St. Galler Tagblatt vom 3.4.2010
Liechtensteiner Regierung geht gegen Rechtsextremismus vor: Mit einer Kampagne wird die Bevölkerung gegen Gewalt von Seiten Rechtsradikaler sensibilisiert. Und Mitglieder der Szene erhalten Unterstützung für den Ausstieg.
Günther Meier
Vaduz. Kurz vor der Eröffnung eines Kebab-Ladens explodierten Sprengkörper, zerstörten die Einrichtung und machten das Lokal unbrauchbar. Unbekannte hatten Scheiben mit Steinen eingeschlagen und Molotow-Cocktails in das Ladenlokal geworfen. Die Polizei ermittelt seit März, hält sich aber zurück mit Mutmassungen über die Täterschaft.
Ein Anschlag rechtsextremer Kräfte könnte es gewesen sein, lautet die offizielle Version, doch seien andere Tatmotive nicht ausgeschlossen. Ebenso tappt man noch im dunkeln, wer im November 2009 einen Brandsatz gegen ein Haus schleuderte und damit einen erheblichen Sachschaden verursachte. Ungeklärt blieb bisher auch, wer einen Briefkasten bei einem Wohnhaus gesprengt und vor den Trümmern einen Schafskopf deponiert hatte.
Ungeachtet der noch ungeklärten Fälle hat die Regierung dem Rechtsextremismus den Kampf angesagt. Innenminister Hugo Quaderer stellte am Donnerstag vor den Medien die Massnahmen vor: Geplant ist eine Sensibilisierungskampagne gegen rechtes Gedankengut und rechte Gewalt mit dem Ziel, Liechtenstein als Land mit weltoffenen Werthaltungen darzustellen.
Die Illusion von der Mehrheit
«Mit der Kampagne soll klargestellt werden», unterstrich Hugo Quaderer, «dass rechtsextreme Positionen wie Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Gewalt keine Akzeptanz in unserem Land finden.» Die Illusion der rechtsextremen Szene, mit ihrer Ideologie und ihren Taten die Unterstützung einer schweigenden Mehrheit in Liechtenstein zu haben und diese zu repräsentieren, soll mit der Kampagne als Selbsttäuschung entlarvt werden.
Die von der Regierung vorgestellten Massnahmen stützen sich auf eine Studie, die 2009 zum Thema «Rechtsextremismus in Liechtenstein» erstellt worden ist. Die Studie schlug eine Sensibilisierung der Bevölkerung vor, um die Anzeigenbereitschaft bei rechtsextremen Auftritten und Gewaltakten zu erhöhen. Solange Rechtsextreme das Gefühl hätten, im Auftrag der Bevölkerung zu handeln, legitimierten sie sich als informelle Ordnungshüter und begründeten damit auch den Einsatz von Gewalt. In diesem Zusammenhang erwähnt die Studie, dass bei einer Schlägerei zwischen Rechtsextremen und türkisch-stämmigen Jugendlichen auch Erwachsene in den Raufhandel eingegriffen und die Rechtsextremisten angefeuert hätten.
Repression und Prävention
Ebenso sollten laut Studie rechtsextreme Phänomene und Übergriffe, ob es sich um körperliche Gewalt, um Anlässe, Flugblätter oder Beschmierungen handle, öffentlich verurteilt werden. Gefordert wurde auch eine Mischung aus Repression und Prävention, um dem Rechtsextremismus entgegenzutreten. Der Massnahmenkatalog der Regierung umfasst deshalb neben der Sensibilisierung auch die «konsequente Verfolgung von rechter Gewalt durch Justiz und Polizei».
Zahlenmässig scheint sich der Rechtsextremismus in Liechtenstein in den letzten Jahren kaum verändert haben. Die Landespolizei geht von einem «harten Kern» der rechtsextremen Szene von 30 bis 40 Mitgliedern aus, die namentlich bekannt sind.
Viele Sympathisanten
Der Kreis der Sympathisanten ist nach Polizeiangaben schwer einzuschätzen, dürfte aber ein Mehrfaches der Kerngruppe betragen. Die von der Regierung eingesetzte Gewaltschutzkommission registrierte in den letzten Jahren jeweils ein halbes Dutzend Vorfälle wie tätliche Streitereien, Sachbeschädigungen oder Drohungen, in die Angehörige der bekannten rechten Szene involviert waren. Für diesen Kreis beabsichtigt die Regierung ein Beratungskonzept für Aussteigewillige sowie sozialpädagogische Angebote bereitzustellen, um der Bewährungshilfe ein gezielteres Arbeiten mit straffälligen Rechtsextremen zu ermöglichen.
Nazi-Sprayereien wie hier in St. Gallen gab es auch im Fürstentum.
Chronik der rechten Szene
Anfang der 90er-Jahre tauchen rechtsradikale Skinheads in Liechtenstein auf. 1996 wird die Polizei auf eine «geschlossene Gesellschaft» von Neonazis in einem Gastlokal aufmerksam. 1998 werden vier Personen beim Jahrmarkt in Schaan von Neonazis verletzt. 2000 treten 20 Rechtsextreme bei einem Fest in Schellenberg auf («Hier marschiert der nationale Widerstand»). 2004 kommt es beim Fasnachts-Monsterkonzert in Schaan zu einer Massenschlägerei mit Skinheads. 2005 erhalten viele Haushalte ein «Merkblatt» mit Nazi-Inhalt. 2006 werden Plakate der Arbeitsgruppe gegen Rassismus mit Hakenkreuzen übersprüht. 2007 werden Wahlplakate der Freien Liste verschmiert. 2008 liefern sich Rechtsextreme und türkische Jugendliche eine Massenschlägerei (Liste nicht vollständig).