Jetzt reden die Abgewiesenen

NeueLuzernerZeitung

Jetzt reden die Abgewiesenen

Jetzt melden sich erste Opfer des Ticketsystems zu Wort. Unbescholtene Bürger erhielten trotz Ticket keinen Zutritt auf die Wiese. Sie prüfen rechtliche Schritte.

Jürg Auf der Maur

Jetzt reden die Abgewiesenen: Einen Tag nach dem massiven Sicherheitsaufgebot und dem erstmaligen Ticketsystem stellen sich nicht nur zur Art und Weise des Polizeiaufgebots und den damit verbundenen Kosten Fragen. Noch mehr zu reden gibt die Tatsache, dass offenbar auch unbescholtenen Bürgern der Zutritt zum Rütli verwehrt wurde, obwohl sie mit einem dafür notwendigen Eintrittsticket ausgerüstet waren.

Für Herbert Ammann, Geschäftsführer der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) und für die Organisation der Feier zuständig, hat das Ticketsystem funktioniert. Er erklärte gestern, die Polizei habe 44 Personen mit Ticket als gefährlich eingestuft und vom Rütli ferngehalten, und dies bei 1200 Besuchern.

Die Betroffenen sehen das anders und fühlen sich vor den Kopf gestossen, wie zahlreiche Mails, die uns zugesandt wurden, mit ihren Erlebnisberichten belegen.

Krasse Fälle

· Der Fall Amacher: Edwin Amacher, pensionierter Mittelschullehrer aus Altdorf, hatte als Chefredaktor von «chorus», dem Organ der Schweizerischen Chorvereinigung, ein Ticket erhalten. Er ging davon aus, dass er bei der Kontrolle problemlos durchgehen würde, «denn ich war ja Mitglied einer völlig friedlichen und unverdächtigen Vereinigung, die am Rande sogar bei der Organisation der Feier mitgeholfen hatte». Amacher täuschte sich gewaltig. Nach der Kontrolle wurde ihm in Brunnen von den Sicherheitskräften mitgeteilt, er sei auf der «roten Liste», er werde nicht aufs Rütli gelassen. «Kein Mensch kann sich vorstellen, wie erniedrigend eine solche Behandlung für einen unbescholtenen Bürger ist ­ trotz der Höflichkeit der Polizeibeamten, denen ich dafür ein Kompliment erteilen muss.»

Amacher wurde zunächst fotografiert und in ein mit Kette und Sicherheitsschloss versehenes Geviert gesteckt und später mit dem Polizeifahrzeug, begleitet von vier Beamten, zum Bahnhof Brunnen gebracht.

Der Fall Dörflinger: Wie Amacher erging es auch dem Littauer André Dörflinger. Der pensionierte Bankangestellte wollte zusammen mit seiner 17-jährigen Tochter aufs Rütli. Auch sie hatten Zutrittstickets, mussten dann in Brunnen aber vernehmen, dass er auf der «roten Liste» sei. «Nachher, ausserhalb des Zeltes, machten die von uns noch Kopfaufnahmen, auch von der quasi in Sippenhaft genommenen unpolitischen Tochter», entsetzt sich Dörflinger: «Das war nun die Fratze des Polizeistaates, wie wenn es gälte, einen Staatsstreich zu verhindern.»

· Der Fall Fritschi: Auch der Grosswangener Felix Fritschi versteht die Welt nicht mehr. Der ehemalige Lehrer und heutige Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma verfügt nicht nur über einen ausgewiesenen guten Leumund-Bericht. Er erhielt von seinem Vater das zweite Zutrittsticket, das ihm von der SGG mit der Aufforderung zugestellt worden sei, sich doch auch auf dem Rütli zu zeigen. Nicht nur Vater Fritschi, auch Sohn Fritschi sind in der Gemeinde politisch aktiv.

Sohn Felix Fritschi ist Mitglied der kommunalen Integrationskommission und begreift nicht, weshalb er bei der Kontrolle abgewiesen wurde. Fritschi: «Ich verstehe nicht, weshalb man mich in einen Topf mit rechtsextremen Chaoten wirft.» Er wurde vor laufender Kamera von TeleTell abgeführt und in eine provisorische Zelle gesteckt. «Diese Polizeiaktion in der Öffentlichkeit ruiniert meinen Leumund, auf den ich aus beruflichen Gründen angewiesen bin», hält Fritschi fest.

Er prüft rechtliche Schritte wegen «Verleumdung und Freiheitsberaubung» und hat den Rechtsdienst der Kapo Schwyz kontaktiert.

Fichenstaat?

Weshalb diese Leute auf der «roten Liste» waren und trotz Ticket keinen Rütli-Zutritt erhielten, bringt die Betroffenen ins Grübeln. Amacher hat Beziehungen zur SP. So war Vater Amacher zeitlebens überzeugter Sozialdemokrat und Gewerkschafter. André Dörflinger wiederum ist ehemaliges Gründungsmitglied einer Sektion der Schweizer Demokraten.

Beide vermuten, dass trotz gegenteiligen Beteuerungen vom Staat offenbar Fichen konsultiert wurden. André Dörflinger jedenfalls war bereits von der Fichenaffäre in den Achtzigerjahren betroffen. Er verfügte über einige Einträge, weil er an Veranstaltungen «freche» Fragen stellte.

Polizei weist Kritik zurück

Von Fichen will Reto Habermacher, Kommandant der Kantonspolizei Uri, nichts wissen. «Das wäre absurd, wenn wir noch auf Eltern und Verwandte zurückgreifen müssten.» Er bestätigt, dass im Fall Amacher eine «Verknüpfung von unglücklichen Abläufen zu einem Fehlentscheid» führten, wofür man sich entschuldige. Der Luzerner Kommandant Beat Hensler weiss nichts von solchen Beschwerden. Man werde sie aber prüfen, wenn man davon Kenntnis erhalte, versicherte er gestern.

Zoff in Rütlikommission wegen Rauh-Rede

«Das geht nicht, das lassen wir uns nicht bieten», sagt der Nidwaldner FDP-Nationalrat Edi Engelberger. Er hat in den Ferien vom Inhalt der Rede von Markus Rauh gehört und fühlt sich verschaukelt. Es sei ihm und anderen Mitgliedern der Rütlikommission versichert worden, dass Rauh sich nicht für eine Abstimmungspropaganda hergebe und mit dem Thema Asyl- und Ausländerrecht umsichtig umgehe.

Dass dieser nun aber sogar eine möglichst schnelle Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen fordere, sei «eine Katastrophe», ärgert sich der ferienabwesende Politiker.

Alles auf den Tisch

Er werde persönlich dafür besorgt sein, dass nicht nur die Rütlifeier, sondern die Rauh-Rede an der nächstmöglichen Sitzung der Rütlikommission thematisiert werde.

Es müsse alles auf den Tisch. Engelberger: «Die Alleingänge von Geschäftsführer Herbert Ammann und Präsidentin Judith Stamm akzeptiere ich nicht mehr.» Die heftige Reaktion von Engelberger erstaunt nicht, denn er wurde von SVP-Kollege Walter Wobmann (Solothurn) unter Druck gesetzt.

Dieser blitzte in der letzten Session beim Bundesrat ab, als er sich bei diesem erkundigen wollte, wie erreicht werden soll, dass Rütli-Redner Rauh die Plattform nicht für Abstimmungspropaganda missbrauche. Engelberger habe ihm versichert, Rauh habe der Kommission vertraglich zusichern müssen, auf plumpe Abstimmungspropaganda zu verzichten. «Von einem Vertrag war nie die Rede, aber von einer Zusicherung, die uns Judith Stamm gab», führte Engelberger nun gestern aus.

So oder so will Wobmann am Thema dranbleiben und allenfalls sogar die Zukunft der Rütlifeier in Frage stellen. Wobmann: «Eine solche Feier darf es nicht mehr geben», gab er sich gestern auf Anfrage weiterhin kämpferisch.