine politische Partei bezeichnet werden», sagt Jürg Bühler vom Dienst für Analyse und Prävention des Bundesamts für Polizei. Ihre Exponenten seien immer wieder bei gewalttätigen und rassistischen Ereignissen anzutreffen. Inhaltlich würden sie sich zwar gemässigter geben als rechte Skinhead-Gruppen, die Themen seien aber identisch. «Wie ernst das Bekenntnis der PNOS zur Gewaltlosigkeit ist, ist längerfristig zu beurteilen.»
Langenthal, 25 Kilometer nordöstlich von Burgdorf. Die Kleinstadt diente dem Marktforschungsinstitut IHA-GfK jahrelang als Testmarkt. Die Bewohner des Städtchens entsprächen absolut dem Schweizer Durchschnitt, so die Marktforscher. Die Heimat der Durchschnittsschweizer indes hat ein Imageproblem: Seit Jahrzehnten ist «Langetu» wegen Neonaziaktivitäten im Gerede. Vorläufig letztes Kapitel: die Wahl des 20-jährigen Strassenbauers Tobias Hirschi von der PNOS ins Stadtparlament im Oktober 2004. Hirschi ist der erste Rechtsextremist, der in der Schweiz auf einer eigenen Liste in eine Legislative gewählt wird. Er erzielte 415 Stimmen. 106-mal wurde seine Liste eingelegt; sein Name wurde unter anderem 149-mal auf der SVP-Liste panaschiert.
«Langenthal ist kein rechtsextremes Nest», sagt Stadtpräsident Hans-Jürg Käser. Die Neonazis verkehrten zwar gern in Langenthal, aber die meisten kämen aus der Umgebung. Ein verständlicher, wenn auch unbeholfener Abwehrreflex – niemand kommt gern wegen Neonazis ins Gerede. Doch seit Hirschis Wahl lassen sich die Langenthaler Rechtsradikalen nicht mehr wegdiskutieren.
«Auf der Liste der SVP waren nur 36 von 40 Zeilen gefüllt. Diese vier leeren Zeilen sind mit ein Grund, weshalb Hirschi gewählt worden ist», sagt Stadtvater Käser. Langenthal habe eine lange liberale Tradition, die selbst die SVP hochhalte. Offen ist, ob Hirschi, der am Einschlagweg 67 verkehrte und sich gern an rechtsextremen Umzügen zeigt, gerade wegen der liberalen Parteienlandschaft gewählt wurde.
«Gesellschaftlich sind die PNOS-Exponenten zwar Aussenseiter, doch inhaltlich sind sie in gewissen Bereichen bereits salonfähig geworden», sagt der Langenthaler Stadtchronist und Pfarrer Simon Kuert. Rechtsextremismus sei in Langenthal zu lange nicht thematisiert worden.
Mittlerweile ist Jungpolitiker Hirschi im Politalltag angelangt. Ende Juni reichte er seine ersten Motionen ein. Die eine wollte ein Bettelverbot, die andere verlangte, dass die fraktionslose PNOS in Kommissionen einsitzen kann. Der Gemeinderat lehnte beides ab. Die Bettelmotion hätte er als Postulat entgegengenommen, aber Hirschi wusste nicht, wie man wandelt. Er las eine Rede ab Blatt – auf Hochdeutsch, alle anderen sprechen berndeutsch. Es war kein rhetorischer Höhenflug. Etliche fragten sich, ob er die Rede selbst verfasst hat.
Günsberg, ein Dorf 22 Kilometer nordwestlich von Langenthal. 1131 Einwohner, 421 Rentner, 377 Pendler, 91 Ausländer, 10 Arbeitslose. Hier kommt die PNOS am 24. April 2005 zu ihrem zweiten historischen Sieg. Der 19-jährige Dominic Bannholzer -auch er Strassenbauer – erobert im Alleingang mit ausländerfeindlichen und bauernfreundlichen Parolen das erste Exekutivmandat für die PNOS. Er vereinigt einen Stimmenanteil von stolzen 21 Prozent auf sich. Der Dorfbub ist der einzige PNOS-Exponent, der keine Skin-Erfahrung hat. Diese Szene interessiere ihn nicht, meint er. Es sei das Parteiprogramm der PNOS, das ihn angesprochen habe.
Nazifahnen im Dorf
«Nein, Günsberg hat kein Ausländerproblem», sagt Gemeindepräsident Andreas Eng. Der Ausländeranteil liegt bei acht Prozent, weniger als die Hälfte des Schweizer Durchschnitts. «In ganz Europa gibt es eine Wählerschicht von 10 bis 15 Prozent, die nationalkonservativ und ausländerfeindlich stimmt», so Eng. Das Proporzsystem könne in Kombination mit dem Protestwähler-Phänomen dazu führen, dass einer, der im Dorf einigermassen bekannt sei, es fertig bringe, in den Gemeinderat gewählt zu werden. «Es kann sein, dass das Fehlen einer SVP-Ortspartei die Wahl der PNOS begünstigt», sagt er.
Doch weiter mag Eng nicht orakeln. Lieber wendet er sich dem Tagesgeschäft zu. Er wolle «gewählt ist gewählt» Bannholzer integrieren, erklärt der Gemeindepräsident. Bannholzer werde ein Ressort übernehmen, wie alle andern auch. «Einen Spielraum für extremistische Politik gibt es sowieso kaum. In einer Gemeindebehörde geht es um sachspezifische Fragen. Da kommt es nicht darauf an, ob einer Faschist oder Anarchist ist», sagt er.
Roggwil, 24 Kilometer östlich von Günsberg. Hier will die PNOS im Herbst 2006 zu den Kommunalwahlen antreten. Die Chancen stehen gut: In Roggwil paradieren schon einmal Jugendliche mit Nazifahnen durchs Dorf, ohne dass ihnen jemand Einhalt gebietet. Beim diesjährigen Maitanne-Frühlingsfest strichen die «Stellbuben» fünf junge Ausländerinnen von der Namensliste. Balaswissney, Florentina, Hadzere, Shiela und Erna – diese Namen wollten die künftigen Rekruten nicht unter der Schweizer Fahne lesen. Die Liste war in altdeutschen Buchstaben geschrieben. Dennoch wollen die etablierten Politiker keine rechtsextremen Tendenzen erkennen. Der Gemeindepräsident von Roggwil, Erhard Grütter, mag die Kandidatur der PNOS nicht weiter kommentieren. «Keine Chance», sagt er. Das meinten auch die Langenthaler und die Günsberger.
Nur der FDP-Präsident Res Gygax mahnt: «Das Thema Rechtsextremismus wird in Roggwil unterschätzt und verdrängt. Ich befürchte, dass es hier irgendwann richtig knallt», sagt er.