Lauter schreien als die Rechtsextremen

BernerZeitung

BURGDORF / Der Schülerrat des Gymnasiums Burgdorf hat zu einem hochkarätig besetzten Podium zum Thema Rechtsextremismus geladen. Gegen die Ängste etlicher Gymnasiasten vor erneuten Übergriffen durch Rechtsradikale konnte kein Patentrezept präsentiert werden. Man war sich aber einig, dass nicht geschwiegen werden darf.

° CHRISTINE BRAND

Die Türe der nicht gerade grosszügig bemessenen Aula des Gymnasiums Burgdorf musste gestern offen gelassen werden. Denn Platz war in Anbetracht des Grossandrangs Mangelware – dies, obwohl das Alternativprogramm «schulfrei» gewesen wäre. Aber das Thema, zu dem der Schülerrat ein prominent besetztes Podium organisiert hatte, mobilisierte: Die Jugendlichen sollten die Gelegenheit erhalten, ihre Fragen zum Thema Rechtsextremismus für einmal den Experten zu stellen.

Unter Polizeischutz wurde die schulinterne Veranstaltung zwar nicht gestellt. Die Spielregeln wurden aber gleich zu Beginn klipp und klar erklärt: «Namen müssen die Fragenden keine bekannt geben», sagte Podiumsleiter Peter Brandenberger von Radio DRS. Wenn jemand trotzdem Angst habe, könne er im Anschluss verlangen, dass seine Frage aus der Radioübertragung gestrichen werde. Klare Weisungen gabs auch ans Fernsehen DRS: Nur die ersten Minuten durften gefilmt werden, keine Nahaufnahmen.

«Burgdorf fällt auf»
Denn die Angst ist nach den gewalttätigen Übergriffen von Rechtsextremen an der Burgdorfer Solätte Ende Juni latent. Auch in jüngerer Zeit wurden Drohungen ausgesprochen. Einer Gymnasiastin, die im Radio Auskunft gab, wurde am Telefon angedroht, sie werde «invalide geschlagen». Für Hans Stutz, Journalist und Rechtsextremismus-Spezialist, ist Burgdorf mit seiner Problematik kein Einzelfall. «Burgdorf fällt aber auf, weil sich die Leute wehren.» Einer, der sich am deutlichsten zur Wehr setzt, ist Gymer-Rektor Jürg Wegmüller. Dass er mit seiner Informationsaktion am Gymnasium die Medien auf den Plan gerufen hat, bereut er nicht, «auch wenn andere das Thema lieber totgeschwiegen hätten».
Laut Stutz hat sich die Szene der Rechtsextremen in der Schweiz in den letzten drei Jahren verdrei- oder vervierfacht. Die Rechtsextremen seien nie zuvor so stark und aktiv gewesen. «Noch nie verfügten sie über eine so grosse Infrastruktur.» Für Marcel Niggli, Strafrechtler und ebenfalls Experte ins Sachen Rechtsextremismus, liegt ein weiteres Problem darin, dass die Grenzen immer verschwommener werden: «Wenn man nicht ganz genau hinhört, kann man nicht sicher sein, obs ein Rechtsradikaler oder die Zürcher SVP gesagt hat.» Wegmüller schätzt, dass Gewalt und Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft eher akzeptiert würden als vor zehn Jahren. «Diese Zunahme der Fremdenfeindlichkeit fällt auf das Ende der Rezession in der Schweiz», sagt Wegmüller. Was werde wohl passieren, wenn die Schweiz einmal in einer tieferen Krise stecke? Wegmüller: «Das macht mir Angst.»
Nach einer intensiven Diskussion über die Entwicklung der Rechtsextremen-Szene in der Schweiz widmeten sich die Referenten den Fragen und Anliegen der Schüler. Doch selbst die Experten waren bei manchen Fragen mit ihrem Latein am Ende. «Solange sie bloss den Jungen ,uf e Gring gä‘, ist es den meisten egal», reklamierte ein Schüler. «Eine konkrete Lösung, wie man gegen den Rechtsradikalismus ankämpfen kann, habe ich bislang noch nicht gehört.» Hans Stutz gab ihm Recht. Für ihn ist klar, dass endlich eine politische Strategie erarbeitet werden müsste. «Man könnte schweizweit eine Anti-Rassismus-Kampagne lancieren», versuchte sich ein Schüler mit einem Lösungsvorschlag. «Dies ist ein Unterfangen, das allein in der Stadt Burgdorf als unmöglich erscheint», entgegnete Rektor Wegmüller. Gerade im Wahlkampf stosse man auf viele Wenn und Aber. Dabei sei es falsch, auf den politisch-strategisch richtigen Moment für eine wahre Reaktion zu warten. «Jetzt müssen wir endlich Farbe bekennen», verlangte Wegmüller. «Unsere demokratischen Kräfte müssen laut sagen: Nein, halt, stopp.» Hilflos sei sie gewesen, als an der Solätte wahllos Leute von Rechtsradikalen verprügelt wurden, sagte eine Schülerin. «Die Leute haben nicht gewusst, wie reagieren.» Für Marcel Niggli heisst die Lösung schreien. «Man muss einen Höllenlärm veranstalten, damit möglichst viele Leute darauf aufmerksam werden.» Dies gelte sowohl in der Menge als auch, wenn man alleine sei. Niggli findet sowieso, dass mehr Lärm verursacht werden müsste. «Wir sind eine Schreihalsgesellschaft.» Wenn einzig die Rechtsextremen schrien, höre man nur sie. Alle anderen müssten aber entgegenhalten. Niggli: «Wer am lautesten schreit, wird gehört.»

Anzeige um Anzeige
Man werde in Burgdorf gewisse Wege meiden, befürchtete Jürg Wegmüller. «Aber wie kommt es heraus, wenn wir uns in dieser Stadt nicht mehr frei bewegen können?» Sämtliche Podiumsteilnehmer stimmten mit ihm überein, dass alle Vorfälle gemeldet, alle Drohungen und Übergriffe angezeigt werden müssten. «Nur so wird das wahre Ausmass ersichtlich», sagte Wegmüller. In Kleinarbeit müsse mit Anzeige um Anzeige gegen den Rechtsextremismus angekämpft werden.