20 Minuten online vom 15.11.2012
Immer mehr Neonazis treten in Kleidern auf, die bisher klar den radikalen Linken zugeordnet wurden. Und die Rechtsextremisten kopieren nicht nur das Outfit, sondern auch Aktionsformen.
Daniel Huber
1966 dichtete der österreichische Lyriker Ernst Jandl: «manche meinen / lechts und rinks / kann man nicht velwechsern / werch ein illtum». In der Tat lassen sich links und rechts leichter als auch schon verwechseln – zumindest wenn es um das Erscheinungsbild militanter Gruppen an den Rändern des politischen Spektrums geht.
Dass sich linksgerichtete Autonome und Neonazis äusserlich immer weniger unterscheiden lassen, liegt an einem bemerkenswerten Wandel im Outfit eines Teils der rechten Szene. Sogenannte «Autonome Nationalisten» (AN) sehen links aus, sind aber nach wie vor extrem rechts. Sie tragen Palästinensertücher, Che-Guevara-Shirts und schwarze Hoodies, hören Hip-Hop und Hardcore und sprayen Graffitis. Diese meist jüngeren Neonazis verstehen sich als revolutionäre Elite und als Trendsetter in der rechtsradikalen Szene. Warum sich diese neuen Rechtsextremen an Stil und Aktionsformen der radikalen Linken orientieren, erforscht der deutsche Politikwissenschaftler Jan Schedler.
Altbackene Nazi-Ästhetik
In der rechtsradikalen Szene in Deutschland haben sich laut Schedler zu Beginn der Neunzigerjahre zwei Strömungen entwickelt. Während sich die einen der NPD anschlossen, bildeten die anderen sogenannte «Freie Kameradschaften», die nur lose organisiert waren. Aus ihnen seien dann ab 2002 die Autonomen Nationalisten hervorgegangen.
Diese jungen Neonazis wandten sich von der als altbacken empfundenen traditionellen Nazi-Ästhetik ab. Stattdessen hätten sie Stil-Elemente aus dem Fundus der radikalen Linken übernommen, erklärt Schedler, der 2011 den Sammelband «Autonome Nationalisten. Neonazismus in Bewegung» herausgegeben hat.
«Symbole und Outfits in unserem Sinne interpretiert»
Mit der modischen Mimikry versuchen die Rechtsextremen, gezielt erlebnisorientierte Jugendliche anzusprechen. Dafür gehen die Autonomen Nationalisten sogar so weit, als cool empfundene englische Slogans zu verwenden («Smash Capitalism!», «Fight the system!»), was bei herkömmlich denkenden Nazis, die hartnäckig «Weltnetz» statt «Internet» schreiben, streng verpönt ist.
Axel Reitz beschrieb die Strategie der Autonomen Nationalisten vor seinem Ausstieg 2012 aus der rechtsradikalen Szene so: «Diese ‹Autonomen› kopieren den Stil und die Aufmachung der linken Strukturen und von linken bisher agitierten Jugendkulturen, dabei werden die bekannten Symbole und Outfits mit unseren Inhalten besetzt und in unserem Sinne interpretiert.»
Schwarzer Block von rechts
Rechtsextreme im klassischen Erscheinungsbild – Glatze, Springerstiefel, Bomberjacke – schrecken dagegen viele Jugendliche durch ihr martialisches Auftreten ab. Sie sind denn auch nur noch ein Teil der gesamten rechten Szene. Ohnehin gibt es auch unter jenen Rechtsradikalen, die nicht linke Stil-Elemente übernehmen, eine Tendenz zur Aufgabe dieses klar erkennbar rechtsextremen Outfits. Sie tragen dann Kleider der Marke Thor Steinar, die auf den ersten Blick nichts mit dem herkömmlichen rechtsextremen Outfit zu tun haben, Eingeweihten aber die Zugehörigkeit zur rechten Szene dennoch signalisieren.
Die Rechten kupfern bei den Linken aber nicht nur das Outfit ab, wie Schedler betont. Sie übernahmen auch zunehmend deren Aktionsformen. Ein Beispiel dafür ist das Auftreten in einem «Schwarzen Block», der bei Demonstrationen die Staatsmacht herausfordert und sich aufregende Strassenschlachten mit der Polizei liefert. Diese ursprünglich von linken Autonomen verfolgte Taktik ist mittlerweile von den Autonomen Nationalisten kopiert worden.
Die menschenverachtende Ideologie bleibt
Schedler konstatiert allerdings seit 2010 einen Rückgang der Gruppen, die sich selber als Autonome Nationalisten bezeichnen. Dafür sei deren Stil «auf breiter Front in der Szene angekommen». Dadurch habe sich die rechte Szene insgesamt modernisiert. Allerdings gilt das nur für das Outfit – die menschenverachtende Ideologie bleibt stets dieselbe.