Anzeiger von Uster
Illnau-Effretikon Kürzlich haben Unbekannte einen von der SP genutzten Schaukasten in Effretikon mit allerlei Klebern verschandelt. Auffällig: Sämtliche Sujets hatten einen direkten oder indirekten Bezug zu Deutschland – so waren auf der Vitrine etwa Sticker der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands oder ein Stasi-Aufkleber zu entdecken – dazu ein Kleber mit einem Judenstern auf der Kleidung eines KZ-Häftlings. Die örtliche SP spricht von einer Aktion gegen links und hat Strafanzeige eingereicht. Recherchen zeigen, dass dahinter Gruppierungen rechtsextremer Gesinnung stecken könnten. (zo) Seite 7
Wer sind die Vitrinen-Vandalen von Effretikon?
Illnau-Effretikon In einer Effretiker Bahnhofunterführung haben Unbekannte einen Schaukasten verunstaltet. Einige Kleber deuten auf eine Aktion von Rechtsextremen hin.
Marco Huber
Ein Judenstern auf der Kleidung eines KZ-Häftlings, eine Deutschland-Flagge, die von einem blutigen Messer durchschnitten wird, dazu Aufschriften wie «Arbeiterverräter» und «Volksverräter»: Es sind Sujets, die einem ins Auge stechen. Kürzlich so gesehen in einer Bahnhofunterführung in Effretikon. Dort haben Unbekannte einen Schaukasten mit zahlreichen Klebern verunstaltet. Die beiden Abstimmungsplakate hinter der Glasscheibe waren kaum mehr zu erkennen. Verdeckt wurden sie auch mit mehreren Logos der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und einem Kleber, auf dem «Die Stasi!» steht.
Die SP Illnau-Effretikon/Lindau mietet diese Vitrine bei der Stadt, um Passanten auf ihre Themen und Positionen aufmerksam zu machen. Die Ortssektion hat bei der Kantonspolizei Zürich Strafanzeige gegen unbekannt eingereicht. Dies wegen Sachbeschädigung und möglicher Verstösse gegen die Rassismus-Strafnorm.
Unter Beobachtung
Der Vorfall wirft Fragen auf. Markus Annaheim, Co-Präsident der lokalen SP-Sektion, spricht von einer Aktion gegen die Sozialdemokraten oder zumindest gegen links. «So etwas haben wir in dieser Form bei uns noch nicht erlebt», sagt er. Zwar seien in der Vergangenheit auch schon vereinzelt Plakate beklebt worden, jedoch nie mit rechtsextremen Sujets in einer solchen Häufigkeit. Annaheim vermutet, dass Angehörige mit einer rechtsextremen Gesinnung hinter der Aktion stecken könnten. Zu diesem Schluss kommt der Stadtparlamentarier, da sich auf den Klebern ein Hinweis befunden hat, wo diese bestellt werden können.
Beim Anbieter handelt es sich um einen Online-Shop für rechtsextremes Material wie T-Shirts, Plakate, Flaggen, Tassen, Schlüsselanhänger sowie Sticker und Aufkleber. Betreiber des Shops ist ein bekannter Rechtsextremist aus der deutschen Stadt Halle. Er steht unter Beobachtung des deutschen Verfassungsschutzes.
«Weisse Elite»
Waren da also Neonazis am Werk? Eindeutige Hinweise gibt es noch nicht. Theorien aber durchaus. Denkbar wäre etwa diejenige, dass es sich bei den Vitrinen-Vandalen um Anhänger der Eisenjugend oder der Nationalistischen Jugend Schweiz handelt.
In der Vergangenheit tauchten an verschiedenen Orten Aufkleber auf, auf denen die Eisenjugend als Absender vermerkt war – so zum Beispiel in Winterthur, aber auch in der Nähe der Universität Zürich und der ETH Zürich. Diese rechtsradikale Gruppierung beschwört einen «apokalyptischen Rassenkrieg», aus dem die «weisse Elite» als vorherrschende Macht hervorgehen soll.
Visite der Antifa
Samuel Althof, Leiter der Fachstelle für Extremismus und Gewaltprävention, hält fest, dass es sich bei dieser sicherlich nicht rein zufälligen Aktion um eine «unappetitliche Provokation aus einem möglicherweise rechtsextremen Milieu» handelt. Rückschlüsse auf die genaue Gesinnung der Vandalen zu ziehen, sei jedoch schwierig. Althof hält es aber für plausibel, dass Vertreter der Nationalistischen Jugend Schweiz (NJS) dahinterstecken könnten. Die NJS steht im Verdacht, gemeinsam mit der Eisenjugend Schweiz für verschiedene Aktionen verantwortlich zu sein: darunter für ein Hetzvideo, in dem eine Israel- und eine EU-Flagge verbrannt wurden, Heil-Hitler-Skandierungen und das Anbringen von Klebern mit potenziell antisemitischen und rassistischen Sujets an verschiedenen Orten.
Extremismus-Experte Althof vermutet allgemein, dass es den unbekannten Tätern «eher um die Verunstaltung der Plakate an sich und weniger um gezielte Botschaften geht». So gesehen dürfte es sich hierbei um einen vergleichsweise kleinen Einzelfall handeln. Es gebe allerdings punktuell immer wieder Probleme mit Klebereien oder Sprayereien, die von extremistischen Gruppen ausgingen. Gerade in urbanen Regionen stösst man in der Öffentlichkeit auch immer mal wieder auf Graffiti der Antifaschistischen Aktion (Antifa), die der linken bis linksextremen Szene zugeordnet wird.
Im Frühling sind Anhänger der Antifa offenbar im Lindauer Ortsteil Tagelswangen in Aktion getreten. Dort haben sie gemäss einer Mitteilung auf dem Antifa-Portal Barrikade einem mutmasslichen Neonazi einen Besuch abgestattet. Dieser soll bei der Nationalistischen Jugend Schweiz aktiv sein.
Genozid oder Dieselverbot?
Die Kleber der NPD sind indes nicht verboten. Laut Althof werden diese immer mal wieder in die Schweiz bestellt und angebracht. Problematisch erscheint ihm vor allem der Kleber mit dem Judenstern, in dessen Mitte der Hinweis «Dieselfahrer» steht – dazu die Frage «Wieder so weit?». Er geht davon aus, dass dieses Sujet unter anderem eine Anspielung auf mobile, dieselbetriebene Gaswagen ist, die auch im Genozid an den Juden zum Einsatz kamen. «Diesen Bezug zu erkennen, setzt jedoch tiefere historische Kenntnisse voraus.»
Die Beschreibung auf dem Online-Shop, von dem der Kleber stammt, offenbart jedoch einen anderen Hintergrund. Der Dieselfahrer sei der neue Jude, heisst es dort. «Öko-Faschos und Gutmenschen machen verbal Jagd auf alle Dieselfahrer und angeblichen Verursacher von Feinstaub und des Klimawandels.»
Diese Gleichsetzung – und somit Verharmlosung – der Judenverfolgung soll demnach die Empörung über die deutsche Umweltpolitik und neue Schadstoffgrenzwerte zum Ausdruck bringen. In den letzten Jahren verhängten verschiedene deutsche Städte nämlich Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, falls die Schadstoffwerte in der Luft zu hoch sind. Vor zwei Jahren hat das Bundesverwaltungsgericht dazu ein Urteil gefällt.
Symbol bei Corona-Demos
Judensterne und schwarz-weiss-gestreifte KZ-Häftlingsanzüge werden symbolisch immer mal wieder auch von der Organisation Pegida – kurz für Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes – und der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland verwendet. Zuletzt sind vergleichbare Sujets vor allem in Deutschland vermehrt an Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen der Regierung gesichtet worden. Vor allem Impfgegner tragen diese historisch stark behafteten Symbole, wenn auch in leicht abgewandelter Version, um darauf aufmerksam zu machen, dass sie sich ausgegrenzt fühlen. Verschiedene Städte – darunter München und Stuttgart – verbieten mittlerweile das Tragen solcher Symbole bei Corona-Protesten.
Die zerschnittene Deutschland-Flagge interpretiert Samuel Althof als Fingerzeig auf die Flüchtlingskrise und die diffuse Angst, dass mit den Flüchtenden auch potenzielle Dschihadisten ins Land kämen. Rund um das mit Blut befleckte Messer steht: «Der wirkliche Feind des Gutmenschen ist die Realität.» Ein rassistisches Motiv kann Althof hierbei nicht erkennen. «Rechtsextreme wissen generell sehr genau, wie weit sie gehen dürfen und ab wann es strafrechtlich relevant wird.»
Nicht strafwürdig
Die Frage, ob einer der platzierten Kleber gegen die Rassismus-Strafnorm verstösst, lässt sich relativ simpel beantworten. Ein Strafrechtsanwalt beurteilt die Sujets als nicht strafwürdig. Die Rassismus-Strafnorm werde nicht verletzt. «Dafür fehlt, dass der Absender werbend eine bestimmte Ideologie verbreitet», hält der Jurist fest.
Der Judenstern-Kleber beispielsweise lasse im Kontext vielmehr darauf schliessen, dass sich Dieselfahrer in einer Opferrolle sähen, als dass dadurch zur Diskriminierung einer Rasse aufgerufen werden solle. Strafrechtlich mache es auch keinen Unterschied, ob die Botschaft nun als Frage oder als Aussage formuliert sei. Da es sich bei den beiden Klebern um Botschaften mit starkem Bezug zu Politik und Geschichte Deutschlands handeln könnte, drängt sich die Frage auf, ob dem Sabotageakt in Effretikon überhaupt irgendein näherer Bezug zur Schweiz zugrunde liegt.
Genaue Schlussfolgerungen zu Hintergrund und Motiv dieser Vitrinen-Verunstalter scheinen noch nicht möglich. Die Ermittlungen in diesem Fall laufen noch. Die Kantonspolizei Zürich macht daher zum konkreten Fall keine weiteren Angaben. «Rückschlüsse auf die Gesinnung solcher Tatpersonen lassen sich jeweils erst machen, wenn diese überführt werden konnten», sagt Mediensprecher Marc Besson. Ein extremistischer Hintergrund wäre zwar eine mögliche Annahme, jedoch könnten es auch Jugendliche sein, die aus Leichtsinn Plakate mit solchen Klebern überklebt haben. «Das wäre aber Spekulation.»