Tages-Anzeiger: Die Lega dei Ticinesi hat ihren verstorbenen Gründer Giuliano Bignasca gewürdigt. Mit von der Partie: Christoph Blocher und Mario Borghezio von der Lega Nord.
Rund 1000 Personen waren gekommen. Bei Risotto und Rotwein gedachte das Lega-Volk gestern in Lugano des Gründers Giuliano Bignasca. Er war am 7. März 2013 überraschend im Alter von 67 Jahren verstorben. Aber sein Geist sei präsent, die Bewegung stark, beschworen diverse Redner. Frenetischen Applaus und Standing Ovations heimsten zwei Gäste ein: der rechtsextreme Europaabgeordnete Mario Borghezio von der italienischen Lega Nord, der mit dem Schwenken der Schweizer Fahne im Europaparlament für einen Eklat gesorgt hatte. Und SVP-Mentor Christoph Blocher, der sich für die massive Unterstützung für die Zuwanderungsinitiative bedankte. Das Tessin hatte am 9. Februar mit rekordhohen 68,2 Prozent Ja zur SVP-Initiative gesagt. «Ohne Tessin wäre die Schweiz verloren», so Blocher.
Blocher genoss das Bad in der Lega-Menge sichtlich. Für die Fotografen posierte er gerne mit Mario Borghezio, der ein T-Shirt mit dem Lega-dei-Ticinesi-Slogan «Padroni in Casa nostra» («Herren im eigenen Haus») mit sich trug. Kein Thema waren für Blocher die Differenzen zwischen SVP und Lega. «In der Hauptfrage sind wir uns einig», sagte er dem TA. Und meinte die Europapolitik. Tatsache ist indes, dass sich seit dem Tod Bignascas der Graben zwischen der SVP und der Lega weiter aufgetan hat. So kündigte die SVP an, sie werde bei den Kantonswahlen 2015 nicht mehr eine gemeinsame Staatsratsliste mit der Lega aufstellen. Sie sei es leid, als Juniorpartner den Steigbügelhalter zu spielen.Hintergrund ist die Wandlung der Lega im letzten Jahr. Sie avancierte in Lugano – wie zuvor im Kanton – zur Partei der relativen Mehrheit. Just jene Partei, die stets tiefe Steuern und zugleich gute Sozialleistungen forderte, fällt neu unpopuläre Entscheide und bricht Wahlversprechen. In Lugano hat die neue Regierung unter Stadtpräsident Marco Borradori vorgeschlagen, wegen der desaströsen Finanzlage den Gemeindesteuerfuss von 70 auf 80 Prozent zu erhöhen. Die rigorose Sparpolitik macht auch vor Einschnitten bei der Schule nicht halt.
Die Wählerschaft verprellt
Bereits im Dezember segnete das Parlament mit den Stimmen der Lega einen kantonalen Steuerfuss im Rahmen einer Defizitbremse ab, aber auch lineare Kürzungen auf die Zuschüsse für Krankenkassenprämien. «Wir tun dies aus Verantwortungsbewusstsein», sagte Fraktionschef Michele Foletti. Mit FDP und CVP bildet die Lega seither eine Allianz, die den Spitznamen «Triciclo» (Dreirad) erhalten hat. Nur geht die Lega manchmal mit den Grünen und der SVP fremd – wenn es etwa darum geht, ein Sonderstatut für das Tessin zu fordern.
Die Lega hat Regierungsverantwortung übernommen – und verprellt einen guten Teil ihrer Wähler. «Die soziale Seite ist untergegangen», monieren Kritiker. Das hat man nun auch in der Chefetage bemerkt, bei den sogenannten Obristen, einem kleinen Kreis von Würdeträgern, die die wichtigsten Entscheide fällen. So soll nun doch die Ja-Parole zu dem von der SP ergriffenen Referendum gegen die Subventionskürzungen von Krankenkassenprämien ausgegeben werden. «Wahrscheinlich sind 90 Prozent unserer Wähler gegen die Kürzungen», meint Koordinator Attilio Bignasca. Auch die Kürzungen bei der Schule in Lugano will er bekämpfen.
Tanz auf mehreren Hochzeiten
Bei der SVP kommen die Pirouetten gar nicht gut an. «Wir wissen nicht mehr, mit welcher Lega wir es zu tun haben», sagt SVP-Fraktionschef Marco Chiesa. Zwar beherrschte die Lega auch unter Giuliano Bignasca den Spagat zwischen institutioneller Präsenz und ausserparlamentarischer Opposition. Doch als Partei der relativen Mehrheit in der Regierung offenbaren sich die Widersprüche eines Tanzes auf mehreren Hochzeiten noch deutlicher. «Tatsache ist, dass die Lega heute Vorschläge macht, die sie jahrelang selbst bekämpft hat», sagt SP-Präsident Saverio Lurati mit Blick auf die Steuererhöhungen in Lugano. Er weiss, wovon er spricht. Seine Partei wurde von der Lega über zwei Jahrzehnte als «Partito delle tasse», als Steuerpartei, an den Pranger gestellt.