Schlägereien, Kundgebungen gegen Gewalt, Demos – in Frauenfeld werden dieserTage die Spannungen zwischen links- und rechtsextremen Jugendlichenöffentlich ausgetragen. Was steckt dahinter?
susanna petrin und kathrin fahrni
Frauenfeld – In Frauenfeld häufen sich Auseinandersetzungen zwischen linkenund rechten Jugendlichen. Am 27. April haben sieben rechtsextreme jungeMänner zwei Jugendliche, die ein Ska-Konzert besucht haben, spitalreif geschlagen.Am 24. Mai kam es an einer von linker Seite organisierten Demo zu einerkurzen gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen links- und rechtsradikalenJugendlichen. Am 27. Mai prügelten sich Schweizer und Ausländer imOberstufenzentrum Auen. Morgen Samstag könnten linke Jugendliche versuchen, eineunbewilligte Gegendemo durchzuführen. Woher kommt dieser Unfrieden, der auf offenerStrasse ausgetragen wird?
«Heute wird in der Familie zu wenig über Politik diskutiert – dieJugendlichen haben keinen Freiraum, sich eine Meinung zu bilden», sagtChrampfe-und-Hirne-Präsidentin Marianne Sax. Ausserdem habe sie in Gesprächen mitJugendlichen erfahren, dass man sich heute schon mit 14 Jahren der linken oder rechtenSeite zuordnen müsse. Warum das Thema gerade in Frauenfeld so präsent sei,kann Marianne Sax jedoch nur vermuten. «Ich habe mich erkundigt: Es ist einallgemeiner Trend, dass die rechte Gewalt eher in der Provinz als in StädtenNiederschlag findet.» Vielleicht fänden die Jugendlichen hier mehr Leere vor alsin einer Stadt? Abgesehen davon: «Ich finde den Entscheid des Stadtrates, dieDemo abzulehnen, sehr mutig. So bietet man der rechten Gewalt keinen Boden.»
Stephan Geiges, Präsident der CVP Frauenfeld, heisst den Entscheid desStadtrates ebenfalls gut. «Zwar wird in der Schweiz das Recht auf Meinungsfreiheithochgehalten. Aber wenn die Sicherheit von Einzelnen – auch Nichtbetroffenen- auf dem Spiel steht, dann ist das Gesuch anzulehnen.» Geiges ruft dazuauf, der Gewalt – ob links oder rechts motiviert – keinen Vorschub zu leisten,indem man sie konsequent nicht akzeptiere. «Frauenfeld hat lange geschlafen»,meint er, brutale Schlägereien oder Demos habe man einfach nicht gekannt. Gutwäre jetzt, wenn die Bevölkerung zusammenstehen würde und den Mut hätte,jene zurechtzuweisen, die sich auffällig verhalten. Peter Hefti von derörtlichen EVP meint, dass man die Jugendlichen vermehrt in Vereinen integrierensollte – «dann kommen sie nämlich nicht auf die Idee, sich einer extremenGruppierung anzuschliessen.»
«Wirtschaftlicher Ruin möglich»
Carlo Parolari, Präsident der FDP, sieht den Tatort Frauenfeld als Zufall.Man müsse jedoch bedenken, dass die militanten Demobesucher beider Seiten -wie übrigens auch die sieben Täter vom Übergriff auf die Jugendlichen -«importiert» gewesen wären. Entsetzt äussert er sich über das Wie: «Wenn man nachjemandem tritt, der bereits verletzt am Boden liegt, dann hat man dienatürliche Hemmschwelle verloren.» Stephan Wyss, Präsident der Frauenfelder Grünen,hätte die Gegendemo erlaubt, denn «das Demonstrationsrecht ist eindemokratisches Recht». Nun befürchtet er, dass die Demo zu einem späteren Zeitpunktstattfinden wird, wenn die Sicherheitskräfte nicht bereit stünden und es darum zuEskalationen kommen wird. «Das kann für Frauenfeld den wirtschaftlichen Ruinbedeuten». Wyss hat an der Demo vor drei Wochen selbst teilgenommen. Erzeigte sich entsetzt über die Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten. Dass sich dieRechtsextremen aus weiten Teilen der Schweiz in Frauenfeld versammeln, istfür ihn logisch: «Einerseits wurde Frauenfeld mit seinen vielen grossenFestivitäten im ganzen Land bekannt. Andereseits hat man den Rechtsradikalen hier imThurgau jahrelang nur zugeschaut.» Als Mittel zur Bekämpfung der Gewaltmüsse den Rechtsradikalen mehr auf die Finger geklopft werden – so wie einst denAsylbewerbern. Die Präsidenten der SVP und der SP waren gestern Donnerstagnicht zu erreichen.
«Solche Spannungen gibt es an vielen Orten in der Schweiz», sagt Hans Stutz,Journalist und Beobachter der rechten Szene. Doch träten sie eher inländlichen und kleinstädtischen Gebieten auf. Der Zusammenbruch der bäuerlichenLebensweise und damit eine berechtigte Angst vor der ökonomischen Zukunft sei einGrund dafür. Weiter kämen diese Konflikte eher in Gebieten vor, diepolitisch von rechten Parteien dominiert würden. «Die SVP und ähnlichen Gruppenpropagieren ein Feindbild, das rechtsradikale Gruppen aufnehmen und zuspitzen.»
Wer unterstützt die Demo noch?
Die linksautonome Antifa Bern war bereit, anonym per Mail Fragen zubeantworten. Sie sieht in den Ereignissen der vergangenen Monate ein Zeichen dafür,dass es in der Ostschweiz eine grosse rechtsextreme Szene gibt, welche bisanhin auf wenig Gegenwehr gestossen ist. Der Frage, ob mit einem Aufmarsch andie morgige, unbewilligte Demo nicht unnötigerweise gewalttätigeAusschreitungen in Kauf genommen würden, weicht die Antifa aus. «Wir unterstützen dieseDemo deshalb, weil es wichtig ist, ein Zeichen gegen Rassismus,Fremdenfeindlichkeit und Übergriffen durch die Neonazis zu setzen», schreibt sie.
Jonas Gisin, Parteivorsitzender der rechtsextremen Partei NationalOrientierter Schweizer (Pnos), distanziert sich von der Demo. Zu Beginn habe die Pnosgeglaubt, es handle sich um eine bewilligte Demo. Seit seine Partei aber dienäheren Hintergründe kenne, wolle sie damit nichts mehr zu tun haben. «Wirfinden, dass Gewalt kein Mittel ist, um sich durchzusetzen und werden nichthingehen.» Diese Anweisung habe er auch allen lokalen Sektionsführern sogegeben. Hinter der Demo vermutet Gisin ihm unbekannte «Hitzköpfe aus der lokalenSzene».
Podium zum Thema Gewalt
Die Gruppierung Chrampfe und Hirne (CH) reagiert mit einer Podiumsdiskussionauf die Feindseligkeiten zwischen linken und rechten Jugendlichen. Unter demTitel «Gewalt in Frauenfeld – wir wollen uns frei bewegen» lädt sie fürDienstag, 24. Juni, 20 Uhr, zu einer Podiumsdiskussion ins Rathaus Frauenfeldein. Diskutiert werden sollen die Ursachen von Rechtsextremismus undGewaltbereitschaft. Wie die Partei mitteilt soll zudem zur Sprache kommen, wie sich dieÖffentlichkeit, die Schulen und die Stadt vor Gewaltexzessen schützen und die«offenbar falsch genutzten Energien von jungen Leuten» in konstruktiveBahnen lenken können. Teilnehmer sind Jürg Frischknecht, Publizist und Kenner derrechtsextremen Szene, Werner Dickenmann, Stadtrat, und Christa Thorner,Stadträtin, Stefan Heinzer, Sozialarbeiter bei der Oberstufe Frauenfeld, und zweiJugendliche. CH-Präsidentin Marianne Sax leitet das Gespräch. (mgt.)
Wer steckt hinter dem Demogesuch?
«Das ist etwas ganz Heisses, sonst würden Sie ja nicht so bohren.» Der Mannvon der Einwohnerkontrolle Frauenfeld reagiert ungehalten auf die Frage nachStefan Nufers Adresse – und gibt keine Auskunft. Tatsache ist: Es gibt einenjungen Mann namens Stefan Nufer in Frauenfeld, er ist aber nicht imTelefonbuch registriert.
Der Name ist seit Tagen auf der Internetseite der rechtsextremen ParteiNational Orientierter Schweizer (Pnos) publik. Der Mann wird dort als freierAktivist aus Amriswil und Organisator der abgelehnten «Demo gegenAusländergewalt» ausgegeben. Nufer ist aber laut Fredi Marty, Infochef der Stadt Frauenfeld,nicht der Name des rechtsextremen Demo-Gesuchsstellers aus Amriswil. Undlaut der Einwohnerkontrolle in Amriswil gibt es dort keinen Stefan Nufer.Es sei sehr selten, dass auf Internetseiten rechtsextremer Gruppen Namengenannt werden, sagt Hans Stutz, Journalist, Autor und Beobachter der rechtenSzene. Ein Stefan Nufer sei ihm nicht bekannt. Stutz sieht drei mögliche Gründefür die Publikation des Namens auf dem Internet. Es könnte erstens sein,dass dieser Mann öffentlich als Rechtsextremer auftreten will. Zweitens sei esaber möglich, dass der Name gegen seinen Willen publiziert worden ist.Drittens müsse in Betracht gezogen werden, dass es sich um ein Pseudonym handelt.Die linksautonome Antifa Bern glaubt, dass hinter den Organisatoren die Pnosund der Betreiber der Seite auslaendergewalt.ch stecken. DerParteivorsitzende der Pnos verneint dies. Er wisse selbst nicht, wer dahinter steckt und werNufer ist. (spe.)