Interview aus der SonntagsZeitung vom 11.02.01
Die Hacker der WEF-Datenbank über das Ziel ihrer Aktion, ihre politischen Motive und ihr Networking auf globaler Ebene
SonntagsZeitung: Wer sind Sie?
Hacker: Wir sind ein Kollektiv, das sich Virtual Monkeywrench nennt. Wir arbeiten in wechselnder Zusammensetzung. In diesem Fall waren vier Leute beteiligt. Aber was heisst schon Kollektiv? Gehören nicht alle, die mit uns leben, lieben und mit uns in Internetforen Probleme diskutieren, ebenfalls dazu?
SZ: Wann kam es zur Attacke gegen das WEF?
Hacker: Irgendwann im Jahr 2000.
SZ: Wo befanden sich die WEF-Daten?
Hacker: Man könnte sagen, sie lagen im Schaufenster und boten sich selbst an.
SZ: Wie sind Sie ins System eingedrungen?
Hacker: Eindringen kann man das nicht nennen. Wir benutzten keine speziellen Hilfsmittel, bloss Standardsoftware. Und wir änderten nichts an der Sicherheitskonfiguration. Sie könnten auch jemanden fragen, wie er in einen offenen Hof spaziert sei.
SZ: Wieso haben Sie die erbeuteten Daten nicht benutzt, um Störaktionen gegen die Mächtigen der Welt durchzuführen?
Hacker: Die Veröffentlichung der Daten scheint ja schon ziemlich beunruhigend zu sein. Das WEF sorgt sich darum, den Schaden zu begrenzen: Man muss Tausende von Kreditkarten sperren, Telefonnummern und E-Mail-Adressen ändern. Alle möglichen Ermittlungsdienste kommen ins Spiel. Die Organisatoren des WEF müssen sich vor ihren Mitgliedern rechtfertigen. Klar, wir hätten von multinationalen Konzernen auch ein paar Millionen Dollar abzocken können. Bloss: Es hätte das System nicht verändert. Ein Manager geht, der nächste kommt. In unseren Augen kann eine Veränderung nur stattfinden, wenn eine wachsende Zahl von Leuten diese Mechanismen nicht mehr unterstützt und jede Art von Hierarchie zurückweist. Die Veröffentlichung der Daten erfüllt alle Kriterien guter Sabotage: Das gut geölte Laufen der Maschine wird gestört, Autoritäten verlieren Einfluss und werden unterminiert. Die Entdeckung der Fehlbarkeit Gottes ist der erste Schritt zum Sturz seines Throns.
SZ: Was war das Ziel Ihrer Aktion?
Hacker: Für uns Hacker ist es wichtig, alle Information offen zu legen und in einem weiteren Sinn die Mächtigen und die Macht zu attackieren. Wir sind gegen «private areas». Deshalb wollten wir an die Benutzernamen und Passwörter ran – und plötzlich hatten wir stapelweise Informationen.
SZ: Was ist Ihre politische Haltung?
Hacker: Eine Art Synthese zwischen Anarchismus und Hacker-Ethik. In unseren Augen ist geistiges Eigentum illegitim, es dient den Interessen der Mächtigen und stört die Zusammenarbeit. Es gibt andere Formen, wie etwa die freien Softwareprojekte im Internet zeigen. Hervorragende Software wird dort ohne Copyright entwickelt und gehört allen. Die Idee von freier Software richtet sich gegen den Eigentumsbegriff. Jeder kann sie benutzen. Via Copyleft werden Leute daran gehindert, sie zu missbrauchen, um Profit zu machen. Das Ideal vom freien Zugang gilt nicht nur bei Computersoftware. Die Idee funktioniert auch in der Gesellschaft. Es sollte allen möglich sein, von natürlichen, ökonomischen und sozialen Ressourcen zu profitieren.
SZ: Sie sind gegen den Kapitalismus und gegen die Globalisierung?
Hacker: Was heisst Globalisierung? Bedeutet es, die Patente und Urheberrechte auszuweiten gemäss dem Abkommen über den Schutz geistigen Eigentums der WTO? Auf Druck der Pharma- und der Musikindustrie wird versucht, geistiges Eigentum weltweit zu schützen. Wir wollen diese Anstrengungen stören, öffentliches Eigentum zu privatisieren. Kapitalismus basiert auf der Maximierung von Profiten, auf Wettbewerb und auf Privatbesitz von Wissen und Ressourcen. Das passt nicht zu unserer Vision einer Welt, in der Information und andere Güter unentgeltlich geteilt werden.
SZ: Ist Hacken nicht auch eine globale Kultur?
Hacker: Hacken bedeutet: Alles aus den Computern rauszubekommen. Das heisst: Elegante Programme zu schreiben. Nur die Massenmedien verstehen das nie. Sicherheitsbarrieren zu durchbrechen, heisst korrekterweise Cracken. Im vorliegenden Fall haben wir weder gehackt noch gecrackt. Wir unterstützen Kommunikation und Networking auf globaler Ebene. Aber wir sind völlig gegen die globale Durchsetzung von Regeln, die einigen wenigen Profit bringen und Millionen von Menschen töten
SZ: Finden Sie das Internet cool?
Hacker: Glauben Sie an Gott?
SZ: Das Internet ist immerhin einer der Hauptmotoren der Globalisierung.
Hacker: Technologie ist nie gut oder böse. Es kommt darauf an, wie sie benutzt wird. Das Internet eröffnet die Möglichkeit, Information weltweit zu teilen.
SZ: Haben Sie keine Angst vor der Polizei?
Hacker: Klar, die Polizei ist ein furchteinflössender Apparat. Aber das ist kein Grund, nicht Widerstand zu leisten.
SZ: Was Sie getan haben, ist mehr als Widerstand: Das Schweizer Strafrecht stellt das Eindringen in fremde Datenverarbeitungssysteme unter Strafe.
Hacker: Eigentum ist Diebstahl. Wir hoffen, dass wir nicht entdeckt werden, bis nichts mehr zum Stehlen übrig ist. Überhaupt: Haben wir etwas gestohlen oder bloss etwas gefunden?
SZ: Wieso haben Sie Ihre Erkenntnisse nicht während des WEF veröffentlicht?
Hacker: Unser Ziel ist es nicht, das Weltwirtschaftsforum zu verhindern, sondern die Machtstrukturen zu unterminieren. Die Welt wird nicht besser, wenn das Forum nicht stattfindet. Die Welt ändert sich nur, wenn Haltungen wie Anpasserei und Fügsamkeit überwunden werden.
SZ: Was dachten Sie, als Sie die Daten sahen?
Hacker: Wir wunderten uns darüber, dass solche Daten einfach auf der Strasse liegen. Es war auch interessant, die Dinge aus einer Perspektive zu sehen, die wir nicht haben sollten: Aus dem Innern eines Privatclubs der Reichen.
SZ: Haben Sie schon andere Hacks oder Cracks gemacht
Hacker: Diesmal war es nicht nötig, Sicherheitsbarrieren zu durchbrechen. Aber wir haben das auch schon getan. Noch nie erhielten wir so viele private Daten auf einmal.
SZ: Wen haben Sie schon angegriffen?
Hacker: Wir haben eine ähnliche CD vom CIA – sind Sie interessiert?
SZ: Gehören Sie einem Hacker-Netzwerk an?
Hacker: Es ist für uns wichtiger, eine gemeinsame politische Haltung zu haben als gemeinsame Mittel. Klar ist es nötig, Erfahrungen auszutauschen, aber wir gehören keinem speziellen Netzwerk an.
SZ: Aus welchen Ländern stammen Sie?
Hacker: Wen interessierts?
SZ: In welchem Alter sassen Sie zum ersten Mal an einem Computer?
Hacker: Unterschiedlich. (Ihre Frage hat soeben einen internen Austausch von Lebenserfahrungen angeregt.)
SZ: Welches Alter und Geschlecht haben Sie?
Hacker: Unterschiedlich. Haben Sie noch mehr so interessante Fragen?
SZ: Was ist Ihr grösster Traum?
Hacker: Eine Welt mit selbstbestimmten Menschen, die sich nichts und niemandem unterordnen wollen. Freie Software, freie Liebe!
SZ: Was ist Ihre Haltung zu den Aktionen, die auf der Strasse gegen das WEF stattgefunden haben? Im Vergleich zu Ihrer Aktion war deren Wirkung marginal.
Hacker: Wieso sollte deren Wirkung marginal gewesen sein? Änderungen passieren nicht in der virtuellen, sondern in der realen Welt. Die Aktivisten in der Schweiz haben immerhin viele Menschen dazu gebracht, auf der Strasse Widerstand zu leisten.
SZ: Wie denken Sie über das Polizeiaufgebot in Davos?
Hacker: Die Tatsache, dass wir virtuell ins WEF reinspaziert sind, heisst nicht, dass das Polizeiaufgebot in Davos nicht Angst gemacht oder totalitär gewirkt hätte.
SZ: Was Sie getan haben, war kriminell. Haben Sie kein schlechtes Gewissen?
Hacker: Unser Gewissen richtet sich nicht nach den Gesetzbüchern.