antifa / Linke Autonome rufen zu Berns erstem «Antifaschistischen Abendspaziergang» – und rechte Berner Politiker, nach Übergriffen undDrohungen gewarnt, tauchen vorsichtshalber ab. Posse oder Ernst? Die Polizei erlaubt die Demonstration, ist aber auf alles gefasst.
Autor: rudolf gafner
Skinheads, so präsent wie nie, erstmals eine gefestigte Nazi-Szene in Bern: 1999 registrierte die Berner Polizei eine «starke Zunahme»rechtsextremer Aktivitäten – und warnte vor «sehr ernsten Lagen», denn öfters seien «Linke» Opfer «rechter» Gewalt, und griffen auch «Linke»zur Gewalt, drohe wüste Eskalation.
Diese Gefahr scheint nun greifbar – denn linksradikal-autonome «AntifaschistInnen» (Antifa), 1999 «eher in der Defensive», treten zurGegenoffensive an – zum «Auftakt für Veränderung in Bern», wie ein Sprecher sagte: «Nicht länger sollen Nazi-Skins in voller Montur durch dieStrassen gehen und einfach Leute anpöbeln oder verprügeln können.» Antifa und «antirassistische Gruppen in Bern und Umland» riefen imNovember ein «Bündnis ,Alle gegen rechts!’» ins Leben. Brenzlig wurde es etwa im Dezember, als sich im Bahnhof je gut 40 «Linke» und «Rechte»laut Polizei «sehr gereizt» begegneten.
Wirte und Politiker alarmiert
Das war nur ein Vorgeschmack auf den Samstag, 22. Januar: Erstmals in Bern ist ein «Antifaschistischer Abendspaziergang» geplant – eine weitereZitterpartie für die Polizei. Denn einerseits haben die Veranstalter Drohungen erhalten, wonach «Skinheads und Neonazis (. . .) stören» wollten, undandererseits gibt es Leute, die Antifa-Zorn fürchten. Zu letzteren zählen zwei Wirte, deren Bars letzthin im Reitschulblatt «megafon» als «beliebteTreffpunkte» für Skins verdächtigt wurden. «Der 22. wird sicher kein gemütlicher Tag», ahnt Markus Regli, Chef des Pubs Stilbruch im Bahnhof, undso stehe er schon jetzt «in Kontakt mit der Polizei». Sein Publokal sei tatsächlich «von Skinheads als Treff benutzt» worden, doch habe er dem imDezember ein Ende gesetzt: «Ich toleriere das klar nicht!» Exakt den gleichen Satz äussert der andere Wirt, Hans-Ulrich Gruber von der«Tübeli-Bar». Seit er drei Glatzköpfe «mit leichter Gewalt hinauskomplimentiert» habe, «verkehren bei mir überhaupt keine Skins» mehr.
Vor einschlägig bekannten Restaurants würden «allenfalls Redebeiträge» gehalten, beschwichtigt dagegen der Antifa-Sprecher. Angriffe wie 1997auf die «Pumpi-Bar» in Zürich seien beim «Abendspaziergang» nicht zu erwarten.
Angst vor Antifa hat aber auch Bernhard Hess, Nationalrat der Schweizer Demokraten (SD). SD-Stadtrat Alfred Jordi sei letzte Woche beimUnterschriftensammeln von Punkern «tätlich angegriffen» worden (was Jordi nicht bestätigt) – und diesen Dienstag hätten rund 20 «linke Chaoten»den SD-Stand am Bärenplatz «angegriffen», so Hess in einem Communiqué. Der Stand habe geräumt und die Polizei geholt werden müssen. Vorallem aber sei «anonym angedroht» worden, anlässlich der Antifa-Demonstration werde das SD-Sekretariat «abgefackelt», so Hess – der, «gutinformiert», wisse, dass «450 gewaltbereite Linkschaoten aus der ganzen Schweiz und sogar der autonome ,Schwarze Block‘ aus Deutschland imAnmarsch» seien.
«Uns macht das Angst», klagt Hess, um so mehr, als er sowie SD-Stadtrat Peter Bühler und JSVP-Stadtrat Thomas Fuchs namentlich mit Gewaltgedroht werde. Er selber, Hess, werde sich jedenfalls vorsorglich «ins Oberland zurückziehen». Und auch Thomas Fuchs wird, wie er auf Anfrageerklärte, am fraglichen Samstagabend «sicher nicht in der Stadt sein». Auch er, Fuchs, sei «von mehreren Seiten gewarnt», auch JSVP-Ständeseien 1999 «abgeräumt» worden.
«Hess spinnt, er hat Paranoia», sagt T. L., der Sprecher der Demo-Veranstalter (der anonym bleiben will, «um einen Namensvetter vorBelästigungen zu schützen»): Nie seien SD oder JSVP «auch nur ansatzweise» als Ziele von Aktionen ins Auge gefasst worden – und der Übergriffauf den SD-Stand sei für ihn selber «ein Rätsel». «Wir wünschen uns einen kraftvollen, aber disziplinierten», einen klar «friedlichen Umzug» mitgegen 300 Teilnehmenden, betont T. L. weiter.
Polizei stellt Grossaufgebot
Die Polizei wiederum – die den «Angriff» auf die SD nur als «heftige Diskussion» registrierte – stellte den Organisatoren eine Bewilligung inAussicht. Den «Abendspaziergang» zu verbieten und wie bei den «Chaostagen» 1997 zu präventiven Massenfestnahmen zu greifen (wie Hess es nunfordert), dazu «besteht im Moment – auch rechtlich – keine Veranlassung», sagte Stapo-Infochef Franz Märki. Mit Antifa sei intensiv verhandeltworden, und die Polizei werde «mit einem grossem Aufgebot» für Ruhe sorgen. Aber, so Märki weiter: «An der neuen Entwicklung haben wir garkeine Freude», denn: «Wenn die Stimmung jetzt zusätzlich aufgeschaukelt wird, müssen wir die Lage allenfalls neu beurteilen.»
Die Polizei spricht aus Erfahrung: 1994 trafen Neonazis von der Reitschule her auf Gegenwehr – Resultat: 100 Personen lieferten sich eine argeSchlägerei. Anderseits weiss sie: Der letzte «Abendspaziergang» fand vor drei Wochen in Zürich statt, wo solche Aufmärsche eine gewisse Traditionhaben – mit 300 teils vermummt und erst noch unbewilligt, aber gleichwohl gewaltfrei Marschierenden.