Der Bund vom 01.11.2010
Hundert Personen haben am Samstag gegen Rechtsextremismus protestiert. Beobachtet wurden sie von Zivilpolizisten und Rechtsextremen hinter Häuserecken.
Philipp Schori
Linksautonome reisen mit der Eisenbahn – so auch an diesem Samstagnachmittag: Viele besteigen in Bern den Zug Richtung Langenthal, andere in Burgdorf. Das gemeinsame Ziel: der Protest gegen die rechtsextreme Anti-Minarett-Kundgebung, die vor drei Wochen ebenfalls in Langenthal stattfand (siehe Kasten). Im Zug spricht man über den Vegetarismus, der im Berner Oberland erst wenig verbreitet sei; eine Vierergruppe junger Männer möchte jassen – leider fehlt es an Karten. Manche der späteren Kundgebungsteilnehmer vermögen dem Klischee zu entsprechen und trinken Dosenbier – die schwarze Kapuze hängt zwar noch runter, aber pünktlich bei Ankunft in Langenthal wird sie über den Kopf gestreift. Immerhin sei nur eine Minderheit vermummt, sagt der Langenthaler Gemeinderat Rolf Baer (FDP), während sich die rund hundert Demonstrierenden in Position bringen. Dennoch: Die Passanten verstünden diese Aufmachung nicht. Die Demonstrierenden müssten den Mut haben, mit ihrem Gesicht für ihr Anliegen – das an sich berechtigt sei – zu kämpfen, sagt Sicherheitsdirektor Baer, der die vorwiegend jungen Demonstrierenden über die ganze Zeit hinweg begleitet.
Von der Polizei ist erst wenig zu sehen: Eine Handvoll Sicherheitskräfte regelt den Verkehr vor dem Langenthaler Bahnhof; im Hintergrund sind rund zehn Polizisten in Vollmontur zu entdecken. Am meisten Hektik ist da noch beim Zivilpolizisten im Bahnhofcafé auszumachen. «Ja, ja, das Übliche: der schwarze Block!», meldet er seinen Kollegen per Telefon. Neben ihm auf dem Tisch liegt eine Handkamera; das Objektiv ist auf die Menschentraube gerichtet. Als sich drei Linksautonome auf den Weg machen, um die Strassen rund um den Bahnhofplatz zu begutachten, schreckt er plötzlich auf, schreitet nach draussen – einigermassen unauffällig trägt er die Kamera nun in der Hand. Der Zivilpolizist – auch er in einen Kapuzenpullover gekleidet – taucht auch später von Zeit zu Zeit wieder auf; manch Demonstrierender wird ihn registrieren: Man kennt sich.
Mit der demonstrantischen Viertelstunde Verspätung begeben sich die Aktivisten auf ihren einstündigen Marsch durch Langenthal; aus dem orangefarbenen, in die Jahre gekommenen Begleitfahrzeug dröhnt Rapmusik. An der Spitze des Zugs formieren sich die schwarz gekleideten jungen Leute, die durch lautstarke Sprechchöre auffallen: «Schiesst die SVP auf den Mond, das ist Ausschaffung, die sich lohnt!», stimmt ein Redner in der Einkaufsmeile Langenthals an. Ob ihn die SVP-feindliche Stimmung nicht störe, will ein Radiojournalist von Patrick Freudiger wissen. Freudiger ist SVP-Stadtrat in Langenthal und beäugt für kurze Zeit die Kundgebung, die für zwei Reden zum Stehen gekommen ist. Es gelte die Meinungsfreiheit, antwortet Freudiger dem Journalisten. Und wenn «die hier» demonstrieren wollten, sei das ihr gutes Recht. Er aber, Patrick Freudiger, arbeite lieber, als sich Kundgebungen anzuschliessen. Freudiger bemängelt zudem, dass die Demonstranten ihr Gesicht hinter Masken versteckten. Exakt in diesem Moment flammt das einzige Mal während des ganzen Tags kurz Nervosität auf: Ein Mann taucht aus einer Seitengasse auf – in der Hand eine Kamera. Die Linksautonomen bemerken den offenbar aus dem rechtsextremen Milieu stammenden Mann und beschimpfen ihn lauthals: Man kennt sich.
Der Mann zieht sich zurück, zurück zu einem Sechsergrüppchen junger Leute, das hinter einer Häuserzeile wartet. Auf deren Jacken prangen Symbole, die auf rechtsextremes Gedankengut hinweisen. Die Nervosität klingt bald ab; die Polizei markiert kurzzeitig Präsenz; zwanzig Minuten später löst sich die Kundgebung beim Bahnhof auf: «Bella, ciao» erklingt.
Disziplinierte Demonstration
Für die Kundgebung in Langenthal vom Samstag konnten sich rund hundert Personen motivieren – die meisten aus dem linksautonomen Lager. Die Demonstration war die Antwort auf den Marsch Rechtsextremer, der am 9. Oktober stattfand und sich gegen den geplanten Minarettbau in Langenthal richtete. Als Organisatorin trat damals die Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) auf. Wie schon die Kundgebung von rechts verlief auch jene vom Samstag ohne aufsehenerregende Zwischenfälle: «Die Auflagen wurden zu hundert Prozent erfüllt», sagte der Langenthaler Sicherheitsdirektor Rolf Baer (FDP) im Nachgang.
Zufrieden mit dem Verlauf des Protests zeigten sich auch die Organisatoren, namentlich das Bündnis «Kein ruhiges Hinterland», dem etwa die Junge Alternative (JA!) und die Berner Antifa angehören. In einem Communiqué schreiben sie, die Kundgebung sei nicht bloss ein Zeichen gegen die umtriebigen Neonazis in Langenthal, sondern auch gegen die staatliche Migrationspolitik und die Ausschaffungsinitiative – gegen den «rassistischen Konsens» zwischen den grossen Parteien im Allgemeinen.