Lässt der Richter alle laufen?

BernerZeitung

Gestern hatten die Anwälte das Wort: Alle forderten für ihre Mandanten Freispruch. Wer am Handgemenge schuld ist, in das letzten Frühling eine Burgdorfer Musikerfamilie geriet, wird sich heute mit dem Urteil weisen.

Sein Mandant sei das Opfer einer grossen Medienkampagne geworden, die die Gegenseite, nämlich die Burgdorfer Musikerfamilie Y* und deren Rechtsanwalt, lanciert hätten, sagte der Rechtsvertreter des Angeschuldigten Gurtmann*. Die Familie Y habe Gurtmann als Rechtsextremen gebrandmarkt, und dadurch sei dieser von der Öffentlichkeit und der Burgdorfer Politik vorschnell in eine braune Ecke gedrängt worden, in der er sich gar nicht befinde. Das?Musik- und Filmmaterial, das man bei einem Hausbesuch vorgefunden habe, zeige lediglich, dass sich der junge Mann für den Zweiten Weltkrieg interessiere. «Daraus eine rechtsradikale Gesinnung zu konstruieren, ist absurd.»

Drei verletzte Personen

Diese Worte sprach der Rechtsanwalt gestern am Gerichtsverfahren rund um die Burgdorfer Musikerfamilie Y, die nach ihrer Schilderung in der Nacht vom 21. auf den 22.April in der Oberstadt von jungen Männern angegriffen worden war. Im Zuge des Handgemenges vor der Musikschule erlitten der erwachsene Sohn und die Mutter Verletzungen am Kopf. Auch einer ihrer Gegenspieler bekam etwas ab ? Stauchungen an Hüfte und Mittelhand. Weil hüben wie drüben Verletzungen zu verzeichnen waren, sitzen nun beide Seiten vor Gericht, um sich zu verantworten: Familie Y mitsamt ihrem Kollegen wie auch Gurtmann von der Gegenseite, der die Tätlichkeiten gemäss Familie Y angezettelt hatte. So soll er in der Schmiedengasse mit dem Gürtel auf Y jun., den er wegen einer alten Animosität im Visier hatte, eingedroschen und dann in einer nahen Beiz Helfer aus der rechten Szene rekrutiert haben. Kumpels stellten sich jedenfalls ein; daraus entstand ein Gerangel, in dessen Verlauf einer der neu Hinzugekommenen Y jun. ins Gesicht schlug. Das hat er vor Jugendgericht bereits gestanden. Gurtmann selber will jedoch nie handgreiflich geworden sein; seine Version lautet, dass er Angst gehabt und deshalb Kollegen gebeten habe, ihn zu begleiten.

Entsprechend stellte gestern sein Anwalt vor Gericht den Antrag, sein Mandant sei freizusprechen; zudem gebühre ihm wegen des öffentlich erlittenen Unrechts eine Entschädigung von 3000 Franken.

Der Anwalt der mitangeschuldigten Familie Y, die gleichzeitig als Privatklägerin auftritt, konterte: Wenn jemand Musik der Rechtsrockband «Indiziert» höre und spezifische Kleidungsstücke trage, sei es nicht mehr so absurd, zu folgern, der Betreffende komme von rechts aussen. Dieser Frage mass der Anwalt letztlich aber wenig Bedeutung bei; entscheidend sei, dass gegen seine Mandantschaft nur Strafantrag wegen Raufhandels vorliege und keines der Familienmitglieder in eine Situation verwickelt gewesen sei, die diesem Tatbestand entspreche. Zwar habe Y sen. ebenfalls den Gürtel ausgeschlauft, aber nur, um sich gegen Gurtmann zur Wehr zu setzen, der seinen Lederriemen als Erster gezückt habe. Als dadurch die Situation brenzlig geworden sei, habe Vater Y die Polizei angerufen; dass er gleichzeitig auch noch den Gürtel geschwungen habe, sei undenkbar, das lasse sich gar nicht bewerkstelligen. Folglich habe er erst nach dem Telefonat zum Gürtel gegriffen.

«Nicht strafbar»

Auch den Schlag, den Y jun. eventuell gegen einen der hinzugekommenen Männer geführt hatte, wertete der Anwalt als Gegenwehr, und ebenfalls nicht strafbar sei es, einen Täter festzuhalten, wie es wiederum Y jun. versucht hatte. Dass Vater Y kurz darauf einen jungen Mann gepackt habe, sei in schlichtender Absicht geschehen. Der Anwalt beantragte Freispruch für die ganze Familie. Auch der Freund der Familie sei, so forderte dessen Anwalt, freizusprechen, denn er habe sich ebenfalls nie an Handlungen beteiligt, die einem Raufhandel entsprächen.