Von Daniel Ryser
Wie die traditionelle Boxbekleidungsfirma von Rechtsextremen vereinnahmt wurde. Und wiesich die Marke aus der Umklammerung befreien will.
+++Earl of Lonsdale erfindet das moderne Boxen+++Präsident des Arsenal FC +++Der«Gentleman des Sports» als Zigarrenformat+++Kein Nazi!
Die Geschichte der Marke Lonsdale beginnt in einer Grafschaft, die es heute nicht mehrgibt: In Westmorland, dem heutigen Cumbria. Dort, am Ufer des Flusses Lune, liegt dashistorische Städtchen Kirkby Lonsdale. Von dort stammt die Familie Lowther, die dembritischen Königshaus diente und dafür 1784 mit dem Adelstitel belohnt wurde. JamesLowther durfte sich ab sofort Earl of Lonsdale der Erste nennen. Der fünfte Graf vonLonsdale, Hugh Lowther, inspirierte durch seine Taten einen Zigarren- und einenSportartikelhersteller, ihre Produkte nach ihm zu benennen.
Laut Legende organisierte Hugh Lowther Ende des 19. Jahrhunderts den ersten Boxkampf mitBoxhandschuhen und begründete damit das moderne Boxen. Er stiftete, das ist eineTatsache, den «Lonsdale Belt», den ersten Championgürtel für Boxer, die bis heutigegültige Trophäe aller Gewichtsklassen. Ab 1930 war der umtriebige Sportfan und Patrondes National Sporting Clubs Präsident des renommierten Fussballklubs Arsenal. Weilrauchen damals nicht verpönt war, wurde nach «Englands grösstem Gentleman des Sports»ein Zigarrenformat benannt. Das passierte bis heute nur noch Winston Churchill und derRothschild-Familie. Der Name Lonsdale, so heisst es bei der englischenStammbaumforschung, setze sich zusammen aus dem Namen des Flusses Lune, der durch Cumbriafliesst, und den dortigen Dales, den Tälern von Yorkshire. Das Städtchen KirkbyLonsdale findet erstmals Erwähnung im Domesday Book, dem britischen Reichsgrundbuch, ausdem Jahr 1086. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) gibt es seit1920. Weil in beiden Namen die Buchstabenfolge NSDA vorkommt, glauben Neonazis, der NameLonsdale sei ein Fantasieprodukt, eine bewusste Anspielung auf die Hitlerpartei NSDAP.Lord Lonsdale war ein konservativer, adliger Geldsack. Doch er war kein Nazi. Und mitseinem Namen hat dies sowieso nichts zu tun. Der Name Lonsdale ist tausend Jahre älterals die deutsche NSDAP.
+++Lonsdale: Start in Soho+++Muhammad Ali ringt mit Alligatoren!+++
1960 sicherte sich der ehemalige britische Profiboxer Bernard Hart bei den Erben des 1944verstorbenen fünften Earl of Lonsdale die Namensrechte. Dann begann er im eigenen Ladenim Londoner Stadtteil Soho Kleidung zu produzieren und zu vertreiben: Lonsdale-Kleidungfür Boxer.
Es war die grosse Zeit von Cassius Clay. Boxen boomte. 1964 schoss Clay seinen GegnerSunny Liston «wie einen Satelliten in den Weltraum», wie er selbst formulierte, undposierte darauf in Lonsdale-Kapuzenpullovern. Muhammad Ali, wie sich Clay nach seinemSieg über Liston nannte, wurde Hauptwerbeträger für die Marke – später waren esLennox Lewis und Mike Tyson. In Kinshasa sangen sie 1974 «Ali, töte ihn!» und meintendamit Alis Comeback-Gegner George Foreman, der mit belgischen Schäferhunden, einemSymbol für den Rassismus der Kolonialmächte, in den Kongo gereist war. Ali rappte: «Iwrestled with an alligator/Tussled with a whale/Handcuffed lightning/Threw thunder injail.»* Dann schlug er Foremann k.o. Der Hauptwerbeträger für Lonsdale war erstensschwarz und zweitens bekennender Antirassist. Warum also die Vereinnahmung durch Neonazis?
Erste Skinheads waren schwarz+++National-Front-Propaganda+++Lonsdale-Chic stattBomberjacken+++Technoglatzen in Holland+++ Lonsdale-Verbot an Schule
Entscheidend war offensichtlich die Buchstabenfolge NSDA. Hätte sich der Earl ofLonsdale jedoch zum Beispiel für Schach interessiert, wäre es nie zur feindlichenNamensübernahme gekommen. Doch Lonsdale war eine Boxermarke. Viele Skinheads boxten. DieMarke bediente ganz einfach das richtige Milieu. Beides, Boxen und die Skinheadbewegung,war populär im englischen Arbeitermilieu; die Bewegung ist Ende der sechziger Jahre dortentstanden, in ihren Anfängen unpolitisch und inspiriert von Reggae- und Ska-Musik ausJamaika. Schnell war Lonsdale bei Skinheads mindestens so beliebt wie bei Boxern.
Zu jener Zeit, als Muhammad Ali in Kinshasa George Foreman besiegte, begann sich diejunge Skinheadszene in eine linke oder unpolitische sowie in eine rechte Szeneaufzuteilen, wobei Neonazis starken Einfluss gewannen. Hauptgrund dafür war die massiverassistische Propaganda der englischen Nazipartei National Front. Diese führteaggressive Kampagnen gegen AusländerInnen und schürte in der Arbeiterschicht die Angstvor Überfremdung. Viele unpolitische, vor allem an Fussballspielen mit Bier in der Handanzutreffende Skinheads liessen sich instrumentalisieren und kippten ins rechtsextremeLager. Die Szene hat sich davon nie erholt: Heute ist Skinhead ein Synonym für Neonazi,genauso wie Lonsdale ein Synonym ist für Neonazikleidung.
Lonsdale produziert Sport- und Freizeitkleidung und Boxutensilien: Trainingsanzüge,Boxhandschuhe, Shirts, aber auch Pullover und Jacken.
In Deutschland, Holland, der Schweiz waren rechtsextreme Skinheads lange an grünenBomberjacken zu erkennen. Anfang der Neunziger war die militärische Kombination ausBomberjacke und Springerstiefel aber irgendwie out – der rasante Aufstieg von Lonsdalebegann. Das Zusammenspiel aus Prolo-Chic, Boxerstil und der Buchstabenfolge NSDA führtezu explosiven Absätzen in der Neonaziszene. Der Stil passt auch besser in die Disco.Ende der neunziger Jahre trugen in Ostdeutschland fast ausschliesslich Neonazis Lonsdale.Hinzu kam, dass seit dem Mauerfall die Szene schnell wuchs: Zeitgleich mit demLonsdale-Boom entstand in Deutschland die weltweit grösste rechtsextreme Musikszene. InHolland entwickelte sich zum schnellen Technostil Gabber eine eigentlicheLonsdale-Nazipartymode: Turnschuhe statt Springerstiefel, Jeans, Lonsdale-Jacke und einkahl rasierter Schädel – die Markenzeichen einer rechtsextremen Technobewegung.
Die Gabberszene ist auch in der Schweiz ein Sammelbecken für Rechtsextreme. Nach derdiesjährigen Street-Parade-Party-Energy im Hallenstadion beklagten sich zahlreicheBesucher ob dem massiven Aufmarsch von Glatzköpfen in (fast ausschliesslich)Lonsdale-Jacken. Die Verbindung von Lonsdale und Neonazis ist nicht mehr nurGeheimzeichen, sie ist inzwischen ein Mainstreamphänomen. In den meisten Fällen – auchin der Schweiz – ist das Tragen von Lonsdale ein politisches Bekenntnis.
Der deutsche Verein für soziale Perspektiven hat kürzlich die Broschüre«Versteckspiel» veröffentlicht (www.dasversteckspiel.de): Dort werden Nazimarken undSymbole aufgelistet, so zum Beispiel die Zahl 88 erklärt. Die Zahl 8 steht für H, denachten Buchstaben im Alphabet. 88 bedeutet also HH, Heil Hitler. Laut Broschüre gibt esmehr als 120 Zeichen, die verdeckt oder offen ausdrücken, dass der Träger mitNazigedankengut sympathisiert. Dazu gehören Eiserne Kreuze, Springerstiefel mit weissenSchnürsenkeln, die Zahlen 18 (für Adolf Hitler) und 28 (für die verbotene OrganisationBlood & Honour) sowie Bomberjacken der Marke Alpha Industries und Hemden des DesignersBen Sherman. Bei Lonsdale heisst es: «Manche Jugendliche tragen die Marke als Bekenntniszur NSDAP.»
Die erste Auflage der Broschüre war schnell vergriffen. Vor allem den Verantwortlichenan Schulen schien allmählich bewusst zu werden, dass die seltsamen Kombinationen ausZahlen, Symbolen und Worten einen politischen Hintergrund haben. Eine Schule imschwäbischen Weinstadt hat inzwischen, so berichtete Spiegel-Online, genug von solchenSymbolen. Sie stehen auf dem Schulindex – wie auch die Marke Lonsdale.
+++Lonsdale wehrt sich+++Zusammenarbeit mit Menschenrechtsgruppe Augenauf+++Nazisverbrennen ihre Kleider+++Verkäufe in Holland um 40, in Sachsen um 75 Prozenteingebrochen+++
Bereits Mitte der neunziger Jahre begann Lonsdale seine Verkaufslisten zu prüfen. «Unswurde klar, dass wir diverse rechte Szeneläden belieferten», sagt Geurt Schotsmanngegenüber der WOZ. «Wir stoppten das sofort.» Schotsmann ist Geschäftsführer derFirma Punch mit Sitz in Neuss im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen. Punchvertreibt seit 1993 exklusiv Lonsdale für Europa ausserhalb Grossbritanniens. «Danntraten Mitglieder der Menschenrechtsgruppe Augenauf an uns heran. Wir konnten die Augennicht mehr verschliessen: Wir sind zur Neonazimarke geworden.» Gemeinsam habe man eineKampagne lanciert: «We love all colors». Mit 90 000 Euro jährlich (bei einemgeschätzten Umsatz von 5 Millionen Euro) werden antirassistische Kampagnen und Konzerteunterstützt. «Die Kampagne muss so lange laufen, wie sie laufen muss», sagtSchotsmann. Trotz des harmlosen und etwas naiv wirkenden Slogans zeigt sie offenbargrosse Wirkung: «In Holland gingen die Verkaufszahlen seither landesweit um 40 Prozentzurück», sagt Schotsmann. Im «Brennpunkt Sachsen» (Punch) ist die Zahl fast doppeltso hoch: Seit dem Start der Kampagne im September 2003 seien die Verkäufe um 75 Prozenteingebrochen.
Seit Lonsdale klar macht, dass der Name nichts mit der NSDAP zu tun hat und man lieberkeine Kunden habe statt rassistische, laufen in der Neonaziszene Kampagnen gegen dieLondoner Kleiderfirma. Dem Lonsdale-Stil entliehen, lanciert die Szene inzwischen eigeneKleidermarken, bei denen die NSDA-Buchstabenfolge denn auch kein Zufall mehr ist:Consdaple heisst die populärste Kreation. Sie ist die Erfindung des RechtsextremistenFranz Glasauer, ehemaliger Funktionär der Republikaner. Glasauer betreibt denNeonaziartikel-Versand Patria mit Sitz im bayrischen Landshut.
Der Lonsdale-Boykott von rechts ist neu, bisher waren es vor allem linke oderunpolitische Jugendliche, die keine Lonsdale-Artikel kauften. Weil sie entweder nicht alsNazi abgestempelt werden mochten oder weil sie die Marke bewusst boykottieren. Es ist dietraditionelle Verankerung in der Boxerszene, die Lonsdale retten könnte. GeurtSchotsmann sagt, dass man nicht zugrunde gehen möge aufgrund brauner Geister, die mannicht gerufen habe. Der Geschäftsführer hat Hoffnung: In Ostdeutschland, so geht auseinem Augenauf-Bericht hervor, verbrennen Neonazis inzwischen ihre Lonsdale-Klamotten.