Kleinstädte als beliebte Ziele

BernerZeitung

Die rechte Szene, die einmal mehr in Burgdorf wütete, sucht vor allem Kleinstädte heim. Beobachterin Elisabeth Zäch: «In solchen Ortschaften können sie eben mit kleinem Aufwand grossen Schrecken verbreiten.»

«Man getraut sich in letzter Zeit abends kaum mehr in die Oberstadt; die Neonazis stehen draussen auf der Gasse und patrouillieren.» Das sagt Emanuel Brünisholz, der am Freitagabend zusammen mit Vater, Mutter und einem Musikerkollegen in Burgdorf von einem Trupp Rechtsextremer zusammengeschlagen wurde. Die Mutter erlitt dabei beträchtliche Verletzungen am Kopf (Ausgabe von gestern).

Wie stark ist die Präsenz der rechten Szene in Burgdorf? Gemeinderätin Elisabeth Zäch, Mitinitiantin der Anti-Gewalt-Aktion «Courage», Gemeinderätin und Geschäftsfrau in der Oberstadt, sagt: Tagsüber beobachte sie in der Umgebung ihres Buchladens nichts, das auf die rechte Szene hindeute. Auf Grund von Gesprächen, die sie mit jungen Leuten führe, sei ihr aber bekannt, dass abends zwei Gaststätten in der Ober- und eine in der Unterstadt von Neonazis frequentiert würden. Es handle sich jedoch um eine mobile Szene, die sich nicht ausschliesslich in Burgdorf aufhalte, sondern verschiedene Ortschaften von Kleinstadtgrösse – auch Langenthal oder Herzogenbuchsee – heimsuche. «Kleinstädte sind bei ihnen besonders beliebt, weil sie hier mit möglichst geringem Aufwand möglichst grossen Schrecken verbreiten können», erklärt Zäch. «Ein Trupp von zehn Skins wirkt in einer kleineren Ortschaft bereits bedrohlich, in Zürich aber würde er in der Anonymität untergehen.»

Politisch wirds erst später

Solange junge Skins in voller Montur randalierten und prügelten, stehe man eher vor einem Jugend- und Gewaltproblem als vor einer politischen Bedrohung, fährt Elisabeth Zäch fort. Politisch gefährlich werde es erst, wenn sich ein Skin aus der aktiven Szene zurückziehe, dabei aber immer noch rechtsextrem denke. Auf diese Weise werde dieses Gedankengut in den häuslichen Bereich importiert und setze sich dort fest. «Man muss daher um jeden einzelnen Rechtsextremen kämpfen und ihm andere Weltsichten öffnen», hält Zäch fest.

«Schlimmer geworden»

Der Burgdorfer Rechtsanwalt Daniel Kettiger, der die Familie Brünisholz vertritt, stellt fest: Die rechte Gewalt sei in Burgdorf in letzter Zeit dermassen eskaliert, dass die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger nicht mehr zu jeder Zeit gewährleistet sei. Deshalb brauche es seiner Ansicht nach nun einen Gemeinderatsbeschluss, der es der Polizei ermögliche, die Skins wegzuweisen. Ebenso müsse die Polizei künftig professioneller reagieren. Letzten Freitag seien die Schläger ja nicht einmal in Gewahrsam genommen worden.

Übrigens: Brünisholz junior kann noch nicht aufatmen. Einer der Rechten bedrohe ihn nun damit, dass er ihn mit Hilfe einer Rockerbande zusammenschlagen wolle, berichtet er. Hans Herrmann
Thomas Peter

Szenekennerin Elisabeth Zäch: «Man muss um jeden einzelnen Neonazi kämpfen und ihm andere Weltsichten öffnen.»

Die Kantonspolizei erklärt sich

Die Polizei verteidigt sich, doch die brennende Frage lässt sie offen: Müssen auch Unbeteiligte Prügel der Rechten fürchten?

Montserrat Brünisholz hat den Schock noch nicht überwunden. Kein Wunder: Aus heiterem Himmel wurde sie letzten Freitag von Skins zusammengeschlagen – nur, weil sie mit ihrem Sohn Emanuel durch Burgdorfs Oberstadt flanierte und dieser mit den Rechten eine Rechnung offen hatte.

Der jahrelange Kleinkrieg zwischen jungen Rechten und Linken hat damit eine neue Dimension erreicht. Unvermittelt hatte jemand rein zufällig Prügel abbekommen, und das verunsichert. Umso mehr, als die Polizei rechte Gewalt in letzter Zeit ohnehin eher herunterzuspielen pflegte.

So sprach sie nach der Solätte-Nacht 2005 zuerst von einem kleinen Zwischenfall, erst der Prozess letzte Woche machte deutlich, dass die Rechten sehr wohl hart dreingeschlagen haben. Emanuel Brünisholz seinerseits klagte, wie schon zuvor andere Betroffene, man habe ihn beim ersten Zwischenfall vor Monaten nicht ernst genug genommen.

Zu diesen Fragen wollte die Kantonspolizei gestern nichts sagen; ein Interview lehnte sie rundweg ab. Dafür versandte sie ein Communiqué mit ihrer Sicht. Sie betonte, am Freitag «zeitverzugslos» reagiert zu haben, zudem sei es ihr auch gelungen, «die Lage zu beruhigen und eine weitere Eskalation zu verhindern». Im Moment müsse «von einer personenbezogenen und nicht politisch motivierten Auseinandersetzung ausgegangen werden».

Den Aussagen der Betroffenen widerspricht das nicht. So sind für Gemeinderätin Elisabeth Zäch (SP) die Übergriffe der jungen Skins nicht in erster Linie Ausdruck von politischer Gesinnung, sondern von Jugendgewalt ganz allgemein (Text oben). Stephan Künzi

Reaktion

Burgdorf will mehr Polizei

«Wir drücken der Familie Brünisholz unsere Betroffenheit aus.» Franz Haldimann formulierte den Satz gestern Abend mit Nachdruck. Doch Burgdorfs Stadtpräsident wollte es nicht nur bei Worten bleiben lassen. An einer vorgängigen Sitzung hatte der Gemeinderat vier konkrete Massnahmen beschlossen.

Burgdorf will gemeinsam mit dem Kanton für die Wochenenden eine zweite Polizeipatrouille auf die Beine stellen. Diese soll vorab auf Gemeindegebiet zirkulieren und die erste, ebenfalls aus Stadt- und Kantonspolizisten gebildete Patrouille ergänzen. Denn die, so Haldimann, sei für die gesamte Region zuständig, könne also im entscheidenden Moment auch in Koppigen oder Wynigen tätig sein.

Burgdorf will wieder Courage-Plakate aufhängen und so die Leute ermuntern, bei Gewaltakten mutig hin- und nicht wegzuschauen.

Burgdorf unterstützt eine von der Bewegung Courage organisierte Kundgebung, die fürs Wochenende angesagt ist.

Burgdorf will an einem runden Tisch mit Fachleuten und Betroffenen über Jugendgewalt diskutieren.