Newsnetz vom 23.06.2011
SVP-Nationalrat Oskar Freysinger pilgerte kürzlich zum umstrittenen Rechtspopulisten Geert Wilders. Nach Ansicht von Politologen ist es eine Tatsache: Die SVP und die holländische PVV sind sich sehr ähnlich.
Oskar Freysinger hat sich zum politischen Wanderprediger entwickelt. Der SVP-Nationalrat aus dem Wallis tritt gerne bei rechtspopulistischen Parteien im Ausland auf. Dort referiert er über die Vorzüge der direkten Demokratie, aber auch über deren Nutzen im Kampf gegen den Islamismus. Für Schlagzeilen sorgte insbesondere Freysingers Reise nach Den Haag, wo er Geert Wilders traf. Der Chef der niederländischen Freiheitspartei PVV («Partij voor de Vrijheid») hat den Ruf, ein Islamfeind und Rechtsextremist zu sein. Die Justiz hat ihn allerdings soeben reingewaschen: Wilders wurde von einem Gericht in Amsterdam vom Vorwurf der Anstiftung zum Rassismus und der Diskriminierung von Muslimen freigesprochen.
«Wilders ist nicht rechtsextrem», sagte Freysinger kürzlich im Gespräch mit . Vielleicht sei er in der Wortwahl nicht vorsichtig genug. Aber, und dies sei entscheidend: «Wilders politisiert auf derselben Linie wie die SVP», ist der Walliser überzeugt.
SVP und PVV sind gemäss Studie in vielen Punkten sehr ähnlich
Mit der Einschätzung, dass Wilders nicht rechtsextrem sei, «ist Freysinger sicher nicht mehrheitsfähig», meint Andreas Ladner, Politologe am Hochschulinstitut für öffentliche Verwaltung (IDHEAP) in Lausanne. «Oft besteht eine grosse Diskrepanz zwischen der Selbsteinschätzung solcher Exponenten, vor allem auch wenn sie nach ihren Absichten gefragt werden, und dem, wie ihre politischen Botschaften aufgenommen und zu Recht auch interpretiert werden können.» Rechtsextremismus ist offensichtlich ein schillernder Begriff (siehe Infobox).
Ladner bestätigt allerdings die Aussage von Freysinger über die Gemeinsamkeiten von SVP und PVV. Dabei verweist Ladner auf eine im vergangenen Jahr erschienene Studie* über europäische Parteien. Demnach sind die politischen Profile der SVP und der Partei von Wilders in vielen Punkten sehr ähnlich (siehe Bildstrecke). «Dies hängt vor allem auch damit zusammen, dass sie neben der integrationsfeindlichen Haltung für tiefe Steuern und eine liberale Wirtschaftspolitik eintreten und sich nicht für einen ausgebauten Sozialstaat stark machen», erklärt Ladner gegenüber . «Darin unterscheiden sich SVP und PVV auch von rechtspopulistischen Parteien wie der FPÖ in Österreich oder dem Vlaams Belang in Belgien.»
«Alles Hans was Heiri»
Eine Verwandtschaft zwischen SVP und PVV sieht auch Hanspeter Kriesi, Professor der Politikwissenschaft an der Universität Zürich: «Wilders ist so rechts wie die SVP, und seine Positionen unterscheiden sich nicht von jenen der SVP.» Die SVP sei sehr national-konservativ, aber vermutlich nicht rechtsextrem, präzisiert Kriesi gegenüber .
Im europäischen Vergleich gehöre die SVP zu einer ziemlich homogenen Parteienfamilie. SVP, PVV, BZÖ-FPÖ in Österreich, Front National in Frankreich, die skandinavischen Populisten wie die «Wahren Finnen»: «Alles Hans was Heiri», meint der Zürcher Politologe. «Die Schweizer wollen nicht wahrhaben, wo ihre SVP wirklich steht.»
Schadet Freysinger seiner Partei?
Obwohl Freysinger die Gemeinsamkeiten zwischen SVP und PVV betont, sind dessen Auslandseskapaden bei seiner Partei nicht gern gesehen. Dies zeigt insbesondere die Kritik des Zürcher Nationalrats Christoph Mörgeli. «Genauso, wie wir nicht wollen, dass sich fremde Politiker in unsere Angelegenheiten mischen, wollen wir auch nicht im Ausland missionieren», sagte Mörgeli dem «Blick». Andere SVP-Exponenten halten sich mit öffentlicher Kritik zurück. Im Ausland aufzutreten, sei die persönliche Entscheidung von Freysinger, sagte Hans Fehr, Nationalrat aus dem Kanton Zürich, kürzlich dem . Das sei kein Problem und in der SVP kein Thema.
Trotzdem: Schadet Freysinger seiner Partei, wenn er auf Europatour geht? Vor allem, wenn er bei rechtsextremen Gruppierungen wie «Riposte Laïque» in Paris auftritt oder sich mit umstrittenen Politikern wie Wilders zeigt? «Für die SVP ist es sicher nicht von Nutzen, mit sämtlichen rechtsextremen Gruppierungen in Europa in Verbindung gebracht zu werden», antwortet der Politikwissenschaftler Andreas Ladner.
Freysinger betreibt klassisches SVP-Politmarketing
Ein anderer Experte, der Zürcher Politologe und Politikberater Louis Perron, meint, «dass Wilders bei der breiten Schweizer Bevölkerung wohl zu wenig bekannt ist, als dass es der SVP gross schaden oder nützen würde». Perron betont vielmehr, dass die Auslandsauftritte – dank der medialen Präsenz – Freysinger selber nützen. «Es ist klassisches Politmarketing, wie es die SVP seit Jahren routiniert betreibt: durch einen Pseudo-Skandal oder eine Provokation mediale Aufmerksamkeit generieren, welche es dann erlaubt, im redaktionellen Teil die eigene Botschaft zu wiederholen.»
Die Bedeutung von Freysinger in der SVP Schweiz sei ohnehin nicht allzu gross, wie Perron gegenüber zu verstehen gibt. «Er gehört nicht wirklich zu den Leadern der Partei, dazu ist er zu sehr ein Einzelkämpfer. Seine Tour durch Europa ist diesbezüglich ein perfektes Beispiel», sagt Perron. «Die restliche Parteiprominenz – allen voran auch Christoph Blocher – hält sich mit Auftritten im Ausland sehr zurück.»
«Freysinger braucht die SVP immer weniger»
Auch der Politologe Andreas Ladner ist der Ansicht, dass Freysinger innerhalb der SVP über keine grosse Anhängerschaft verfüge und auch keine Parteiströmung verkörpere. «Freysinger hatte bei der Anti-Minarett-Initiative eine wichtige Funktion für die SVP», sagt Ladner. Dabei sei er international bekannt geworden. «Mit seinem Bekanntheitsgrad als Kämpfer gegen die Islamisierung und für die direkte Demokratie braucht er die Partei heute aber immer weniger.» Freysinger lasse sich auch kaum kontrollieren.
Und das ist tatsächlich so. «Ich lasse mir von niemandem etwas vorschreiben», sagte Freysinger dem . Sein Plan, mit Wilders eine Islam-Konferenz im Wallis zu veranstalten, ist zwar gescheitert. Dennoch hält er daran fest: Nach den eidgenössischen Wahlen im Herbst will Freysinger den umstrittenen Politiker in die Schweiz holen.
* Andreas Ladner, Gabriela Felder, Stefani Gerber und Jan Fivaz (2010). Die politische Positionierung der europäischen Parteien im Vergleich. Eine Analyse der politischen Positionen der europäischen Parteien anlässlich der Wahlen des Europäischen Parlaments 2009 mit besonderer Berücksichtigung der Schweizer Parteien. Chavannes-près-Renens: Cahier de l’IDHEAP Nr. 252