BaslerZeitung
Dutzende von Schmähbriefen mit rassistischem Inhalt hat Walter Stoll in den letzten Jahren verschickt. Trotz schlechter Prognoseverurteilte ihn das Strafgericht zu einerbedingten Strafe von vier Monaten.
pld. Walter Stoll, 79, ist ein Überzeugungstäter. Zu Nazizeiten stand er im Sold der Waffen-SS, heute verunglimpft er Personen, die ihm politisch oder religiös nicht genehm sind, auch ohne sie persönlich zukennen. Gestern nun stand Stoll vor dem Basler Strafgericht. Zum einen ging es um die Strafverfolgung wegen Verletzung des Antirassismusartikels; dazu kamen drei Ehrverletzungsklagen.
Anonyme Schmutzkampagne
Belegt ist die jahrelange Aktivität Stolls als anonymer Briefschreiber. Als «Feldjäger vom Hochrhein» unterzeichnete er Schmähpost an verschiedene Privatpersonen, die sich in der einen oder anderen Artöffentlich zum Thema Juden, Zweiter Weltkrieg oderAusländer geäussert hatten. Betroffen waren neben Politikern vor allem die Autorinnen und Autoren vonLeserbriefen, die Stoll in primitivster Weise konterte. Als der Revisionist selbst einen Leserbrief in der BaZ platzieren wollte und die Redaktion das rassistische Elaborat an die Staatsanwaltschaft weiterleitete, war Stoll als Urheber der Schmutzkampagne überführt. In der gestrigen Verhandlung verlas Gerichtspräsident Niklaus Benkler zahlreiche Muster, wie Stoll seine Adressaten verbal attackierte: Von «Kauft nicht bei Juden» über «Gruss aus Buchenwald» bis zu «jüdische Ratten» reicht sein Arsenal. Einer im Kleinbasel wohnhaften Frau schrieb er, «wenn es so weiter geht, fangen wir an, Häuser anzuzünden» – eine Drohung, die erschreckend an die «Kristallnacht» von 1938 erinnert. Neben Privatpersonen belästigte Stoll mitseiner meist unfrankierten Post auch Organisationen wie die Israelitische Religionsgesellschaft oder die Basler Handelskammer.
14 Betroffene hatten im Lauf der Jahre gegen Unbekannt Strafanzeige wegen Rassendiskriminierung erhoben. Allerdings stellte die Staatsanwaltschaft sämtliche Verfahren «mangels Beweisen» ein.
Einzig der SP-Grossrat Hanspeter Kehl rekurrierte gegen den Entscheid und bekam Recht. Kehl, auch Klägerwegen Ehrverletzung, hatte vorgeschlagen, ein Mahnmalfür abgewiesene Flüchtlinge und Schweizer, die ihnen geholfen haben, zu errichten – und war so in StollsVisier geraten.
«Unverbesserlicher Rassist»
«Ich will diesen Personen meine konträre Meinungbekannt machen und erreichen, dass sie endlich Ruhegeben», begründete der notorische Auschwitzleugner seinen anonymen Amoklauf. Die Vorwürfe akzeptiert er inhaltlich, ist sich jedoch keiner Schuld bewusst odergar reuemütig. Niggi Dressler, der Anwalt der drei Privatkläger, bezeichnete denn auch in seinem Plädoyer den Angeklagten als «unverbesserlichen Rassisten». Stoll sei zudem kein harmloser alter Mann, sondern nehme aktiv an SS-Veteranentreffs teil. Auch die 14-monatige Gefängnisstrafe, die er 1946 wegen fremder Kriegsdienste hatte antreten müssen, habe seine Einstellung zur Nazizeit nicht verändert. Schliesslich seien die 14 belegten Fälle nur die Spitze des Eisbergs, es habe dutzende oder sogar hunderte weiterer Briefeund Postkarten gegeben, so der Anwalt. Dressler forderte deshalb eine unbedingte neunmonatige Gefängnisstrafe sowie je 3000 Franken Entschädigung wegen Ehrverletzung.
Amtsverteidiger Markus Trottmann stellte nicht in Abrede, dass sich sein Mandant rassistisch und ehrverletzend geäussert habe. Trotzdem plädierte er für Freispruch: Der Tatbestand der Öffentlichkeit sei nicht gegeben gewesen, denn Stoll habe seine Adressaten individuell angeschrieben. Zum andern dürfe beim laufenden Verfahren bloss der einzige, dank Rekurs zu behandelnde Fall berücksichtigt werden. Die Ehrverletzungsklagen schliesslich seien verjährt, da sie an die falsche Instanz eingereicht worden seien. Gerichtspräsident Niklaus Benkler suchte einen Kompromiss und orientierte sich an den wenigen vorhandenen vergleichbaren Urteilen. Eine einfache Rassendiskriminierung und dreifache Ehrverletzung sei unbestritten; beim Strafmass spiele die Persönlichkeit des Angeklagten eine Rolle: Er sei keine Führerfigur, sondern ein «Mitstreiter im braunen Strom». Weiter handle es sich um eine «reduzierte Öffentlichkeit», da Stoll seine Thesen nicht in einer Zeitschrift publiziert, sondern in Briefform zugestellt hatte – vier Monate seien angemessen. Eher als Spagat mutet die Gewährung des bedingten Strafvollzugs an, denn «eine positive Prognose kann man diesem Überzeugungstäter kaum stellen», räumte Benkler ein. Kombiniert mit der auf drei Jahre angesetzten Probezeit sei dies aber vertretbar. Stolls einziger Kommentar: «Jetzt appellieren wir mal und schauen nachher weiter.»