Hooligans und Neonazis wüten und agitieren in den Stadien. Die Nation ist geschockt, die Manager der Sportklubs schauen tatenlos zu.
Von Hans Stutz, Mitarbeit: Michael Marti
Als in der 11. Minute der Verlängerung der Puck hinter Torwart Cristobal Huet ins Netz zischt, bleibt es in der Curva Nord im Luganer Eishockeystadion Resega einen Moment lang sehr still – 2:1 für die ZSC Lions. Mit entgeisterten Mienen starren die Fans des HC Lugano auf die jubelnden Zürcher. Doch als die ZSC-Spieler den Meisterpokal empfangen, wird aus Enttäuschung Hass: In schwarze Bomberjacken gekleidete Männer ziehen sich Mützen in die Stirn und verdecken ihr Gesicht mit einem Tuch. Dann übersteigen sie die Abschrankungen und zetteln auf dem Eisfeld eine wüste Schlägerei an. Ungehindert von privaten Sicherheitsleuten. Ungehindert von Klub-Funktionären des HC Lugano.
Von den Rängen erhalten die Schläger Feuerschutz: Über dem linken Aufgang in die Curva Nord steht ein junger Mann mit unreiner Haut und wässrigen Augen. Er greift zu einer Signalpetarde, lässt sie inmitten der Menschenmenge brennen, wirft dann das Feuerwerk aufs Eis. Immer neue Wurfgeschosse schleudert er auf die Spielfläche. Zwei Meter entfernt steht ein schwergewichtiger Funktionär, der die Eingangskontrolle in der Curva Nord überwacht hat. Er schüttelt sachte den Kopf – greift aber nicht ein. Ebenso wenig wie ein Mann einer privater Sicherheitsfirma.
Die Hooligans wüten, und alle schauen zu. In der «Schandnacht von Lugano» vom letzten Samstag kam es zu den schwersten Krawallen seit langem. Die Öffentlichkeit ist geschockt, Bundesrat Samuel Schmid gibt sich «beunruhigt», will «das Problem offensiv angehen».
Und was sagen die Sportfunktionäre? Minuten nach den Ausschreitungen im Tessin behauptete Lugano-Klubpräsident Fabio Gaggini: «Das alles hat mit Sport nichts zu tun.» Da hat er natürlich Recht. Nur: Die Angreifer kamen geradewegs aus der Curva Nord, die seit Jahren schon die besondere Gunst der Kluboberen geniesst.
Da ist was faul – scharfe Kritik an den Verantwortlichen des HC Lugano übt Dölf Brack, Hooligan-Experte der Stadtpolizei Zürich und schweizweit der beste Kenner der militanten Fanszene. «Seit Jahren hat es der HC Lugano versäumt, gegen Rowdies vorzugehen – es war reines Glück, dass es am Samstag keine Toten gab.» Auch die unheilvolle Nähe der Luganer Sicherheitsleute zu den Krawallmachern ist Brack bekannt. Er weigerte sich deshalb, bei den Play-off-Spielen in Zürich mit den Tessiner Security-Männern zusammenzuarbeiten. «Die hätten unter Umständen Hooligans an unseren Leuten vorbeigeschmuggelt.»
Für die Schande im Schweizer Eishockeysport hat man sich allerdings nicht nur bei den Tessinern zu bedanken. Brack richtet auch schwere Vorwürfe an die Eishockey-Nationalliga: «Die machen seit Jahren gute Miene zum bösen Spiel und ignorieren skandalöse Missstände.» Nun, so fordert Brack, müssten gesetzliche Grundlagen geschaffen werden, um notorische Randalierer vor einem Match in Präventivhaft nehmen zu können. «Es darf nicht sein, dass Gewalttäter unter den Augen von Sportmanagern ungestört wüten.»
So wie es am Samstag im Luganer Eishockeystadion Resega der Fall war: Ein junger Mann, ausgerüstet mit einem Mikrofon, heizte die Curva Nord über zwei fest installierte Megafons an. Auch dann noch, als nicht mehr die Sportler, sondern die Hooligans auf dem Eis die Meister waren. Der Einpeitscher schrie «Zurigo di merda» und lobte den «heroischen» Kampf der eigenen Spieler. Und nach geschlagener Schlacht umarmten sich auf dem Spielfeld Radaubrüder und Sicherheitsmänner. Man kennt sich ganz offensichtlich.
Gewalttätige Fussball- und Eishockeyfans scheinen sich gegenseitig zu motivieren. Basler Fussball-Hooligans wollten am Wochenende ebenfalls auf sich aufmerksam machen: Nach dem Spiel gegen Sion bewarfen sie ausserhalb des Stadions zuerst Sion-Fans, dann die Polizei mit Steinen. Fünf Personen wurden verletzt. Ob Eishockeyspiele oder Fussballmatchs: Fangewalt gehört in der Schweiz mittlerweile zum Sportritual. Ebenso, dass sich die Klubverantwortlichen post festum wortreich von der Hooligan-Randale distanzieren. Hans Peter Schwald etwa, Verwaltungsrat der ZSC Lions, behauptete nach der Strassenschlacht beim zweiten Play-off-Finalspiel ZSC gegen Lugano vom 27. März: «Wir werden missbraucht und sind Opfer dieser Gewalt.» Die eigenen Fans, in diesem Falle die ZSC-Anhänger, seien natürlich «Sportfans» – mitnichten Randalierer und Chaoten.
Vielleicht sollte sich Verwaltungsrat Schwald mal mitten in die ZSC-Anhängerschaft setzen. Eine gute Gelegenheit wäre das Play-off-Spiel vom 6. April gewesen. Hoch über dem Eis, unter dem Dach des Hallenstadions treffen sich die lautesten ZSC-Fans. Sie sind mehrheitlich männlich, fast alle unter zwanzig Jahre alt. Es dampft allenthalben und riecht so süsslich, als hätten die Schweizer Hanfbauern zur Degustation geladen. Die «ZSC-Kiffer» lieben allerdings nicht nur Cannabis, sondern auch Bier: Zügig leeren sie Kartonbecher um Kartonbecher. Inmitten der grölenden Menge fallen kurzhaarige Männer auf: Die jüngsten sind kaum 15, sie tragen schwarze Bomberjacken, gelegentlich mit einem Schweizer Kreuz am Ärmel. Einer hat sich einen Zettel auf den kahl geschorenen Schädel geklebt: «Lugano Merda».
Vielleicht sind dies tatsächlich Sportfans – auf jeden Fall aber Rechtsextremisten: Einige tragen Embleme, welche auf Skinhead-Organisationen verweisen, zum Beispiel Berserker, Rhein-Front oder Skinheads Schweiz. Zeichen dafür, dass in den Stadien nicht nur wild prügelnde Hooligans ihr Unwesen treiben, sondern auch Rechtsextremisten gezielt agitieren, gibt es genug – man muss bloss hinsehen. Am Luganer Stadion Resega finden sich eine ganze Menge einschlägiger Parolen: von 88 Skinheads (88 bedeutet: Heil, Hitler!), über Kelten-Kreuze (ein Szenezeichen für die Vorherrschaft der weissen Rasse) bis hin zu Sieg Heil! und Hakenkreuzen. Niemand hat es in Lugano für nötig befunden, die Zeichen übermalen zu lassen.
Eishockey- und Fussballstadien sind ein wichtiger Treffpunkt für Rechtsradikale. Die Sportmanager verschliessen auch vor dieser Entwicklung die Augen – oder kapitulieren, bevor sie den Kampf aufgenommen haben: «Wir können uns keinen Krieg mit den Neonazis leisten», sagte unlängst der Geschäftsführer des SC Bern, Marc Lüthi. Und ZSC-Verwaltungsrat Schwald steckt den Kopf in den Sand: «Bis zu den Finalspielen hat es überhaupt keine Probleme gegeben.» Falsch. In den letzten Monaten gab es mehrmals Ausschreitungen nach Eishockey- oder Fussballspielen. Zu Jahresbeginn in Rapperswil, nach einem Spiel zwischen Rapperswil-Jona und dem ZSC. Anschliessend griffen 40 Hooligans und Skinheads ein Kulturzentrum an, weil dort ein Hip-Hop-Happening einer «ausländischen Gruppierung» stattfand, wie die Sankt-Galler Kantonspolizei schrieb. Die Übergriffe waren rassistisch motiviert, die Angreifer haben sich «durch eine hohe Gewaltbereitschaft» ausgezeichnet.
Was wird noch passieren? Die hässlichen Szenen in Lugano, von 815’000 Schweizern am Fernsehen mitverfolgt, ist wohl nur der vorläufige Höhepunkt der Hooligan- und Skinhead-Aktivitäten. Doch Mahner stossen immer noch auf taube Ohren. Ende März berichtete ein Leserbriefschreiber in der «Neuen Luzerner Zeitung», bei Heimspielen des FCL sehe man auf den Rängen immer mehr Glatzköpfe, «die Naziparolen schreien, andersfarbige Spieler beschimpfen, Fans mit dummen Sprüchen niedermachen». Und schliesslich würden auch Hakenkreuz-Sticker an Jugendliche verteilt.
Auch in Luzern, genau wie in Lugano, haben es die Stadionbetreiber während Jahren unterlassen, die nazistischen Sprayereien in den Toiletten der Gegentribüne zu entfernen.