St. Galler Tagblatt: Gemeindepräsident Rolf Züllig hat nach dem Neonazi-Konzert in Unterwasser tagelang im Fokus der Medien gestanden. Er schildert nun, wie er das erfahren und gemeistert hat.
Gut gelaunt kommt Rolf Züllig, der Gemeindepräsident von Wildhaus-Alt St. Johann, zum Gespräch auf die Redaktion. Ist ihm das Lachen in den Tagen seit dem im Voraus nicht bekannten Neonazi-Konzert in seiner Gemeinde vom 15. Oktober abends nicht vergangen? «Dafür gibt es keinen Grund», stellt er spontan fest.
Als der Grossanlass der rechten Szene bekannt wurde, brach eine «Medienlawine» über Sie herein. Traf Sie das völlig unerwartet?
Nein. Einen gewissen Medienhype habe ich ja schon erlebt, nachdem Simon Ammann Olympiasieger geworden ist – natürlich in einem ganz anderen Kontext und im positiven Sinn. Krisenkommunikation ist schon etwas anderes. Doch auch darauf kann man sich ein Stück weit vorbereiten. Vor circa 20 Jahren habe ich ein Medientraining mitgemacht. Doch sehr viel läuft intuitiv ab. Wesentlich ist es, sich bewusst zu sein, in welcher Situation man sich als Krisenkommunikator befindet. Das kann man relativ rational machen.
Die Zahl der Medienanfragen war enorm. Wie gingen sie damit um?
Ich habe mir vorgenommen, wirklich alle Anfragen lückenlos zu beantworten. Das ist mir fast vollends innert jeweils vier bis fünf Stunden gelungen – das war nicht immer einfach. Von Sonntagmittag bis am Dienstagabend musste ich alles andere verschieben und mich vollständig auf die Medienarbeit konzentrieren.
Haben die Medien diesen Vorfall zu stark hochgespielt?
Ich habe für das grosse Medieninteresse absolutes Verständnis. Wir sind überrumpelt worden von Menschen, die einen Menschen verherrlichen, der sechs Millionen andere Menschen umgebracht hat. Dass man darüber berichtet und im idealen Fall auch eine gewisse Sensibilisierung für dieses Thema erreicht, ist richtig.
Welche Erfahrungen haben Sie mit den Medien gemacht?
Man muss sein Gegenüber, in diesem Fall die Journalisten, in gewissem Sinn als Anwalt der Leserschaft sehen. Sie haben die Pflicht, ihre Leser, Hörer und Zuschauer sachlich über etwas zu informieren. Je nach Medium – Zeitung, Radio, Fernsehen, Boulevardmedien – läuft das Interview anders ab. Ich habe keine Mühe, mit einem Journalisten zu sprechen, wenn ich seine Rolle akzeptiere. Er darf sich auch eine Meinung bilden und einen Kommentar abgeben. Am besten finde ich den journalistischen Weg mit einer sauberen Trennung von sachlichem Bericht und einem Kommentar dazu.
Sie wurden von verschiedenen Journalisten interviewt – vom renommierten Nachrichtenmagazin bis zu Boulevardmedien. Wurden sie dabei immer korrekt zitiert?
Die Boulevardmedien neigen mehr dazu, ihre Berichte kommentierend zu gestalten. Zum Neonazi-Konzert gab es sehr gute journalistische Berichte und solche, die nach meiner Meinung von der übleren Sorte waren. Bei Interviews und Stellungnahmen mit Radio- und Fernsehjournalisten macht man viele Aussagen und nimmt zu verschiedenen Punkten Stellung. Am Schluss wird bei der Ausstrahlung oft lediglich eine kurze Sequenz daraus in einen Kontext gestellt. Diesen Kontext kann ich als Interviewter nicht beeinflussen. Die gleiche Aussage von mir kann also plötzlich als positiv oder negativ erscheinen – je nach Kontext, in die der Journalist sie setzt.
Können Sie Beispiele der unerfreulichen Art nennen, über die Sie sich gewundert oder geärgert haben?
Wenn ein Boulevardjournalist «verpflichtet» ist, unbedingt Schlagzeilen zu erzeugen, dann wird am Schluss oft nicht ganz das veröffentlicht, was man wirklich gesagt hat. So wurde der Entscheid der Kapo, aufgrund der Einschätzung der Bedrohungslage nicht einzugreifen, reduziert auf: «Die Polizei schaute tatenlos zu.» Ähnlich war es mit einer Aussage von mir. Ich sagte, dass wir als Gemeinde ein Gastwirtschaftspatent für eine Feier mit noch nicht so bekannten Schweizer Bands und circa 800 Besuchern erteilten – und keinerlei Hinweise darauf hatten, dass stattdessen ein Anlass mit Bands und Besuchern aus der rechtsextremen Szene stattfinden würde. Daraus wurde dann die Boulevard-Schlagzeile: «Gemeinde bewilligte Nazikonzert.» Solche Reduktionen durch Journalisten sind unschön.
Worauf haben Sie als Auskunftgeber in Interviews besonders geachtet?
Es hat wohl mit Intuition zu tun, wie ich etwas schildere. Ich bin in einer solchen Situation extrem der Wahrheit verpflichtet. Man darf nichts ausschmücken oder verschweigen oder anders darstellen, als es war, nichts beschönigen, aber auch keine falschen Schuldeingeständnisse machen. Wenn man das berücksichtigt, dann kommt das beim Gegenüber, also beim Journalisten, auch entsprechend an.
Und wenn Sie Boulevardmedien kein Interview geben?
Das wäre falsch. Dann würden sie erst recht nur das schreiben, was ihnen passt. Im Krisenfall ist es wichtig, auch diese Medien sachlich zu informieren . Man darf die Medien nicht negativ sehen. Ich erhielt dank ihnen auch die Möglichkeit, eine Botschaft oder einen Appell zu plazieren. So habe ich immer wieder plaziert, dass das Toggenburg nicht der Nährboden für Rechtsextremismus ist. Medienarbeit ist letztlich ein Mix aus sachlicher, ehrlicher Information, Selbstoffenbarung und dem Aussenden einer persönlichen Botschaft.
Gab es aus der lokalen Bevölkerung Rückmeldungen zu Ihrer «Krisen-Medienarbeit»?
Die gab es, und zwar ausschliesslich positive. In den ersten beiden Tagen gab es von ausserhalb der Region sehr viele Schmäh-Zuschriften, die extrem unter der Gürtellinie waren. Offenbar gehört auch das dazu. Das drehte dann und es folgten die positiven Reaktionen. Das bereitete mir dann sehr viel Freude.
Wir haben Ihr Krisenmanagement als positiv und sehr gut empfunden. Sind Sie der Typ, der in solchen Situationen den richtigen Ton trifft?
Ein Naturtalent für Medienarbeit gibt es nicht. So richtig vorbereiten auf eine solche Situation kann man sich nicht. Wichtig ist das Bewusstsein, was passiert, was da abläuft. Man muss den Prozess vor Augen haben und erkennen: Was wollen die Medien jetzt von mir? Und man muss sich auch bewusst sein: «Was will ich von den Medien? Kann das, was sie berichten, uns als Gemeinde, als Region letztlich auch etwas bringen?» Dann kann man die Berichterstattung ein Stück weit auch beeinflussen.
Wie belastend war für Sie der Medienmarathon?
Wenn das über einige Tage hinweg fast pausenlos der Fall ist, ist es das Anstrengendste, die Konzentration auf einem sehr hohen Level zu behalten. In der Medienarbeit muss man fast jedes Wort auf die Goldwaage legen, muss man sich bewusst sein, dass manche Journalisten eine vielleicht nicht ganz so durchdachte Aussage entsprechend auslegen. Davor gefeit ist man aber nie.
Ist in einer solchen Situation Krisenmanagement mehr ein Agieren oder ein Reagieren?
Situativ ist man eigentlich nur am Reagieren, agieren kann man nur in gewissem Mass beim Gespräch mit einem Journalisten.
Werden Gemeindepräsidenten auf eine solche Krisensituation vorbereitet?
Ich erachte es als sehr wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, was in solchen Situationen passiert und welche Mechanismen dann spielen. In Kursen für neue Behördenmitglieder wird meines Wissens auch der Bereich Medientraining angeboten.
Können Sie aus Ihren aktuell gemachten Erfahrungen etwas an andere Gemeindebehörden weitergeben?
Sicher jene, dass sich alle von der Vorstellung verabschieden: «Das könnte bei uns nicht passieren.» Auf welche Art auch immer: Man kann plötzlich mit einer solchen Situation konfrontiert werden – auch wenn man vorher entsprechende Abklärungen macht, wie wir es jeweils tun, bevor unsere Verwaltung ein Gastwirtschaftspatent erteilt.
Wie kann man eine Wiederholung eines solchen Anlasses möglichst verhindern?
Das geht nur mit dem Mittel der Sensibilisierung. Wir haben beispielsweise viele schöne Gruppenunterkünfte auf unserem Gemeindegebiet. Was dort stattfindet, liegt nicht im Einflussbereich der Gemeinde, die brauchen kein Gastwirtschaftspatent. Die Verwalter solcher Gebäude haben wir in einem ersten Schritt bereits sensibilisiert, genau darauf zu achten, wer diese nutzen darf. Diesbezüglich werden wir wohl nochmals einwirken.