Antifaschismus · Am Samstag findet in Bern der 7. Antifaschistische Abendspaziergang statt. «Vermummung und Verdummung», schreibt der «Bund». Drei Mitglieder vom «Bündnis alle gegen Rechts» nehmen Stellung.
Interview: Daniel Ryser
WOZ: Die Junge FDP Bern fordert eine neue Antifa. Hat sie schon Vorschläge geliefert?
René*: Bisher haben wir nichts gehört.
Die Jungpartei erklärte, wie man aufrecht gegen Rassismus demonstrieren könne. Zum Beispiel, indem man bei der Stadt eine Bewilligung einholt.
Simon: Die FDP ist gut im Sprücheklopfen, aber weniger gut im Demonstrieren. Sie hat vor einigen Jahren am 1. Mai eine Gegendemo zum traditionellen Umzug gemacht. Gekommen sind nicht mal dreissig Leute. Sie sagt, die Antifa habe in Bern keinen guten Ruf. Die FDP hat bei uns auch keinen guten Ruf.
Immerhin sagt die Junge FDP, sie sei grundsätzlich dafür, dass gegen Rassismus demonstriert wird.
René: Das ist nicht sehr mutig. Die Junge FDP weiss, dass es uns nicht einfach um Nazis geht. Wir demonstrieren gegen den Boden, auf dem dieser Hass gedeiht. Die FDP steht für Filz und Stellenabbau, für die Freiheit des Marktes und nicht für die der Menschen. Unsere Meinungen unterscheiden sich nicht bloss in den Punkten Vermummung und Bewilligung. Wir wollen revolutionär sein. Wir wollen den Kapitalismus angreifen.
Kathrin: Es sind auch Exponenten der FDP, die Fremdenfeindlichkeit schüren. Es ist ebenfalls die FDP, die diskriminierende Gesetze mitformuliert. Die Junge FDP betreibt Symptombekämpfung. Und Wahlkampf. Bald sind Wahlen in Bern. Die FDP versucht mit allen Mitteln, im «20 Minuten» erwähnt zu werden. Der Abendspaziergang kommt da gelegen.
Ein Berner Stadtpolizist hat per Flugblatt dazu aufgerufen, nicht am Abendspaziergang teilzunehmen. Die Antifa sei alt und fett geworden.
Simon: Wir werden tatsächlich täglich älter und dicker. Auch jener Stadtpolizist ist übrigens Mitglied der Jungen FDP.
Mit dem Vorwurf der Trägheit meinte er wohl die Organisation.
Simon: Wir entscheiden nur im Konsens. Das macht uns tatsächlich manchmal träge. Wir haben Versammlungen, Sitzungen, da besprechen wir das Vorgehen. Leute kommen und gehen. Nur wenige sind seit dem ersten Abendspaziergang dabei. Wir sind jung und in Bewegung.
Die Junge FDP wirft der Antifa nach einem Vorfall im Februar vor, sie sei gierig auf Gewalt. Damals seien vor der Reitschule angebliche Rechtsextreme verprügelt worden. Die Verprügelten wollen nun gegen «Rotfaschisten» und «Linke Gewalt» demonstrieren.
René: Das Bündnis hatte mit dieser Aktion nichts zu tun.
Was ist passiert?
Simon: Diese Leute hatten ihr Kommen im Internet angekündigt. Der eine, er nennt sich DJ Antz, veranstaltet Neonazi-Konzerte oder Auftritte von Bands wie Death in June oder Allerseelen, die mit faschistischer Symbolik spielen und faschistische Inhalte transportieren wollen. Ein paar Leute haben sich gesagt, dass ein Nazi-Sympathisant nichts in der Reitschule zu suchen hat.
Und dann?
Simon: Dann wurde er zum Gehen aufgefordert. Und als er nicht gehen wollte, wurde er hinausbugsiert. Weder die Presse noch die FDP stellte die Frage, was ein Organisator von Neonazi-Konzerten in der Reitschule zu suchen hatte.
René: Oder ob es nicht grundsätzlich in Ordnung ist, dass man Nazi-Sympathisanten nicht duldet in seiner Beiz. Muss man dafür ein Extremist sein? Wir schlagen nicht blind um uns, schlagen nicht wie Neonazis Menschen zum Krüppel oder ermorden sie, wie dies in Frauenfeld oder im Berner Oberland passiert ist. Wenn Neonazis auftreten, dann wehren wir uns.
Kathrin: Die Toleranz ist gross. Auch Erich Hess, der Präsident der Jungen SVP Bern und entschiedener Gegner der Reitschule, hat sich letzten Samstag die ganze Nacht in der Reitschule amüsiert. Nichts ist passiert.
Ihr habt der Polizei eine Videobotschaft zukommen lassen.
Simon: In dem Video haben zwei Vermummte angekündigt, dass für den Abendspaziergang keine Bewilligung ersucht wird. Der Anfang ist unterlegt mit Kasperlimusik. Während des Videos fällt die montierte schwarz-rote Fahne runter. Ab und zu werden die vermummten Polizisten von der Schengen-Pressekonferenz dazwischengeschnitten. Gelungene Satire hin oder her: Die Presse hat getitelt: «ETA? IRA? Osama? Nein, Antifa!» Die Kasperlimusik wurde natürlich nicht erwähnt.
Nicht nur in Bern kommen unbewilligte Demos in der Presse schlecht weg.
Simon: Der wahre Grund liegt wohl hier: Wir distanzieren uns nicht von jeglicher Gewalt. Damit sind wir für die Presse Extremisten. Rechts und links wird gleichgesetzt.
Warum distanziert ihr euch nicht?
Simon: Weil ich dazu stehe, dass man einen Nazi vor die Tür stellen darf. Oder dass man Stände der PNOS demoliert.
Wie viele Stände waren das?
Kathrin: Ich weiss nur, was in der Zeitung stand: zwei. Bei diesen Aktionen wurde niemand verletzt. Aber es war ein Zeichen gegen die Heuchelei dieser Partei. Die spielen die Lämmer. Dabei ist ihre Politik, abgeschrieben von Adolf Hitler, nur mit brutaler Gewalt zu erreichen.
Die Reitschule gerät immer wieder in die Schlagzeilen: Ein Polizeiauto wird beim Vorbeifahren angegriffen, ein Coiffeurgeschäft demoliert.
René: Wir verurteilen solche Aktionen. Es ist traurig, dass man die Reitschulbetreiber und das politische Umfeld damit in Zusammenhang bringt.
Was kann man dagegen tun?
René: Ein schwieriges Thema. Am Abendspaziergang haben wir einen Demoschutz.
Demoschutz?
Kathrin: AktivistInnen, die organisiert die Demo schützen.
Wovor?
Simon: Gegen Angriffe von Bullen oder Faschos und gegen Provokateure. Der Demoschutz soll dafür sorgen, dass Leute die Demo nicht missbrauchen, um aus ihr heraus ungezielt zu randalieren. Wir hatten früher ein erhebliches Problem mit Kids, die die ganze Stadt mit Sprayereien verwüstet haben. Danach redet niemand mehr über die Inhalte. Wir können es uns nicht bieten lassen, dass Leute, die mit der Demo und ihren Inhalten nichts zu tun haben, sie missbrauchen. Wenn du eine konstruktive Demo machst, stehen Leute am Strassenrand und klatschen, selbst wenn du vermummt bist. Wenn im Schatten der Demo Strassen verwüstet werden, machen die Leute die Faust im Sack.
Wie agiert der Demoschutz?
René: Die AktivistInnen gehen auf die Leute zu und reden mit ihnen.
Wie viele AktivistInnen sind das?
Kathrin: Mehr als drei.
Bringt es etwas?
Simon: Es bringt vor allem viel Kritik. Gerade unter Autonomen ist so was heikel. Es heisst, der Demoschutz sei eine interne Polizei, er verhindere militante Aktionen. Das Ziel ist es jedoch, dummen Schaden zu verhindern. Wenn einfach irgendwelche Autos zerstört werden, hat das mit unseren Inhalten nichts zu tun. Der Demoschutz soll schliesslich verhindern, dass die Demo gegen die eigenen Inhalte läuft.
René: Wer einen Saubannerzug will, kann das im Plenum einbringen.
Schreckt diese Bereitschaft zur Militanz nicht viele Leute ab?
René: In Verbindung mit dem jährlichen Medientumult – sicher. Freunde von mir kommen nicht mehr, weil sie sagen, es sei unmöglich geworden, friedlich zu demonstrieren. Dabei gab es in den letzten drei Jahren kaum Ärger. Die Sachbeschädigungen waren gering. Wir wollen einen friedlichen Abendspaziergang.
Kathrin: Es heisst Abendspaziergang und nicht Abendschlägerei.
Könnte man mit einer Bewilligung nicht mehr Leute mobilisieren?
Kathrin: Vielleicht. Doch es wäre widersprüchlich, eine Bewilligung zu beantragen. Das wäre, wie wenn ich meinen Chef fragen würde, ob es recht ist, wenn ich mich in der Gruppe engagiere, die sich für seine Absetzung engagiert.
Simon: In der städtischen Verhandlungsgruppe sitzen Leute aus dem Informationsdienst. Leute also, die uns bespitzeln. Oder der Kommandant der Stadtpolizei, der den Befehl gibt, Gummischrot auf uns abzuschiessen. Da gibt es kein Vertrauen.
Der «Bund» titelte zum bevorstehenden Abendspaziergang: «Vermummung und Verdummung». Warum vermummt ihr euch?
Kathrin: Weil du zum Beispiel an der Arbeitsstelle erhebliche Probleme bekommen kannst, wenn dein Foto in Zusammenhang mit einer solchen Demo auftaucht.
René: Man ist an einer Demo Fotografen ausgeliefert. Der Staatsschutz fotografiert fleissig. Will ich nicht fichiert werden, muss ich mich vermummen. Auch Neonazis machen Fotos.
Kathrin: Eine Demo ist nur ein Teil eines Engagements. Nur weil ich mich an einer Demo vermumme, heisst das nicht, dass ich im Alltag nicht couragiert auftrete. Wenn man die Zeitung liest, bekommt man das Gefühl, dass es keine Spitzel gibt, keine Fichierung, keine Geheimdienste. Ich bin lieber vermummt als naiv.
Die antirassistischen Skinheads haben angekündigt, sich am Abendspaziergang bewusst nicht zu vermummen.
Simon: Das ist cool. Das kann jeder selber entscheiden. Es gibt Leute, die sind vorsichtiger als andere.
Wohin soll das alles führen?
Simon: Wir wollen die Revolution. Doch die kommt nicht in dreissig Jahren.
René: Na ja, in dreissig Jahren vielleicht.
Kathrin: Wir wollen nicht auf Anhieb den Staat abschaffen. Wir wollen zum Beispiel, dass es im Raum Bern keine Nazis mehr gibt. Wir beginnen im Kleinen. Es ist schon ein Erfolg, wenn Nazischläger hier in der Stadt nicht mehr offen auftreten.
* Alle Namen geändert
abendspaziergänge
An «Antifaschistischen Abendspaziergänge» wird seit den neunziger Jahren in verschiedenen Städten in der Schweiz, Deutschland und Österreich gegen Rechtsextremismus protestiert. Häufig werden auch andere Themen wie Antikapitalismus und Antisexismus angesprochen. In Bern wurde 1999 erstmals ein Antifaschistischer Abendspaziergang durchgeführt. Er stiess auf grosse Resonanz. Bereits am dritten Spaziergang im März 2002 nahmen mehr als 2000 Personen teil. Der damalige Berner Polizeidirektor Kurt Wasserfallen liess sie einkesseln und wollte sie polizeilich überprüfen lassen, weil es in der Altstadt zu etlichen Sprayereien gekommen war. Die Menge überrannte einen Polizeikordon.
In den folgenden Jahren stieg – auch wegen des politischen Drucks auf die Behörden – die Zahl der eingesetzten Polizisten. 2004 kam es am Ende der Kundgebung zu Scharmützeln vor der Reitschule. Ein Jahr später verhinderte ein grosses Polizeiaufgebot den Spaziergang durch die Altstadt. Auch der 7. Antifaschistische Abendspaziergang, der am Samstag um 20.30 Uhr bei der Heiliggeistkirche startet, soll laut dem «Bündnis alle gegen Rechts» durch die Berner Innenstadt führen. Die Polizei stellt sich quer, da um keine Bewilligung ersucht wurde.