«Einen Kniefall kann es nur vor Gott geben»

 

Zofinger Tagblatt vom 12.2.2010

Der Schriftsteller und Historiker Pirmin Meier appelliert an die «ungebetenen Gäste» an der Schlachtfeier.

 

624 Jahre sind seit der Schlacht bei Sempach vergangen. Warum gedenken wir noch immer der damals Gefallenen?

Pirmin Meier: Der Krieg war zur Zeit der alten Eidgenossenschaft, so paradox das heute klingen mag, Bestandteil der Kultur, eine Art Ritual, wie das zum Beispiel in den Schlachtgebeten zum Ausdruck kam. Nicht selten fand der Krieg, wie zum Beispiel im Fall Sempach, zwischen Heuet und Emdet statt, also in einer Phase, da die landwirtschaftliche Arbeit ruhte oder den Frauen überlassen blieb. Rechtlich gesehen war der Krieg die Fortsetzung eines Prozesses mit anderen Mitteln. Das Resultat des Krieges wurde als eine Art Gottesurteil gesehen. Im Fall der Schlacht bei Sempach bedeutete dies einen vorläufigen Schritt zur Ausdehnung des Territorialstaates Luzern. Dies galt jedoch erst nach der Eroberung des Aargaus (1415), zu dem dieses Gebiet ja auch gehörte, historisch nachhaltig. Die Schweiz als Eidgenossenschaft hat sich erst im 15. Jahrhundert endgültig von Habsburg abgesetzt. Dessen wurde man sich bei der Schlachtfeier zunehmend bewusst.

Sie waren vor zwei Jahren Redner an der Schlachtfeier. Wie haben sie die damalige Feier in Erinnerung?

Meier: Es waren wertvolle Begegnungen, zum Teil auch mit Magistraten aus Nachbarkantonen, aber auch mit dem mittlerweile verstorbenen alt Regierungsrat Hans-Ernst Balsiger, meinem Aargauer Landsmann, dazu mit ehemaligen Schülern und Menschen aus der Region. Für den Fall, dass Rechtsextreme bei der Feier gestört hätten, hatte ich entsprechende «Rede-Munition» vorbereitet. Dies war aber nicht der Fall. Jedoch wurde über diese Randgruppe in den Medien mehr berichtet als über den Kern der Feier. Mit dem Festprediger, dem Luzerner Schultheissen wie auch mit dem Gros der Teilnehmer der Gedenkfeier habe ich mich ausgezeichnet verstanden. Es war eine schöne und im Prinzip würdige Feier.

Was verstehen Sie unter dem Begriff «Rede-Munition»?

Meier: Dass ich auf Störungen, Zwischenrufe, Geschmacklosigkeiten und generelle Überraschungen so weit wie möglich vorbereitet bin und darauf reagieren kann. Schlagfertigkeit ist eine Tugend, aber viele Schlagfertige sind schlagfertig, weil sie mit einer Situation rechnen. Über die Rechtsextremen habe ich mich damals absolut nicht gefreut, gerade weil keine Auseinandersetzung stattfindet. Immerhin muss man für den Fall einer Störung gewappnet sein, auch verbal.

Damals betonten Sie, dass die Feier der älteste historische Gedenktag der Schweiz ist und auch karitative Züge trug. Wie verliefen frühere Feiern ab?

Meier: Ganz ursprünglich war die Feier wenig politisch, eben ein «Jorzet» für die Toten beider Lager. Aber um 1844, am Vorabend der Freischarenzüge, fielen bei liberalen Rednern, etwa Kasimir Pfyffer, Bekenntnisse zum republikanischen Gedankengut auf. Dieses Bekenntnis versuchte ich in meiner Rede von 2008 zu erneuern.

Der Luzerner Regierungsrat will die Dreigliederung in einen Gottesdienst in der Pfarrkirche, einen Festzug auf das Schlachtfeld und die Gedenkfeier entschlacken und nur noch einen «schlichten Gottesdienst» abhalten. Ein Kniefall vor den Extremen oder ein sinnvoller Marschhalt?

Meier: Einen Kniefall kann es nur vor Gott geben. Jeder andere Kniefall wäre undemokratisch und unrepublikanisch. Eine Besinnungspause halte ich aber für richtig. Doch sollte anstelle des Predigers, falls dieser nicht erstklassig ist, auch in der Kirche ein weltlicher Redner zu Wort kommen, und zwar zum Beispiel ein Redner oder eine Rednerin vom Format eines Peter von Matt. Bis 2011, spätestens aber 2015 (Jubiläum von Morgarten und von 200 Jahre Neu-tralität am Wiener Kongress) muss aber die Schlachtfeier bei der Schlachtkapelle wieder aufgenommen werden.

2011 soll die Feier in überarbeiteter Form abgehalten werden. Braucht es Änderungen?

Meier: Der Schwerpunkt der Feier könnte vermehrt auf musikalische Beiträge gelegt werden. Worte der Besinnung sind auch in Zukunft wichtig, jedoch nicht im Nebensinn von Wahlwerbung. Die Präsenz ungebetener Gäste ist nie ganz auszuschliessen. Dass diese auf direkte Störungen verzichten und sich anständig aufführen, ist das Minimum, was zu erwarten wäre. Da die Linksextremen sich mangels historischen Wissens für harmloser halten als ihre rechten Antipoden, mussten sie mit Vermummung und Pöbelplakaten auf sich aufmerksam machen. Wenn dieses Verhalten Schule macht, muss man sich vielleicht sogar über mehrere Jahre auf den Festgottesdienst mit Ansprache beschränken.

Pirmin Meier trat vor zwei Jahren als Festredner an der Schlachtfeier in Sempach auf. Er schildert im Interview seine Eindrücke der laufenden Debatte um Beibehaltung oder Marschhalt der Feier.

Thomas Stillhart

Update

Der Regierungsrat hat entschieden, die Schlachtfeier in diesem Jahr auf eine schlichte Feier zu reduzieren. Eine Arbeitsgruppe unter Staatsschreiber Markus Hodel ist derweil eingesetzt worden, um bis im nächsten Jahr, dem 625. Gedenkjahr, ein neues Konzept der Feier auszuarbeiten. (sti)