Klamauk-Nazis? SVP-Nationalrat warnt vor Verharmlosern in der eigenen Partei

Blick

Von Urs Moser

BERN. Moritz Leuenberger macht die Bundesratspartei SVP mitverantwortlich für die Neonazi-Pöbeleien auf dem Rütli. Und er findet damit sogar in den Reihen der SVP Zustimmung. Nationalrat Ulrich Siegrist war am 1. August auf dem Rütli. Er warnt vor den Verharmlosern in den eigenen Reihen.

«Wer reisst denn die Hemmschwellen nieder? Woher kommen denn Ausdrücke gegenüber dem Bundespräsidenten wie „charakterlos“ oder „Halbbundesrat“? Aus den Federn und Mündern einer Bundesratspartei. So wird eine hasserfüllte Stimmung geschaffen.» Mit diesen Worten nahm gestern Bundesrat Moritz Leuenberger (58) in einem Interview im «Tages-Anzeiger» zur Rütli-Schande Stellung.

Starker Tobak. Bundesrat Leuenberger beschuldigt die Blocher-SVP und ihren Wortführer Christoph Mörgeli (45), mitverantwortlich für den Neonazi-Aufmarsch zu sein.

Als «Klamauk-Nazis» verniedlichte SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli die Rütli-Pöbler in der «Weltwoche». Sein Protest gegen Leuenbergers Kritik bleibt denn auch nicht aus. «Eine hilflose und peinliche Reaktion eines Bundesrats, der sein Departement nicht im Griff hat und Christoph Blocher aus der Regierung drängen will», wetterte SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli gegenüber BLICK. Und er setzte noch einen drauf: «Christoph Blocher und SVP-Präsident Ueli Maurer wurden seit Jahren mit Torten beworfen, deswegen schrie niemand, die Demokratie sei in Gefahr.»

Die Schande vom Rütli -für Mörgeli eine Erfindung der Medien: «Ohne dieses Medienecho gingen die Randalierer auch nicht hin.» Der braune Mob – für Mörgeli eine Übertreibung: «Das waren vor allem pubertäre Provokateure ohne politisches Konzept, aber mit dem dumpfen Gefühl im Bauch, dass sie als Schweizer in der Schweiz nichts mehr wert sind.» Die Pöbeleien gegen Bundespräsident Samuel Schmid -für Mörgeli zumindest teilweise selbst verschuldet: «Sportfunktionäre als Zujubelmasse aufzubieten war unglücklich, das hat die Rechtsextremen nur noch mehr angestachelt.»

Totschweigen, verharmlosen, nicht einmal klipp und klar auf Distanz gehen. Das ist nicht die Einheitsmeinung in der SVP. Nationalrat Ulrich Siegrist (60) gibt SP-Bundesrat Leuenberger Recht: «Die Losung, man müsse das nicht zu ernst nehmen und könne den Aufmarsch auf dem Rütli als jugendliche Verirrung abtun, wurde vor sechs Jahren auch von Christoph Blocher ausgegeben. Ausgerechnet er, der jetzt als Justizminister die Verantwortung für den Rechtsstaat trägt, war einer der Verharmloser.» Ulrich Siegrist war am 1. August selbst auf dem Rütli. Für ihn ist klar: «Wer das für pubertäres Gehabe hält, hat nichts von der Geschichte begriffen. Das war eine gezielte Behinderung der demokratischen Diskussion mit keineswegs pubertären, sondern hoch politischen und gefährlichen Parolen.» Man dürfe die rechtsextremen Manifestationen zwar nicht überbewerten, dennoch rät Siegrist seinen Parteikollegen: «Gewisse Leute meiner Partei müssten mit ihren Stellungnahmen vorsichtiger werden, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, als Sympathisanten der Extremisten abgestempelt zu werden.»

Ein Rechtsradikaler schwingt auf dem Rütli eine Schweizer Fahne. Fotos siggi bucher

Nazi-Symbole«Verbot könnte längst in Kraft sein»

BERN. Ein junger Mann versteht die Welt nicht mehr: Vor zwei Jahren hat Tobias Neuenschwander (22, Bild) in der Jugendsession eine Petition für ein Verbot von Nazi-Symbolen vorangetrieben. Und jetzt das!

Die Petition für ein Verbot jeglicher Symbole, die den Nationalsozialismus und den Faschismus öffentlich verherrlichen, ist zwar von beiden Räten gutgeheissen worden.

Nur wenige Petitionen schaffen in der Schweiz die parlamentarische Hürde.

Aber Justizminister Christoph Blocher will die Durchführung plötzlich auf die lange Bank schieben (BLICK berichtete). Die Sache sei nicht vordringlich, hatte Blocher am 15. Juni im Ständerat erklärt.

«Wir haben die Sache damals ausgiebig diskutiert, aber am Schluss erhielten wir die Mehrheit», erinnert sich der angehende Disponent bei der Rhätischen Bahn.

Neuenschwander hatte Ende Oktober 2003 mit seiner Vorbereitungsgruppe exakt jene Symbole und Gebärden im Visier, die am 1. August auf dem Rütli getragen und demonstriert wurden.

«Super!», meinte er sarkastisch, als er in seinen Schottland-Ferien von der Rütli-Schande erfuhr. «Das ist eine Frechheit. Einander ausreden zu lassen, ist eine Schweizer Tugend.» Und dann fügt er enttäuscht hinzu: «Das Verbot solcher Symbole und Gebärden könnte längst in Kraft sein.»

Der Zürcher Oberländer wurde während einer Tagung in Dachau für das Thema sensibilisiert. Die beklemmenden Berichte ehemaliger Insassen des KZ Dachau hatten ihn stark mitgenommen: «Es hat mich nicht mehr losgelassen.»

Neuenschwander hofft deshalb, dass nach der Rütli-Schande 2005 das Parlament dem Justizminister Beine macht.

Georges Wüthrich

Ein Skinhead trägt auf dem Rütli ein T-Shirt mit dem Schriftzug «14 words» – ein Codewort für das Glaubensbekenntnis von gewaltbereiten Rassisten.

Das sagen die Bundesräte zur Rütli-Schande

Bundesrat Pascal Couchepin (63)

«Ich will die Kollegialität nicht verletzen. Deshalb äussere ich mich jetzt nicht zu einem Thema, das zuerst einmal Sache des Justizministers ist.»

Bundesrat Hans-Rudolf Merz (62)

«Würde man die 1.-August-Feier auf dem Rütli künftig ganz aussetzen, wäre das eine Kapitulation. Und das dürfen wir nicht zulassen.»

Bunderat Moritz Leuenberger (58) – gegenüber Radio DRS

«Wichtig ist, dass der demokratische Dialog auf dem Rütli weiterhin möglich ist. Es müssen alle zugelassen werden, ausser denen, die von vornherein die Feier undemokratisch stören wollen. Dafür gibt es genügend polizeiliche Mittel.»

Bundesrat Joseph Deiss (59)

«Ich warne davor, die Thematik zu verharmlosen: Wer den politischen Gegner nicht respektiert, ist oft auch bereit, andere demokratische Grundwerte zu verletzen.»

Bundespräsident Samuel Schmid (58)

«Solche Leute dürfen nicht gewinnen. Deshalb würde ich nächstes Jahr notfalls wieder auf der Rütliwiese aufs Rednerpult steigen, wenn es sein müsste.»

Bundesrätin Micheline Calmy-Rey (60)

Bevor sie für einen Besuch ihrer Tochter nach Australien abflog, erklärte sie gegenüber Vertrauten: «Ich kann nur eines sagen. Ich bin empört.»

Justizminister Christoph Blocher (64)

Seine Sprecherin, Beatrice Born, erklärte nach Rücksprache: «Bundesrat Blocher äussert sich zur Rütli-Schande generell nicht in den Medien.»