Neue Zürcher Zeitung vom 19.05.2009
Bericht über die innere Sicherheit 2008 in der Schweiz
Die Schweiz weist laut dem Bundesamt für Polizei operatives Potenzial für islamistisch motivierte Terrororganisationen auf. Konkrete Hinweise auf Anschlagsplanungen gab es 2008 jedoch keine.
In der Schweiz hat es gemäss dem am Dienstag vom Bundesamt für Polizei (Fedpol) veröffentlichten Bericht zur inneren Sicherheit im letzten Jahr keine konkreten Hinweise auf Anschlagsplanungen von islamistisch motivierten Terrororganisationen gegeben. Verbindungen ins Umfeld der in Deutschland ausgehobenen Sauerland-Zelle wiesen jedoch darauf hin, dass es im Land neben dem bekannten propagandistischen und logistischen auch ein operatives Potenzial gibt. Im Bereich der organisierten Kriminalität blieben nach wie vor Gruppierungen aus dem Gebiet der ehemaligen Ostblockstaaten und aus Südosteuropa eine Bedrohung. Es sei anzunehmen, dass hochrangige Vertreter krimineller Organisationen aus der GUS nach wie vor versuchten, den Schweizer Finanzplatz zur Geldwäscherei zu missbrauchen.
Serie von Brandanschlägen
Bei der organisierten Kriminalität hat 2008 die Zahl der tatverdächtigen Schweizer gemäss Untersuchungen der Bundeskriminalpolizei um 4 auf 30 Prozent zugenommen. Gleichzeitig nahm der Anteil tatverdächtiger Staatsangehöriger aus Italien um 5 auf 17 Prozent ab. Von 5 auf 10 Prozent verdoppelt hat sich die Zahl französischer Bürger, die in der Statistik an dritter Stelle vor Serbien und Montenegro, Algerien, Albanien und Georgien liegen.
Im Bereich des gewalttätigen Extremismus stellte das Fedpol fest, dass die Lageverschärfung in der Türkei beziehungsweise im Irak und in Sri Lanka zur Akzentuierung der Bedrohung in der Schweiz geführt habe. Eine Serie von Brandanschlägen, die dem Umfeld der Kurdischen Arbeiterpartei zugerechnet wurde, veranlasste den Bundesrat dazu, Massnahmen zur Eindämmung der Aktivitäten dieser Organisation zu ergreifen.
Die Schweiz ist laut Fedpol nicht nur ein Transit-, sondern vor allem ein Zielland von Menschenhandel. Von den letztes Jahr bearbeiteten 412 Fällen standen 52 Prozent in Zusammenhang mit Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung. Schweizerische, rumänische, brasilianische und bulgarische Staatsangehörige machten den grössten Anteil der Personen aus, gegen die wegen Menschenhandels ermittelt wurde. Die am stärksten vertretene Gruppe sind mit 13 Prozent Schweizer. Dies ist gemäss Fedpol ein klarer Hinweis darauf, dass Schweizer in die Prostitution involviert sind und mit ausländischen kriminellen Gruppen zusammenarbeiten. Rumänen stellen mit 10 Prozent den zweithöchsten Anteil.
Opfer von Menschenhandel sind in erster Linie Staatsangehörige aus Rumänien (23 Prozent), Brasilien (11), Bulgarien (10) und Ungarn (9). Dahinter folgen Nigeria, die Ukraine, Thailand, Tschechien, die Slowakei, Russland, Deutschland, Polen, Weissrussland und Kamerun. In vielen der im Zusammenhang mit Menschenhandel und Menschenschmuggel eröffneten Fälle hatten Verdächtige und Opfer dieselbe Staatsangehörigkeit. Dieser Umstand lässt den Angaben nach vermuten, dass Opfer und Migrationswillige jeweils in ihren Herkunftsländern von Menschenhändlern oder Schlepperorganisationen rekrutiert worden sind.
In Bezug auf Schleusertätigkeiten steht Kosovo an erster Stelle der Länder, deren Staatsangehörige des Menschenschmuggels verdächtigt werden. Dahinter folgen dieSchweiz, die Türkei, China, Serbien, der Irak und Sri Lanka. Die Mehrzahl der Opfer von Menschenschmuggel stammte aus Sri Lanka, China, dem Irak und Kosovo.
Neue Routen für Schleusungen
Der seit einigen Jahren festgestellte grosse Strom von Schleusungen von Migranten aus dem Irak nach West- und Nordeuropa führte laut Fedpol lange Zeit um dieSchweiz herum. Seit Mitte 2008 gab es allerdings vermehrt Hinweise, dass die Schleusungen direkt von Italien durch die Schweiz in Richtung Norden führten. Dies belegen auch die Zahlen: Nachdem im Jahr 2006 noch 16 Schleusungen von Irakern in der Schweiz registriert worden waren, waren es 2007 bereits 169 und letztes Jahr 293.
Weiter beschäftigte sich das Fedpol mit dem schweizerischen Rechts- und dem Linksextremismus. Die Zahl rechtsextrem motivierter Ereignisse nahm gegenüber dem Vorjahr von 109 auf 76 ab. Das Gewaltpotenzial bleibe jedoch bestehen. Die Zahl der linksextrem motivierten Vorfälle sank von 221 um gut 3 Prozent auf 214 und blieb damit auf hohem Niveau, wie das Fedpol schreibt. Auch das Gewaltpotenzial dieser Gruppe blieb unverändert hoch.
Deutlich mehr Hooligans
Die Zahl der Ende 2008 im Fedpol-Informationssystem «Hoogan» erfassten gewaltbereiten Personen hat sich gegenüber dem Vorjahr mit 506 Personen praktisch verdoppelt. 185 von ihnen waren am 31. Dezember 2008 mit einem Stadionverbot belegt. Für 164 Personen galt ein Rayonverbot. Während die Anzahl Stadionverbote mit 4 weniger als im Vorjahr stabil blieb, hat sich die Zahl der ausgesprochenen Rayonverbote mehr als verdoppelt. Fedpol schätzt, dass in der Schweiz derzeit 250 Hooligans mit hoher Gewaltbereitschaft und rund 1500 Gewaltbereite leben. Aufgeschlüsselt nach Anhängerschaft, führt der FC Basel die Negativrangliste mit 81 eingetragenen «Fans» an, vor dem FC Luzern (65) und dem FC St. Gallen (40). (ap)