Berner Zeitung / Thuner Tagblatt vom 27.08.2009
Immer wieder tun sich linke Aktivisten als Warner vor Rechtsextremismus im Berner Oberland hervor. «Rechte machen uns nach», sagen sie unter anderem. Derweil müssen sie sich ebenso den Vorwurf der Gewalttätigkeit gefallen lassen.
Marco Zysset
Das Open Air Krattigen am 8. August, die Gummibootdemo auf der Aare am 15.August, ein Filmabend in Bern am 22.August und eine Antifa-Demo am 29.August in Thun: Linke Aktivisten haben den August zum «antifaschistischen Aktionsmonat» erklärt. Ihr Ziel: «Nationalisten den Boden entziehen.» Diese Zeitung traf zwei junge Antifa-Aktivisten (Antifa = Antifaschisten) zum Gespräch. Sie waren aus Furcht vor Repressionen nur unter der Bedingung, dass ihre Anonymität gewährt bleibt, bereit, sich zu äussern.
Ist die rechtsextreme Szene in der Region Thun/Berner Oberland in der Tat so gefährlich, dass Leute wie Sie, die dagegen ankämpfen, sich in der Anonymität verstecken müssen, um sich vor Übergriffen zu schützen?
U.* Das ist eine präventive Schutzmassnahme. Fakt ist, dass das, was wir hier besprechen, nicht im Berner Oberland bleibt. Die Rechte ist schweizweit und international vernetzt. Kommt hinzu, dass sie jetzt anfangen, eine Anti-Antifa aufzubauen. Da droht Leuten, die offen dagegen anstehen, schon Gefahr; Briefe nach Hause sind noch das Kleinste. Wer öffentlich gegen Nazis aufsteht, wird erfasst und registriert.
Ist die Antifa ähnlich vernetzt? Überhaupt: Wie ist die Antifa organisiert?
U.* Die Szene besteht aus vielen autonomen Gruppen, die niemandem Rechenschaft schuldig sind. Natürlich gibt es unter diesen Gruppen Kontakte und gemeinsame Treffen.
Führen Sie auch ein Register, in welchem Rechtsextreme erfasst sind?
K.* Sagen wir es so: Es gibt verschiedene Gruppen in der Antifa, die verschiedene Arbeiten machen. Wir sind vor allem für Öffentlichkeitsarbeit wie den laufenden Aktionsmonat August zuständig. Es gibt handkehrum auch Antifa-Gruppen, die sich vor allem mit Recherchearbeit beschäftigen.
Ist diese sehr versplitterte Struktur historisch gewachsen, oder ist sie bewusst gewählt, um nicht oder nur bedingt angreifbar zu sein?
U.* Die autonomen Strukturen sind in der Schweiz seit über 20 Jahren so gewachsen, in Deutschland noch länger. Natürlich geht es darum, nicht greifbar zu werden. Denn: Antifaschismus ist nicht nur auf den Kampf gegen Nazis fokussiert. Er beinhaltet auch eine antikapitalistische Komponente. Und die wird von Polizei und Staatsschutz genau beobachtet.
Was sind Ihre Hauptanliegen?
K.* Das Libertäre Antifaschistische Kollektiv Thun, Lakt, kämpft primär gegen den Faschismus. Antikapitalismus spielt bei uns eine untergeordnete Rolle.
Weil der Faschismus im Oberland gravierender ist?
K. * Ganz sicher, ja. Der Kapitalismus ist ein globales Problem. Rechtsextremismus ist im Oberland gravierender als in anderen Regionen der Schweiz.
Wie viele Leute sind in Ihrer Gruppe tatsächlich politisch aktiv, und wie viele sind gewalttätige Mitläufer, denen egal ist, ob sie unter einer antifaschistischen Fahne prügeln oder unter der eines Fussballvereins?
U.* Man muss differenzieren: Von uns besuchen auch Leute Fussballspiele. Die Medien verschreien halt alles als Hooligans, obwohl es auch dort Unterschiede gibt. Wenn das Abfeuern einer Petarde mit einem Steinwurf gleichgesetzt wird oder wenn eine politische Demonstration gleichgesetzt wird mit Hooligan-Ausschreitungen, muss man den Sensationsjournalismus kritisieren. Bei unseren Demonstrationen passiert dasselbe: Es gibt sehr wohl Hitzköpfe, die wir am liebsten zu Hause lassen würden. Aber im Fussball missbrauchen Leute die Plattform ebenso wie an politischen Demonstrationen oder an einem Grossanlass wie dem Thunfest. Idioten gibt es überall. Wir müssen uns immer wieder neu hinterfragen, wie wir mit diesen umgehen.
Können Sie verstehen, dass Ihr zum Teil massives Auftreten – in Schwarz gekleidet und oft vermummt – Menschen abschreckt und eine Abwehrhaltung auslöst?
U.* Es ist völlig verständlich, dass Menschen, die keinen Bezug zum Thema haben, erschrecken, wenn sie einer solchen Gruppe begegnen.
K.* Ich habe an der letzten Demo Ende Mai unvermummt Flyer verteilt. Genau jene Leute, die über die Vermummten gewettert haben, wollten keinen Flyer. «Das mag ich gar nicht lesen», war eine Antwort, die ich oft hörte. Ich behaupte, diese Leute würden sich auch aufregen, wenn wir anders auftreten würden. Denn ihr grösstes Anliegen ist das ungestörte Einkaufsvergnügen am Samstagnachmittag.
Ich komme noch einmal zurück auf die Anzahl Menschen, die bei Ihnen mitmachen. Wie hoch ist der Anteil jener, die sich auch ausserhalb von Konzerten engagieren; respektive wie hoch ist der Anteil der Mitläufer?
U.* Ich würde sagen, 30 bis 40 Prozent der Leute arbeiten in unserer oder in einer anderen Gruppe aktiv mit. Der Rest ist dabei, weil sie die Musik oder die Texte mögen, weil sie jung sind, weil etwas läuft. Aber schon allein, dass sie dabei sind, ist positiv – und wir versuchen auch, sie mit Flyers und Infos zu versorgen.
K.* Es sind halt auch die meisten, die auf diesem Weg zu uns stossen, indem sie Konzerte besuchen, dann mehr Leute kennen lernen und sich für die Thematik zu interessieren anfangen.
Sie nutzen also Konzerte oder ähnliche Veranstaltungen, um Mitglieder zu werben?
U.* Ja – und die Rechten versuchen jetzt, uns das nachzumachen.
Täuscht der Eindruck, oder funktioniert die Rechte organisatorisch immer ähnlicher wie die Linke?
U.* Wir können vielleicht einen Blick nach Deutschland werfen. Dort ist mittlerweile die Rede von «Autonomen Nationalisten». Die treten im selben Look wie die Linke auf; sie haben zum Beispiel die rot-schwarze Fahne der Antifa adaptiert.
K.* Sie hören Hip-Hop-Musik, Punk oder Metal… Das alles heisst, sie agieren heute wie wir – und haben damit gerade bei Jungen Erfolg. In der Schweiz, namentlich im Berner Oberland ähnelt der Auftritt der Rechten immer mehr unserem Auftritt.
Jetzt müsste die Linke in dem Fall wieder «aufrüsten». Kommt der Zeitpunkt, an welchem sie im wahrsten Sinne des Wortes zurückschlägt?
U.* Nun, wir müssen Rechtsextreme in erster Linie argumentativ aushöhlen. Diese Möglichkeit besteht. Das bedeutet aber, dass sich die Linke nicht nur aktiv mit der Problematik auseinandersetzt, sondern sich auch bewusst wird, was sie sagt und wie man kritisiert. Nur wer rechte Inhalte studiert, kann die Lücken darin auch finden. Die Pnos etwa kritisiert offiziell den Kapitalismus, ruft aber gleichzeitig dazu auf, die Menschheit nicht in zwei Klassen – Arbeiter und Oberschicht – zu trennen, sondern gemeinsam vorwärtszugehen. Damit kritisieren die Rechten in keiner Weise den Kapitalismus. Viel eher fahren sie eine Art SP-Linie.
K.* Oft wird auch nicht direkt der Kapitalismus kritisiert; vielmehr sind so verpackte Texte nichts anderes als antisemitisch, weil sie sich vor allem gegen sogenanntes «jüdisches Finanzkapital» auflehnen. Auch Themen wie Tierschutz dienen ihnen in erster Linie dafür, gegen das Schächten anzutreten. So kann man ihr Treiben mit einfachen Argumenten sehr gut entlarven.
Wie funktioniert die rechte Szene im Berner Oberland, wie tritt sie im Alltag auf?
K.* Es gilt zu unterscheiden zwischen den Organisierten und den Nichtorganisierten. Von der organisierten Rechten wie der Pnos, der Helvetischen Jugend et cetera sieht man im Alltag nicht sehr viel…
Also keine Glatze und Springerstiefel mehr?
K.* Überhaupt nicht, die fallen in der Masse überhaupt nicht mehr auf. Ich fahre jeden Morgen im selben Zug wie Mario Friso (Anmerkung der Redaktion: Friso ist Aktivist bei den Oberländer Nationalisten – er kommt im dritten Teil unserer Serie zu Wort). Man sieht ihm nicht an, dass er ein Fascho ist.
Und wer sind die Nichtorganisierten?
K.* Das sind jene, die den ganzen Tag am Bahnhof rumhängen. Die sehen wir momentan weniger als Gefahr an. Sie können dann gefährlich werden, wenn sie in Gruppen auftreten, sich vielleicht betrinken und dann auf Andersdenkende oder Ausländer treffen.
Sind rechte Schläger eine Bedrohung in Thuns Ausgehleben?
K.* Seit der Schliessung der Selve sind sie ziemlich zersplittert in der ganzen Stadt anzutreffen. Ein eigentliches Stammlokal, in welchem sie in ganzen Gruppen rumhängen, haben sie nicht mehr. Heute trifft man sie eher zu zweit oder zu dritt in verschiedensten Lokalen in der Stadt.
Von welcher Gruppierung geht die grössere Gefahr aus?
K.* Meiner Meinung nach klar von der organisierten Rechten. Die anderen können mir höchstens gefährlich werden, wenn ich am Abend alleine unterwegs bin, das «falsche» T-Shirt trage und auf eine Gruppe von ihnen treffe. Die organisierte Rechte ist für mich die grössere Gefahr, weil ihre Mitglieder ideologisch wirklich dahinterstehen. Jene, die am Bahnhof rumhängen, sind ideologisch nicht wirklich gefestigt.
Ich behaupte, die Minderheit der Schweizer Bevölkerung ist ideologisch gefestigt…
U.* Das ist nicht einmal die Linke. Ideologisch gefestigt heisst auch, dass man für längere Zeit aktiv für eine Sache einsteht und sich nicht nach zwei Jahren wieder aus der Szene verabschiedetet.
K.* Eine Gefahr ist auch, dass die organisierte Rechte auch bei jenen Leuten, die jetzt einfach planlos rumhängen, Mitglieder rekrutiert.
Was muss geschehen, damit das Problem gelöst werden kann?
U.* Sehr viel. Denn das Problem ist vielschichtig. Wer Nazi wird, tut das nicht einfach aus Lust an der Freude. Das geht tief und hat mit einem verklärten Bild von Nationalstaat und konservativem Gedankengut zu tun. Solange die gesellschaftlichen Verhältnisse sind, wie sie sind, wird sich auch nichts bewegen. Es ist kein Zufall, dass an der SVP-Demo am 6.Oktober 2007 rund 100 Neonazis mitmarschieren, ohne dass sich jemand daran stört oder dass sich auf dem Rütli oder in Sempach lange niemand an den Rechten gestört hat.
Was ist das Ziel des laufenden Aktionsmonats?
U.* Zu erreichen, dass die Leute über Rechtsextremismus sprechen; dass sie ihn überhaupt als Problem wahrnehmen.
K.* Natürlich wollen wir auch junge Leute anspornen, etwas zu unternehmen.
Aber die Jungen sind nicht jene, die an der Urne oder in der Politik allgemein das Sagen haben.
U.* Das ist ein Problem, das die Politik allgemein hat. Aber gerade deshalb ist es wichtig, dass wir viele Junge informieren können, damit sie sich auch mit 30 oder 40 noch daran erinnern.
K.* Es ist sicher richtig, dass die 16- bis 20-Jährigen heute nicht in Massen an die Urne gehen. Aber wenn sie es später tun und noch dasselbe Bewusstsein haben, dann ist das sicher gut.
Das tönt für mich jetzt aber eher nach Evolution nach dem Motto «Steter Tropfen höhlt den Stein» denn nach Revolution…
U.* Sicher. Auch Hartnäckigkeit kann zum Ziel führen, und standhaft zu bleiben. Die Gefahr ist gross, dass man sich schon früh mit dem kommerziellen Komfort der Gesellschaft abgibt.
Wie viel Zeit investieren Sie eigentlich in Ihr «Hobby»? Schliesslich arbeiten Sie vollberuflich…
U.* Das kommt ganz darauf an. Wenn ein grosser Anlass ansteht, wie jetzt der Aktionsmonat August, dann sicher mehr. Übers Jahr gesehen sind es sicher zwei bis drei Stunden pro Woche.
Kürzlich wurde in Thun kritisiert, Sie stellten die Behörden mit Demogesuchen zum Teil kurzfristig fast vor vollendete Tatsachen. Wie weit hinaus planen Sie Ihre Anlässe?
K.* Ich weiss nicht genau, wie die Aktion Hausgeist bei diesem Gesuch vorgegangen ist. Sie war es, die an der letzten Demo die Federführung hatte. Aber wir arbeiten jetzt bereits seit mehreren Monaten am Aktionsmonat August.
Abschliessend: Haben Sie Angst, wenn Sie am Abend in Thun ausgehen?
U.* Nein.
K.* Nein. Aber Vorsicht ist sicher angebracht; ich kleide mich beispielsweise bewusst unauffällig.
*Namen der Redaktion bekannt