NZZ Online: Das Neonazi-Konzert in Unterwasser hat das obere Toggenburg aufgeschreckt. Es wehrt sich gegen den Ruf, ein guter Boden für Rechtsextremismus zu sein, und erwägt rechtliche Schritte.
Das obere Toggenburg ist bekannt für seine Jodel- und Gesangskultur, ebenso für seinen doppelten Doppel-Olympiasieger im Skispringen, Simon Ammann. Just dort, wo die Einheimischen die Erfolge ihres «Simi» feierten, in der Tennis- und Event-Halle im kleinen Tourismusdorf Unterwasser, mischten sich am Samstagabend ungewohnte, härtere Töne in die heile Klangwelt: Rund 5000 Anhänger rechtsextremer Bands aus halb Europa versammelten sich zum «Rocktoberfest» – eingeladen von der «Reichsmusikkammer».
Kenntnis erst am Nachmittag
Angekündigt war ein Konzert mit Schweizer Nachwuchsbands und 600 bis 800 erwarteten Besuchern. So stand es auf dem von einem Schweizer eingereichten Gesuch zur Erteilung des Gastwirtschaftspatents für den Anlass, wie der Präsident der Standortgemeinde Wildhaus-Alt St. Johann, Rolf Züllig, gegenüber Medien unzählige Male erklären musste. Von der Art und dem Ausmass des Anlasses sei man dann «völlig überrumpelt» worden.
Die Kantonspolizei St. Gallen wusste vom Gesuch, denn die Gemeinde hatte dieses routinemässig an sie weitergeleitet. Gemäss Gian Andrea Rezzoli, dem Mediensprecher der Kantonspolizei, hatten die Behörden zudem Kenntnis, dass ein Konzert rechtsnationaler Bands im süddeutschen Raum geplant war, und wussten, dass es auch im Kanton St. Gallen stattfinden könnte. Laut Rezzoli stand die Abteilung innere Sicherheit der Kantonspolizei dabei in Kontakt mit dem Nachrichtendienst des Bundes.
Am Samstag sammelte sich dann die rechtsnationale Szene in zahlreichen Bussen und Privatwagen im Raum Ulm. Der Veranstaltungsort blieb indes bis Mitte Nachmittag geheim. Erst dann erfuhren die Teilnehmenden ebenso wie die Polizei, dass die Reise ins Obertoggenburg gehen würde. Die Kantonspolizei schickte umgehend mehrere Patrouillen nach Unterwasser.
120 private Sicherheitskräfte
Geheimhaltung und Durchführung des Konzerts funktionierten perfekt. Probleme gab es laut Rezzoli keine: «Der Anlass lief absolut geordnet ab und war professionell organisiert.» Die Veranstalter hätten rund 120 eigene Ordnungsleute gestellt. Die Polizei konzentrierte sich darauf, Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten. Offensichtlich hatten auch die Veranstalter nicht mit einem derart grossen Aufmarsch gerechnet: Die Halle fasst nur 3000 Personen, 2000 Besucher mussten sich deshalb im Freien zwischen Ortszentrum und der Talstation der Standseilbahn Iltios aufhalten.
Frühmorgens um zwei Uhr war Schluss, wie dies die Bewilligung vorsah. Die Konzertbesucher fuhren nach Hause, schliefen in den Hotels am Ort, einige in ihren auf Parkplätzen oder am Strassenrand abgestellten Autos.
Strafnorm verletzt?
Anzeigen wegen des Konzerts gingen nicht ein, auch nicht wegen allfälliger Verstösse gegen die Rassismus-Strafnorm. Polizisten seien zwei-, dreimal in der Halle gewesen, erzählt Gian Andrea Rezzoli. Die Liedtexte der Bands seien aber im Lärm akustisch schlicht nicht zu verstehen gewesen. Er weist zudem darauf hin, dass die fraglichen Bands ihre auf Alben veröffentlichten Liedtexte jeweils juristisch abchecken liessen.
Dennoch klärt die Gemeinde Wildhaus-Alt St. Johann nun zusammen mit der Staatsanwaltschaft ab, ob allenfalls Strafnormen verletzt wurden. Geprüft wird laut Rolf Züllig auch, ob es für die Veranstalter aufgrund der falschen Angaben, mit denen die Gemeinde wie auch der Hallenvermieter getäuscht wurden, Konsequenzen gibt. Wichtig ist Züllig aber vor allem dies: «Ich wehre mich dagegen, dass das Toggenburg ein Nährboden für Rechtsradikale sein soll.» Klangkultur im Toggenburg tönt anders.