Studie über persönliche Entwicklung und kollektive Prägungen
Manche Angehörige rechtsextremer Jugendgruppierungen werden dieser bald überdrüssig. Ein Forschungsprojekt hat die Bedingungen des Ausstiegs und die bleibenden Prägungen näher untersucht.
C. W. Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms über Rechtsextremismus haben Sozialwissenschafterinnen der Universität Basel unter Leitung des Soziologen Ueli Mäder und des Pädagogen Wassilis Kassis untersucht, was Jugendliche dazu bewegt, sich von einem rechtsextremen Zirkel wieder zu lösen. Es wurden 40 Personen mit Bindungen zu jener Szene in einem grösseren Zeitraum dreimal befragt. Es handelte sich um 35 männliche und 5 weibliche Personen zwischen 14 und 35 Jahren. 13 der Befragten hatten eine rechtsextreme Gruppierung verlassen, 10 weitere befanden sich in einer noch unklaren Situation. Einige Ergebnisse des Projekts, die auch für die Prävention und für Ausstiegshilfen relevant sein könnten, sind nun publiziert worden.
Differenzierte Szene
Den rechtsextremen Gruppierungen gemeinsam sind die Betonung von Zugehörigkeit beziehungsweise von Feindbildern, die allenfalls zur Anwendung von Gewalt führen kann, kollektive Identitätsvorstellungen und Handlungsrituale sowie die Pflege spezifischer Kleidungs- und Musikstile. In der Studie werden vier Formen unterschieden: lose Zusammenschlüsse, hierarchische, stark politisierte nationalistische Organisationen, informelle Cliquen sowie «Kameradschaften» mit geheimbündlerischen Zügen. Der Einstieg ist meist relativ einfach. Für die Anerkennung genüge vorerst die Bejahung der Gruppenmeinung. Jugendliche suchen in diesen Kreisen teils die Befriedigung emotionaler Bedürfnisse, vor allem in einer verunsichernden Lebensphase, teils die Verwirklichung ideologisch-politischer Vorstellungen. Im zweiten Fall bleiben sie länger in der Szene tätig.
Ausbruch aus der Einengung
Es zeigt sich nun, dass gerade manche spezifischen Erwartungen in rechtsextremen Gruppen nicht erfüllt werden und dass dies nach einiger Zeit zur Abwendung von Mitgliedern führt. Die rigiden Strukturen und die Betonung des Kollektiven lassen keinen Raum für die Bewältigung persönlicher Probleme, auch nicht für eigentliche Freundschaft. Das Gruppenleben wird zunehmend als monoton empfunden, es regt sich der Wunsch nach einem «normalen», auch zu geniessenden Leben. Politische Ziele wiederum lassen sich in marginalen Gruppierungen ebenfalls nicht erreichen. Strafverfahren können, bald nach einem Delikt durchgeführt, den Ausstieg begünstigen, eine Person aber in der Gruppe auch aufwerten. Positiv können sich ferner gute Erfahrungen mit Angehörigen von «Feindgruppierungen» – konkret: Ausländern – auswirken.
Zu diesen Faktoren kommen Einflüsse seitens der Aussteiger selber. Die persönliche Entwicklung strebt nach Selbstverantwortung und neuen Erfahrungsräumen. Zentral ist die Möglichkeit, frühere Beziehungen ausserhalb der Szene wieder aufzunehmen. Als auffällig wird eine gewisse Passivität der Eltern konstatiert, auch was den Einstieg betrifft. Sie sind oft überfordert, wollen die Beziehung zu ihrem Kind nicht verlieren oder nehmen die rechtsextreme Aktivität als etwas ohnehin Vorübergehendes hin. Das Arbeitsumfeld, wo sich Rechtsextreme meist zurückhalten, trägt wenig zu deren Selbstbesinnung bei.
Unterschiedlich klarer Bruch
Die Trennung von einer Gruppe bedeutet nicht immer einen völligen Neubeginn. Die Autoren reden nur dann von einem inhaltlichen Ausstieg, wenn nicht nur von der Gewaltbereitschaft, sondern auch von der Vorstellung, die Menschen seien ungleichen Werts, abgerückt wird. Gerade bei ideologisch motivierten Jugendlichen wirke indessen die Prägung durch die Gruppe noch nach. Teilweise verfolgten sie ihre Anliegen später in einer rechtsstehenden Partei, zumal ideologische Gegenargumente sowohl unter den Gleichaltrigen als auch in der Familie fehlten. Namentlich hielten sich etwa antisemitische Gedanken. Die rechtsextremen Kontakte gelten insofern nicht als Phänomen der Pubertät. Allerdings ist unklar, wo die Grenze zwischen einem normalen und einem grundsätzlich problematischen politischen Engagement liegt.
Auf die Faktoren, die auch eine äusserliche Trennung erschweren – Gruppendruck, Vorwurf des Verrats in «Kameradschaften» -, wird nur am Rande eingegangen. Aus der vorliegenden kurzen Zusammenfassung geht auch nicht hervor, wie lange die rechtsextreme Zugehörigkeit jeweils dauert, ob es auch wirklich «bleibende» Angehörige dieser «Jugend»-Szene gibt.