Im vergangenen Oktober konnten sich 5000 Neonazis aus ganz Europa ungestört in Unterwasser SG versammeln und «abhitlern», wie sie ihre Aktivität nannten. Währenddessen gab der wegen Volksverhetzung verurteilte deutsche Rapper MaKss Damage seine politischen Songs zum Besten.
Das sorgte für Schlagzeilen über die Landesgrenzen hinaus – und für Kritik am Vorgehen der St. Galler Kantonspolizei.
Letzte Woche wollte es die St. Galler Kantonspolizei besser machen. Die Behörden hatten erfahren, dass am Samstag erneut ein Konzert mit MaKss Damage auf St. Galler Boden geplant war. Also erliess die Polizei präventiv ein Konzertverbot für die Partei national orientierter Schweizer (Pnos), die den Anlass organisierte (BLICK berichtete).
Der Aargau hätte Nazi-Konzert nicht toleriert
Die Pnos reagierte mit einem Facebook-Post: «Die Veranstaltung wurde lediglich in St. Gallen verboten. Es gibt noch 25 weitere Kantone, in denen wir ungestört feiern können.»
Tatsächlich trafen sich die Rechtsextremisten am Samstag zunächst im aargauischen Rothrist. Doch auch die Aargauer Kantonspolizei liess ihr Konzert nicht zu. Ein Lokal wurde kontrolliert, und Strassensperren fingen über 60 rechtsradikale Konzertbesucher ab. «Die Polizei hat die Pflicht, für öffentliche Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Deshalb tolerieren wir keine Konzerte von Rechtsextremen. Das gilt aber auch bei Linksautonomen oder Hooligans», sagt Polizeisprecher Bernhard Graser zu BLICK.
Falsche Toleranz oder wahre Rechtsstaatlichkeit?
Doch die Rechtsextremisten fanden einen anderen Kanton, der ihr Konzert zuliess. In Willisau LU zeigte die Luzerner Polizei zwar Präsenz und machte Personenkontrollen, sah aber keinen Anlass, das Konzert zu verhindern. Allerdings: Der berüchtigte Rapper MaKss Damage soll nicht aufgetreten sein. Eine Auflösung des Konzerts wäre nicht verhältnismässig gewesen, meinte Polizeisprecher Kurt Graf.
Warum wird ein rechtsextremes Konzert in Luzern toleriert, während St. Gallen und der Aargau es um jeden Preis zu verhindern versuchen?
Der Aargauer Polizeisprecher Bernhard Graser erklärt: «Jede Kantonspolizei ist in ihrem Entscheid autonom. Die Grundaufträge lassen operationellen Spielraum offen.»
Vorschlag: Überwachte Konzerte erlauben
Dominic Pugatsch von der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus begrüsst die Haltung der Aargauer und St. Galler Behörden: «Wenn einzelne Kantone rechtsextreme Konzerte nicht zulassen, erhöht dies den Druck auf die anderen Kantone, das auch so zu handhaben, damit sie nicht zum neuen Neonazi-Veranstaltungsort werden.»
Falls einige Kantone rechtsextremistische Konzerte dennoch nicht gleich ganz verbieten wollen, schlägt Pugatsch vor, nur eine Bewilligung mit Auflagen zu erteilen: «Solche Auflagen könnten etwa fest installierte Kameras oder Mikrofone sein sowie die Teilnahme von Polizeibeamten unmittelbar im Saal während einer solchen Veranstaltung.»
Auf jeden Fall dürfe man nicht einfach wegschauen, wie das in Unterwasser der Fall gewesen sei.
Verbot braucht eine gesetzliche Grundlage
Wird es für die Rechtsextremisten künftig also immer schwieriger, ihre Konzerte zu organisieren?
Eher nein. Denn so konsequent und richtig die Vorgehensweise der Aargauer und St. Galler Behörden zu sein scheint, so ist sie rechtlich problematisch. Staatliches Handeln braucht stets eine gesetzliche Grundlage. Für das Verbot des Konzerts gibt es in den beiden Kantonen allerdings keine.
Deshalb erfolgten die Massnahmen gestützt auf die polizeiliche Generalklausel der Bundesverfassung. Diese Klausel soll die Polizei in Ausnahmesituationen ermächtigen, auch ohne gesetzliche Grundlage tätig zu werden.
Rechtsprofessor Markus Müller von der Universität Bern sagt zu BLICK: «Die polizeiliche Generalklausel ist ein Notfallinstrument. Man sollte sie nur anrufen, wenn fundamentale Rechtsgüter bedroht sind. Das sind Leib und Leben, allenfalls der Landesfrieden.»
Missbräuchlich polizeiliche Generalklausel angewendet?
Die Verbreitung von rechtsextremistischem Gedankengut könne zwar gefährlich sein und bedrohe fundamentale Rechtsgüter, aber nicht unmittelbar.
Deshalb stellt Müller klar: «Um eine derartige Veranstaltung zu verbieten, braucht es eine klare gesetzliche Grundlage. Der richtige Weg führt über die demokratische Gesetzgebung und nicht über die polizeiliche Generalklausel.»
Wenn die beiden hart durchgreifenden Kantone ihr Vorgehen also juristisch absichern wollen, sollten sie demnächst eine gesetzliche Grundlage dafür schaffen.
Publiziert am 17.01.2017 | Aktualisiert vor 1 Minuten