Wehrli C. (CW)
Das Forschungsprogramm über Rechtsextremismus hat bestätigt, dass die gewaltbereiten Kreise ein eng begrenztes Phänomen sind, dessen gesellschaftliche Ursachen durch familiäre Faktoren relativiert werden. Intoleranz gegenüber Andersartigen ist indes verbreitet.
C. W. Bern, 24. Februar
Einzelne rechtsextreme Vorfälle erhielten in Boulevardmedien enorme Aufmerksamkeit, liest man in dem Buch zum Nationalen Forschungsprogramm über Rechtsextremismus. Ein derartiges Ereignis, die Störung der Rütli-Rede Bundespräsident Villigers durch Skinheads am 1. August 2000, dürfte indirekt – vor dem Hintergrund eines Wachstums rechtsextremer Gruppierungen – das Programm ausgelöst haben, das der Bundesrat 2001 beschloss. Mit 4 Millionen Franken wurden 13 Projekte durchgeführt. Resultate wurden laufend bekanntgemacht. Eine (wohl im Zeichen multikultureller Toleranz rein englischsprachige) Sammelpublikation des Freiburger Strafrechtlers Marcel Niggli für eher wissenschaftlich Interessierte war nun Anlass für eine Medienkonferenz.
Verbreitete «Menschenfeindlichkeit»
Die Definition von Rechtsextremismus war nicht von Anfang an gegeben, sondern teilweise selber Thema der Forschungen. Dabei waren einerseits schweizerische Besonderheiten zu beachten, anderseits internationale Vergleiche zu ermöglichen. Eine repräsentative Befragung ergab nach dem Kriterium einer antidemokratischen, autoritären und gewaltbereiten Haltung ein «Potenzial» von 4 Prozent der Bevölkerung (der Linksextremismus wurde auf 2 Prozent beziffert). In anderen Projekten zeigte sich, dass sich rechtsextremistische Aktivität meist auf die Lebensphase Jugendlicher und junger Erwachsener beschränkt und Gewalt zu einem grossen Teil innerhalb von Jugendsubkulturen ausgeübt wird. Bei den militanten Fussballfans spielen übrigens «politische» Kräfte seit längerem keine wichtige Rolle mehr.
Durchaus in der Mitte der Gesellschaft werden aber aufgrund der Befragung «misanthropische» Einstellungen geortet. Darunter subsumieren Sozialforscher um Sandro Cattacin Antisemitismus (20 Prozent), Islamfeindlichkeit (30 Prozent), Fremdenangst («eine Mehrheit»), aber auch ein konservatives Bild der Frau. Untersucht wurde zudem der Rechtspopulismus, wobei den schweizerischen Bewegungen gegen die Überfremdung eine europäische «Pionierrolle» attestiert wird. Je bedeutsamer der Rechtspopulismus, desto grösser die Aufmerksamkeit für Rechtsextremismus, lautet einer der Befunde. Erfolge etablierter Rechtsparteien und verstärkte ausserparlamentarische Aktivitäten fielen zeitlich teilweise zusammen. Interviews mit aktiven SVP-Mitgliedern brachten vereinzelt extreme Ansichten zutage. Ein generelles Misstrauen gegen Fremde verbindet die Parteiangehörigen, die sich allerdings nach sozialer Herkunft und Perspektive, nach Alter und Einstellung zum Liberalismus erheblich unterscheiden. Ausgrenzende Haltungen beschränkten sich aber, wird eingeräumt, vielleicht nicht auf die SVP.
Unterschätzte Rolle der Familie
Mit Blick auf die Ursachen rechtsextremistischer Betätigung kritisiert der Sozialpädagoge Thomas Gabriel rein gesellschaftliche Erklärungen, wonach die Aktivisten «Modernisierungsverlierer» seien. In den untersuchten Fällen zeige das familiäre Umfeld wenig Randständigkeit, vielmehr ein grosses Mass an Normalität. Ein Teil der Heranwachsenden radikalisiere in Überanpassung die Werte des Herkunftsmilieus. Andere hätten in der Familie Konflikte, Gewalt und eigene Ohnmacht erlebt, seien unfähig zu Empathie und suchten im Extremismus Anerkennung. Bei einem dritten Typ fehle es an Kommunikation mit den Eltern oder an deren Präsenz, so dass die Jugendlichen aus der Isolation ausbrächen und sich bemerkbar machen wollten. Diese Feststellungen sollen keine mechanischen Wirkungen suggerieren, sondern angemessene Reaktionen zum Beispiel in der Sozialarbeit erleichtern.
Bedingungen für Gegenmassnahmen
Einzelne rechtsextremistische Vorfälle lösen immer wieder Gegenmassnahmen aus, vor allem Sensibilisierungskampagnen oder Programme für Schulen. Ob und wie sich eine Wirkung messen lässt, beschäftigte mehrere Forscher. In Tests liess sich ein Einfluss auf die Kenntnisse und allenfalls auf das Problembewusstsein, aber kaum auf die Grundhaltung erkennen. Zum Beispiel führte eine Reihe von Lektionen über Themen wie Feindbilder, Ungleichheit und Konfliktbewältigung vor allem zu Veränderungen bei Schülern in der politischen Mitte; auch nahmen in einzelnen Klassen die konkreten Unstimmigkesiten noch zu. Daraus wird der Schluss gezogen, die Prävention müsse jedenfalls die Lehrpersonen einbeziehen, dürfe aber nicht nur der Schule überlassen werden.
Als griffig erscheinen Massnahmen in besonders betroffenen Gemeinden, wenn Politik, Schule, Polizei und Jugendarbeit zusammenwirken. In ländlichen Regionen könne das konservative Milieu rechtsextremen Tendenzen zwar den Boden bereiten, mit Konformitätsdruck aber auch entgegenwirken, heisst es in einer Information über das Projekt. Die Fachstelle für Rassismusbekämpfung im EDI hat eine Art Arbeitshilfe für Gemeinden herausgegeben. Eine andere Broschüre fasst die Befunde über die Herkunft von Rechtsextremen, die Gewaltszene und den «Ausstieg» aus ihr zusammen. Eine weitere Folge des Forschungsprogramms soll, wie der Bundesrat 2007 beschloss, die regelmässige Erhebung von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus sein. Über weitere Schritte wird aber erst in der zweiten Jahreshälfte entschieden. Dabei wird es unter anderem um die Fragen gehen, welches Gewicht diesem Problem wirklich zukommt und wie weit der Staat auf persönliche Einstellungen einwirken soll.
Marcel Alexander Niggli (ed.): Right-wing Extremism in Switzerland. National and international Perspectives. Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2009. 301 S., Fr. 51.–, € 30.–.