NZZ Magazin. Seit Identitäre sich in die Öffentlichkeit drängen, ist eine hitzige Debatte zum Umgang mit ihnen entstanden. Im Zentrum steht Experte Samuel Althof, der die Nähe zur «Jungen Tat» bewusst sucht.
«Hallo M., Was meinst Du mit Globalismus?». Oder: «Hi T.: also … so gruuusig wie Du Dich hier öffentlich gibst, bist Du bestimmt nicht. Ich nehme Dir das jedenfalls nicht ab. Frage: warum Du Dich so gibst?».
Solche und ähnliche Fragen stellt der schweizweit bekannte Extremismus-Experte Samuel Althof den Mitgliedern der rechtsextremen Gruppierung «Junge Tat» auf Twitter. Althof sucht den Kontakt, immer wieder. Er will mit den jungen Männern ins Gespräch kommen. Und die «Junge Tat»? Die diskutiert mit ihm. Manchmal ernsthaft, vermehrt genervt, und zum Teil macht sie sich auch lustig über ihn.
Seit die «Junge Tat» vor drei Jahren das erste Mal an die Öffentlichkeit trat, ist auch der Umgang mit der Gruppe Thema. Nicht nur auf Social Media, sondern ebenso im realen Leben. Vor wenigen Wochen besuchten mehrere Mitglieder der Gruppe eine Veranstaltung über Rechtsextremismus im Zürcher Debattierhaus Karl der Grosse. Auf dem Podium waren SP-Nationalrat Fabian Molina und mehrere Expertinnen und Experten. Ein Mitglied der «Jungen Tat» stellte eine Frage, sie wurde ihm beantwortet. Die Aktion passt zum neuen Bild, das sich die Gruppe seit einigen Monaten geben will: salonfähig, selbstbewusst, identitär.
Immer drängender stellen sich grundlegende Fragen: Wie soll die Gesellschaft mit der «Jungen Tat» umgehen? Und wie sieht sinnvolle Prävention aus? Samuel Althof hat für sich eine Antwort gefunden. In letzter Zeit schrieb er die jungen Männer in den sozialen Netzwerken fast täglich an.
Das sorgt nun für harsche Kritik in Fachkreisen. Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der ZHAW, wurde vor einigen Wochen von einer Assistentin auf Althofs Tweets aufmerksam gemacht. Er sei «erschrocken», erzählt Baier.
«Samuel Althof wird wohl von der naiven Hoffnung getrieben, dass er Mitglieder der ‹Jungen Tat› mit Tweets umpolen kann», sagt Baier, der sich mit Prävention im Internet, politischem Extremismus und Radikalisierung befasst. «Es las sich erst mal wie ein Gespräch unter Kollegen.» Doch ein solches Gespräch setze ja voraus, dass das Gegenüber recht haben könnte. «Für mich gibt es aber gar keine Bereiche, in denen die ‹Junge Tat› mit ihren Positionen im Recht sein könnte.»
Baier bezeichnet Althofs Vorgehen als naiv, und noch schlimmer: als kontraproduktiv. «Wenn man die Kommunikation zu Rechtsextremen nicht abbrechen lassen will, ist das eine Sache», sagt Baier. «Eine ganz andere ist es, wenn man ihnen durch solche Gespräche eine noch grössere Aufmerksamkeit verschafft.»
Auch in der Öffentlichkeit sind Althofs Methoden heftig umstritten. Die linke «WoZ» kam zum Schluss, Althof habe «den Kompass verloren» und verharmlose die Rechtsextremen. «Sonntags-Blick»-Journalist Fabian Eberhard hat beruflich Kontakt mit Althof und recherchiert seit Jahren im rechtsextremen Milieu. Das «teils kumpelhafte Auftreten» von Althof gegenüber gewaltbereiten Rechtsextremen der «Jungen Tat» findet er heikel. Althof sollte sich der Aussenwirkung solcher Konversationen vor Publikum bewusst sein: «Sie bergen die Gefahr, dass die ‹Junge Tat› als Gruppe aufgewertet, verharmlost oder schlimmstenfalls gar legitimiert wird.»
Aber was bezweckt Althof eigentlich mit seinen Konversationen mit Rechtsextremen? «Ich lasse auf Twitter einzig einen Redekanal offen», sagt Althof auf Anfrage dieser Zeitung. Das Ziel sei, die Mitglieder der «Jungen Tat» zum Nachdenken zu bringen. «Auch Rechtsextreme können ihre radikale Gesinnung ändern, dafür muss man aber einen Draht zu ihnen etabliert haben. Solange diese jungen Extremisten noch keine vollständig abgeschlossene Ideologie haben, solange man also überhaupt noch diskutieren kann, lohnt sich ein Austausch.»
Hoi, Gerne komme ich darauf zurück.
Wüsste aber nicht welche Relevanz deine jüdischen Wurzeln haben.
— vorstadtaktivist (@vorstadtaktivi1) March 23, 2023
Die Kritik, der Gruppierung Aufmerksamkeit zu verschaffen, weist Althof von sich: Auf Twitter sei die «Junge Tat» ja sowieso, also könne man dort auch mit ihnen reden. Er räumt ein, einzelne Sätze tönten vielleicht etwas «kameradschaftlich». Doch dahinter stehe immer das Ziel einer umfassenden Prävention. Und was man auf Twitter sehe, sei zudem nur ein kleiner Teil seiner Präventionsarbeit. «Ich bin seit Monaten und teils Jahren mit Extremisten, wie auch Mitgliedern der «Jungen Tat» und auch nahen Verwandten und Bekannten von ihnen im Austausch.» Den Auftrag dazu gab sich Althof selber.
Experte mit eigenwilligen Methoden
Der 67-Jährige ist nicht irgendein Experte. Der gelernte Psychiatriepfleger ist seit Jahrzehnten erste Ansprechstelle für die Redaktionen im Land, sobald es um Extremismus geht. In den neunziger Jahren baute er in Pionierarbeit die Aktion Kinder des Holocaust (AKdH) auf. Althof ist selber Nachfahre von Holocaust-Überlebenden. Mit der AKdH prägte er in den nuller Jahren den Begriff des Internet-Streetworking – er begann schon damals auch online Kontakt zu Rechts- und Linksextremisten aufzubauen. 2012 gründete er die Basler Fachstelle für Extremismus- und Gewaltprävention Fexx.
Althofs Methoden waren schon immer eigenwillig. Mit dem nach Syrien gereisten IS-Jihadisten und ehemaligen Thaibox-Weltmeister Valdet Gashi war er lange via Skype in Kontakt und versuchte, ihn wieder mit seiner Familie zusammenzubringen. Bis Gashi in Syrien ums Leben kam. Althof sagt, er habe einigen Extremisten beim Ausstieg aus der Szene geholfen. Einmal habe ihn sogar eine Bundesrätin eingeladen – nur um von ihm zu lernen, wie man mit Extremisten spricht.
Ok, - aber wohin werden denn die Schweizer ausgetauscht?
— Samuel Althof (@samuelalthof) March 28, 2023
Doch wie sehen andere Fachleute diese Gruppierung, mit der Althof immer wieder den Kontakt sucht? Seit längerer Zeit wird die «Junge Tat» vom Nachrichtendienst des Bundes (NDB) beobachtet. Die Gruppierung ging aus der rechten Bewegung Eisenjugend und der Nationalistischen Jugend Schweiz (NJS) hervor. Experten gehen von einem gewaltbereiten Kern aus. Laut Schätzungen zählt die «Junge Tat» etwas weniger als zwei Dutzend Mitglieder. Mit der Verbreitung rechtsextremer Propaganda in den sozialen Netzwerken dürfte sie aber Tausende mehr erreichen, auch international soll sie gut mit anderen identitären und rechtsextremen Gruppierungen vernetzt sein. Ihr Logo ist die Tyr-Rune, ein nationalsozialistisches Symbol, das Absolventen der Reichsführerschulen der NSDAP trugen.
Einer der Anführer flog 2020 von der Zürcher Hochschule für Künste (ZHdK), weil er nationalsozialistisches Gedankengut verbreitete. An einer Online-Vorlesung schrie er unter anderem rassistische Beleidigungen und «Heil Hitler». Zudem sollen führende Mitglieder vorbestraft sein, etwa wegen Rassendiskriminierung, Sachbeschädigungen oder illegalen Waffenbesitzes. Immer wieder fällt die Gruppierung auch mit Aktionen auf. Zum Beispiel, als sie letzten Oktober eine Lesung von Dragqueens für Kinder in Zürich störte oder als sie im November auf dem Basler Bahnhofsdach ein Transparent mit den Worten «Kriminelle abschieben» aufhängte.
Agierte die Gruppierung anfangs noch vermummt, zeigen nun einige Mitglieder der «Jungen Tat» offen ihre Gesichter. Sie bezeichnen sich als Aktivisten und setzen sich in den sozialen Netzwerken gekonnt in Szene. Im Zuge dieses Imagewandels hat sich die Gruppierung wiederholt vom Nationalsozialismus und von Gewalt distanziert. Wie ernst gemeint dieser Wandel sei, bleibe abzuwarten, sagen Beobachter. Sie gehen davon aus, dass die «Junge Tat» salonfähiger werden will.
Rechtsextremer Wanderklub
Und wie schätzt Althof die «Junge Tat» ein? «Die ‹Junge Tat› ist klar militant rechtsextrem», sagt Althof. Aber: «Viele ihrer Mitglieder sind noch nicht zu 100 Prozent ideologisiert.» Die «Junge Tat» sei momentan vor allem eine Art aktivistischer, rechtsextremer Wanderklub, der sich am Körperkult der Nazis orientiere. Er denkt nicht, dass die «Junge Tat» Zukunft hat: «Sie versucht momentan zwar, wie sogenannte Identitäre in anderen Ländern etwas ‹softer› daherzukommen und will politisch Fuss fassen, aber das wird ihr nicht gelingen.» Althof glaubt auch, dass die Mitglieder der Gruppierung noch erreichbar sind: «Da liegt noch viel drin, wir sind nicht im Jahr 1933.»
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— Samuel Althof (@samuelalthof) April 5, 2023
Es sind solche Aussagen, an denen sich Gegner von Althof stören. Doch eigentlich entsprechen sie dem, was er immer schon sagte. Bereits 2006 hatte er eine ganz eigene Einschätzung zur rechtsextremen Szene in der Schweiz. Die Medien würden das Thema aufbauschen, sagte der Experte, als am 1. August Neonazis aufs Rütli zogen.
Kritik an Althof und seinen Methoden gibt es also reichlich. Aber wie sollte man es besser machen? Wichtig sei, dass die Präventionsarbeit langfristig gestaltet sei und man sich mit anderen Fachstellen oder sogar mit der Polizei vernetze, meint Dirk Baier. Also gut vorbereitete, direkte Ansprachen statt spontane Twitter-Antworten. Und: «Man darf den Betroffenen nie eine Bühne bieten.»
Allerdings stellt sich die Frage, wer mit Extremisten redet, wenn Althof es nicht tut. Ob andere Fachpersonen einen so direkten Zugang haben, wie Althof ihn hat, ist unklar. Und: Ein auf Bundesebene koordiniertes Ausstiegsprogramm, wie es etwa Deutschland kennt, gibt es hierzulande nicht.
Unklar ist auch, wie lange Althof selber seine Arbeit noch weiterführen wird. Seine Basler Fachstelle Fexx – eine One-Man-Show – ist nur noch bis im Juni finanziert. Geldgeberin war stets eine private Stiftung, die anonym bleiben will. Was macht der Extremismus-Experte ohne Fachstelle? «Weiter», sagt er. «Ich bleibe eine engagierte Person, die sich hier oder da zu Wort meldet.» Schweigen ist nicht Samuel Althofs Ding.