Der dritte Prozesstag förderte weitere schreckliche Details des Mordfalles Marcel von Allmen zu Tage. Gestern sagte der bereits vor Jugendgericht wegen Mordes verurteilte Alexis T. als Zeuge aus.
Stefan Geissbühler
«Marcel M. lachte nach der Tat und erzählte, welch merkwürdige Geräusche Marcel von Allmen gemacht hatte – Marcel M. fand es einfach lustig»: Mit tränenerstickter Stimme erinnert sich Alexis T. an die Nacht des 27. Januars 2001, als sich der «Orden der arischen Ritter» in der Wohnung von Michael S. traf «und wir mit Roséwein anstiessen auf das, was passiert war».
Der heute 20-jährige Alexis T. sagt als Zeuge im Prozess gegen seine ehemaligen Kollegen Marcel M. , Renato S. nd Michael S. aus, die seit Montag wegen Mordes an Marcel von Allmen vor Gericht stehen. Alexis T. wurde wegen dieser Tat bereits im Dezember 2001 von Jugendgericht wegen Mordes schuldig gesprochen und zu einer mindestens zwei Jahre dauernden Vollziehungsmassnahme in einem Erziehungsheim verurteilt.
Folgenschwere Geschichte
Jetzt erzählt er im Gerichtssaal, dass er ungewollt in die Fänge des «Orden der arischen Ritter» geraten sei. Dass er mit Rechtsextremismus nie etwas am Hut gehabt hatte. Und dass er sich an der Tat beteiligt habe, weil er gedacht habe: «Wenn ich nicht mitmache, bin ich der Nächste. » Es ist spürbar, dass es Alexis T. sehr schwer fällt, die Ereignisse wieder hervorzuholen. Er tut sich schwerer damit als die drei Angeschuldigten, die in den letzten Tagen ausgesagt haben – Alexis T. war zum Tatzeitpunkt erst 17 Jahre alt. Er gibt die Geschichte zu Protokoll, die Marcel von Allmen auf dem «Bödeli» herumgeplaudert hatte.
Diejenige Geschichte, die Marcel von Allmens Mitbrüder des «Ordens der arischen Ritter» zum Anlass nehmen sollten, über Marcel von Allmen das Todesurteil zu verhängen und ihn hinzurichten: «Marcel von Allmen erzählte mir, dass Marcel M. nd Michael S. einem Tamilen die Finger abgeschnitten haben», sagt Alexis T. aus. Diese Geschichte habe Marcel von Allmen auch anderen Personen auf dem «Bödeli» erzählt. Ob sie stimme, wisse er nicht, sagt Alexis T. Jedenfalls habe der Hauptangeschuldigte und Kopf des «Ordens der arischen Ritter», Marcel M. , davon erfahren – und Marcel von Allmen zum Steindler-Schulhaus in Unterseen zitiert. Zu diesem Treffen habe ihn Marcel M. mitgenommen, sagt Alexis T.
Strafaufgaben verteilt
Beim Schulhaus habe Marcel M. seinem Mitbruder Marcel von Allmen «Strafaufgaben verteilt»: Dieser sollte den Satz «Man soll seine Kameraden nicht verraten» 100 Mal aufschreiben. Marcel von Allmen sei sehr nervös geworden und sei gegangen. «Dann sagte mir Marcel M. , man müsste von Allmen verräumen», sagt Alexis T. nter Tränen. Und weiter: «Marcel M. erklärte, dass ich jetzt zu viel wisse und deshalb ab sofort dem Orden auch angehöre. » Deshalb habe er an der Tötung mitgemacht, stellt Alexis T. fest. Denn Marcel von Allmen habe ihm erzählt, dass es nur drei Ausstiegsmöglichkeiten aus dem «Orden» gebe: «Tod durch Erschiessen, die Schweiz verlassen oder eine Familie gründen. »
«Ich sah keinen Ausweg»
«Ich traute mich nicht, Nein zu sagen», gibt Alexis T. zu Protokoll, «und ich sah keinen Ausweg mehr. » Aber: «Nein, es stimmt nicht, dass ich mich für die Tatausführung aufdrängte, wie das Marcel M. behauptet», sagt der 20-Jährige. Er habe eigentlich auch nicht auf den am Boden liegenden Marcel von Allmen einschlagen wollen – habe dies aber getan, «damit nicht auffiel, dass ich eigentlich gegen die Tat war». Ob jemand zum tödlich verletzten Marcel von Allmen gesagt habe: «Verreck endlich», könne er nicht bestätigen. Bestätigen könne er aber, «dass Marcel M. dem Opfer von Hand das Genick brechen wollte». Vorher habe Marcel M. «fünf bis zehn Minuten» mit einem Chromstahlrohr auf Marcel von Allmens Kopf geschlagen, die ganze Tat bei der Ruine Weissenau habe 20 Minuten gedauert. Dabei habe Marcel M. die «Anweisungen gegeben». Auch jene, dass er dem sterbenden Marcel von Allmen, «der sich noch bewegte», die Handschellen abnehmen musste, sagt Alexis T. sichtlich schockiert.
«Reine Schutzbehauptung»
Dass Alexis T. nfreiwilligerweise in die Fänge des «Ordens der arischen Ritter» geraten sei und nur aus Angst zum Mittäter geworden ist, glaubt Marcel Grass, der Verteidiger des Hauptangeschuldigten Marcel M. , nicht. «Hat das Jugendgericht in seinem Urteil nicht festgehalten, dass diese Angst als reine Schutzbehauptung zu qualifizieren ist?», fragt der Verteidiger den Zeugen Alexis T. Dieser verneint die Frage, will zu diesem Punkt aber auch keine weiteren Aussagen machen. Grass hakt nicht nach und spart sich diesbezügliche Argumente für sein Plädoyer, das er am Freitag halten wird – wenn es überhaupt so weit kommt.
Ein neues Gutachten?
Denn Verteidiger Grass wird es sein, der am heutigen Prozesstag neben Gerichtspsychiater Volker Dittmann eine Hauptrolle spielen könnte. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Verteidiger Dittmanns Gutachten über Marcel M. torpedieren wird. Darauf lassen Fragen des Verteidigers vom zweiten Prozesstag schliessen. «Dittmann hat mich nur zweimal gesehen und mich ohne Aktenkenntnis begutachtet», sagte Marcel M. auf Frage seines Verteidigers. Ob Grass deshalb heute den Antrag auf ein neues Gutachten stellt, mochte er gestern nicht sagen. Falls das Gericht einem solchen Antrag stattgeben würde, müsste der Prozess abgebrochen werden. Tritt dieser Fall nicht ein, plädiert heute Nachmittag Staatsanwalt Hans Peter Schürch.