Ist Rassismus unter Rekruten Privatsache?

Tages-Anzeiger

Ein Untersuchungsrichter der Militärjustiz will rassistische Sprüche von Rekruten nicht vor Gericht bringen. Sie seien privat erfolgt. Der Schulkommandant zieht den Fall dennoch weiter.

Von Iwan Städler

Die rassistischen Entgleisungen an der Grenadierschule von Isone sorgten bereits im letzten August für Schlagzeilen: Zwei Rekruten und zwei Unteroffiziere wurden wegen massiver rechtsextremer Aussagen aus dem Dienst nach Hause geschickt.

RS-Kollegen hatten sich bei der Schulleitung über sie beschwert und ihnen Sprüche wie «Neger gehören erschossen und Juden ins Gas» vorgeworfen. Auch hätten sich die vier mit dem Hitlergruss begrüsst. Letzteres wird von ihnen jedoch bestritten. Sie hätten lediglich – wie die drei Eidgenossen – die Schwurfinger in die Höhe gehalten.

Der Schulkommandant, Oberst Zeno Odermatt, leitete umgehend ein Verfahren ein. Gestern morgen meldete aber Radio DRS, die Militärjustiz habe das Verfahren eingestellt. Der zuständige Untersuchungsrichter sei nach Aufnahme der Beweise zum Schluss gekommen, dass die rassistischen Äusserungen nicht öffentlich, sondern im privaten Rahmen einer Rekrutenschule erfolgt seien. Er wolle es daher bei einer disziplinarischen Bestrafung bewenden lassen.

Bloss: Der Untersuchungsrichter kann gar nicht abschliessend entscheiden, ob das Verfahren eingestellt wird. Diese Kompetenz liegt beim Schulkommandanten. Und dieser werde der Empfehlung des Untersuchungsrichters nicht folgen, sondern eine Voruntersuchung einleiten, beteuerte Armeesprecher Felix Endrich gestern Nachmittag.

Am Vormittag hatte Militärjustiz-Sprecher Martin Immenhauser den Entscheid des Schulkommandanten noch auf Mitte Januar in Aussicht gestellt. Dieser sei zurzeit ferienhalber im Ausland. Die Armeespitze vermochte Odermatt aber offenbar schnell zu überzeugen. Sie hält die Empfehlung des Untersuchungsrichters für «kein gutes Signal» und will nicht, dass der Eindruck entsteht, in der Armee werde Rassismus geduldet.

«Nichts Öffentlicheres als die Armee»

Der Untersuchungsrichter argumentiert in seinem Schlussbericht, die rassistischen Äusserungen seien stets innerhalb eines engen Personenkreises gefallen. Die Beschuldigten und jene Soldaten, die Anzeige erstatteten, hätten sich gut gekannt. Es bestehe deshalb keine Öffentlichkeit im Sinne des Gesetzes.

Armeesprecher Endrich hingegen relativiert: «Das ist die Meinung eines Untersuchungsrichters, nicht jene der Militärjustiz. Es gibt nichts Öffentlicheres als die Armee.» Auch das Oberauditorat betonte gestern in einem Communiqué, die Praxis der Militärjustiz unterscheide sich nicht von jener des Bundesgerichts. Dieses hatte 2004 entschieden, nur Anlässe im Familien- oder Freundeskreis seien privat. Alle anderen Veranstaltungen gälten im Sinne des Strafgesetzes als öffentlich.

Nicht mit Stammtisch vergleichbar

Für den Freiburger Strafrechtsprofessor Marcel Niggli ist klar, dass eine Rekrutenschule keinen Freundeskreis begründet. Es handle sich vielmehr um eine «Verpflichtungsgemeinschaft». Das zeige sich auch daran, dass andere Rekruten gegen die vier Täter Beschwerde erhoben hätten. «Bei einem Stammtisch», so Niggli, «würde dies keiner tun.»

Ähnlich sieht es Georg Kreis, der Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. Wichtiger als die juristische Einschätzung sei ihm aber, dass die Gesellschaft solche rassistischen Äusserungen ächte.