martin brodbeck
Rechtsextreme Gewalt lässt sich mit Polizeimassnahmen in den Griff bekommen. Problematischer sind die zahlreichen verunsicherten Jugendlichen, die sich als Patrioten verstehen. Dieses Fazit ziehen Jugendarbeiter, die an der Front tätig sind.
«Wir hatten keine Anzeichen für das, was passiert ist»: EVP-Landrat Thomi Jourdan macht keinen Hehl daraus, dass selbst die Streetworker von der Schlägerei vom 23. Dezember in Liestal überrascht wurden (die baz berichtete). «Vor zwei Monaten hätte diese Entwicklung noch niemand voraussagen können», doppelt Jourdan, stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung Jugendsozialwerk und bis Ende des letzten Jahres auch Streetworker in Liestal, nach. Er bekennt freimütig: «Wir tappen im Dunkeln.»
Prävention und Repression. Dass unter den vier mutmasslichen Tätern zwei Personen sind, die bereits beim Angriff auf den Liestaler Pronto-Shop im Jahr 2004 zu einer Jugendstrafe verurteilt wurden, ist für Jourdan ein Zeichen dafür, «dass der Staat noch härter eingreifen muss». Dennoch mag Jourdan nicht von einem Rechtsextremismus-Problem im Kanton Baselland sprechen. Der Polizeieinsatz nach dem Pronto-Angriff habe seine Wirkung nicht verfehlt. Aber offenbar habe diese in der Zwischenzeit nachgelassen.
Nach dem Pronto-Angriff setzten im Baselbieter Landrat viele Politiker ihre Hoffnungen auf einen verstärkten Einsatz von Streetworkern. Ist der erneute Gewaltausbruch ein Zeichen dafür, dass auch dieses Mittel versagt hat?
«Es braucht Prävention und Repression», hält Jourdan der Kritik entgegen. Er habe sich schon bei der damaligen Debatte im Landrat gegen links und rechts zur Wehr setzen müssen: «Gegen die Ratslinke, die glaubte, alles mit Prävention erreichen zu können, gegen die Ratsrechte, die allein nach mehr Polizei rief.» Prävention ist laut Jourdan bei labilen Jugendlichen wirksam, die in ihrer Unsicherheit zu rechtsextremem Gedankengut neigen. Bei klar strukturierten Gruppen mit einer verfestigten Ideologie brauche es hingegen die Repression, die klare Grenzen setze. Der Rechtsstaat müsse diesen Gruppen klar machen, dass er Gewalt nicht toleriere.
Zwischen Prävention und Repression müsse eine klare Trennlinie gezogen werden. Die Arbeit der Streetworker werde oft daran gemessen, «wie viele Bierflaschen nach einem Wochenende auf dem Dorfplatz umherliegen», stellt Jourdan fest. Doch Aufgabe der Streetworker sei nicht Repression. «Ihre Aufgabe ist es, den Jugendlichen in einer schwierigen Lebenssituation zu helfen.» Dabei, so Jourdan, gehe es nicht nur um die «lauten Jugendlichen», sondern auch um die stillen. Nicht nur um jene, welche ihre Aggressionen gegen aussen richteten, sondern auch um jene, die sie gegen sich selbst richteten und im Extremfall selbstmordgefährdet seien.
Auch für Thomas Furrer, Leiter der Streetworker Regio Liestal-Sissach beim Jugendsozialwerk, kamen die Zwischenfälle überraschend. Allerdings, stellt er fest, brauche es nicht viel, bis es zu einer Eskalation komme. «Ein falsches Wort oder eine falsche Geste genügen für einen Gewaltausbruch.»
Zwischenfall in Sissach. Die Situation an informellen Jugendtreffpunkten sei oft «sehr emotional», beobachtet Furrer. So habe am letzten Freitag ein Zusammenstoss zwischen rund 30 Jugendlichen in Sissach nur durch das rechtzeitige Eintreffen der Polizei verhindert werden können.
Furrer warnt davor, alle diese Jugendlichen als Rechtsextreme zu titulieren: «Sie selber fühlen sich als Patrioten.» Auch sei die Szene nicht so hart wie im Ausland. Embleme wie Hakenkreuze gebe es nicht. Als Streetworker versuche er, in Einzelgesprächen dazu beizutragen, dass die verfeindeten Jugendgruppen aufeinander zugingen.
EVP-Landrat Thomi Jourdan sieht das Verhalten der Jugendlichen auch in einem politischen Zusammenhang. Den Jugendlichen werde der Gegensatz Schweizer?Ausländer geradezu angeboten. Die zunehmende Links-rechts-Polarisierung komme bei den Jugendlichen dabei verstärkt zum Ausdruck. Darum macht Jourdan die verbreitete Ausländerfeindlichkeit bei Jugendlichen «viel mehr Angst als die rechtsextreme Spitze des Eisbergs».