Ist die Esoterik auf dem rechten Weg?

Bieler Tagblatt

Sekten & Co.: Hang zum rechten Denken

Was ist rechtes Denken, wann wird es extrem und was hat Esoterik damit zu tun? Der Vorwurf, zwischen Rechtsextremismus und Esoterik bestünden Parallelen, wiegt schwer. Was ist davon zu halten?

Markus christen

Zwei Wochen ist es her, als sich 500 Mitglieder der Universalen Kirche in Interlaken trafen. Diese Bewegung der Auserwählten, die alsbald den Kampf mit dem Antichristen aufnehmen wird, führe auch den Gestank des Antisemitismus mit sich, wurde im Vorfeld geklagt. Ein ähnliches Beispiel findet sich im Seeland, wo vor ein paar Wochen der Fall eines Worbeners Schlagzeilen machte, der für eine als rassistisch eingestufte Sekte warb. Im Frühling sorgte ebenfalls ein Biel ein Interview mit einem Sektenexperten für Unruhe. Dieser äusserte sich kritisch über die Anthroposophie, worauf diese in Biel stark vertretene Gruppierung an einem Podium mit schwerstem Geschütz gegen den Kritiker auffuhr. Fügen sich all diese Bausteine zu einem Bild, wonach diverse esoterische Gruppierungen sich in einer Welt der nahenden Endzeit wähnen, garniert mit rechtsextremen Theoriestückchen und ummauert mit abgrundtiefem Misstrauen gegenüber jeglicher Kritik?

Rechtsextremismus?

Doch vorsicht! Zuweilen gewinnt man den Eindruck, der Vorwurf des Rechtsextremismus komme einem gar leicht über die Lippen und finde auch dort Anwendung, wo er nichts zu suchen hat. Das Feld des rechten Denkens ist denn auch weit grösser: Es umfasst nationalkonservative Bewegungen wie Christoph Blochers Auns, die intellektuelle Bewegung der «Neuen Rechten» – aber eben auch extreme Gruppen im Umfeld der Skinhead– und Holocaustleugner-Szene.
In einen gemeinsamen Topf lässt sich all dies nicht werfen. Vielmehr sind die Merkmale des Extremismus vom Rest zu trennen. Erst dann lässt sich die Frage beantworten, wann gewisse esoterische Gruppen als «rechtsextrem» bezeichnet werden können. Es geht um drei Aspekte: Was macht etwas extrem? Was macht etwas rechtsextrem? Was sagen die Rechtsextremen über die jetzige Gesellschaft?
Rechtsextremes Denken zeichnet sich durch das Übertragen (trivial verstandener) biologischer Denkmuster auf die Gesellschaft auf: Der Staat wird zum «Volkskörper», der vor fremden, «parasitären» Elementen (Paradebeispiel: Juden) geschützt werden muss. Der Einzelne hat sich dem Ganzen bedingungslos unterzuordnen. Die Völker sind in einem dauernden Existenzkampf verwickelt, wo sich die Starken durchsetzen und die Schwachen unterdrückt oder vernichtet werden. Sozialdarvinismus, Rassentheorien, Antisemitismus, Gewaltbereitschaft, «Auserwähltsein» und die radikale Ablehnung der Demokratie sind zentrale Elemente dieses Denkens.

Krise und Verschwörung

Aus diesem folgt eine recht einheiltliche Diagnose der Gesellschaft. Diese ist (solange sie nicht nach rechtsextremem Muster geordnet ist) moralisch zerfallen und in einer Sinnkrise, was vor allem Schuld von Demokratie und Liberalismus ist. Dazu kommen mannigfaltige Verschwörungstheorien, welche den (bisherigen) Misserfolg rechtsextremer Gruppierungen erklären.
Zwischen dieser Diagnose und den darunterliegenden Motiven, die Welt so zu sehen, muss unterschieden werden. Den Satz, dass «etwas mit der Welt nicht stimmt», würden heute viele unterschreiben. Doch das allein macht einem kaum zum Rechtsextremen. Suspekter ist schon, wenn Verschwörungstheorien mit im Bund sind. Kommen diese zusammen mit der Idee des «Auserwähltseins» daher, sind genug Hinweise vorhanden, die betreffende Bewegung auf Rechtsextremismus hin zu prüfen.
Hier kommt der erste genannte Aspekt zum Tragen: Das «Auserwähltsein», das Trennen zwischen «Wissenden» und «Unwissenden» ist eine zentrale Voraussetzung für jede Form von Extremismus. Kommt dazu die Idee, die «wahre Lehre» müsse vorangebracht werden und ist man schliesslich auch skrupellos bezüglich der Mittel (im Klartext: man darf Gewalt anwenden), hat man sämtliche Voraussetzungen für eine totalitäre Ideologie erfüllt – die Inhalte sind für die Opfer dann nur noch Nebensache. Darin finden sich auch kommunistische wie nationalsozialistische Gewaltherrschaft wieder.

Die Extreme erkennen

Trotzdem sind die Inhalte (z.B. in Form von «Alle Macht den Sowjets» oder «Deutschland den Deutschen») wichtig, denn an diesen erkennt man die Extreme.
Was ist nun von der Esoterik zu halten? Esoterisches ist nur für «Eingeweihte», was den Begriff nicht gerade streng umreisst. Denn unter diesen Ansatz fallen eine Vielzahl von Bewegungen. Schwierig ist dabei die Abgrenzung doch eher harmloser esoterischer Praktiken wie das Legen von Tarot-Karten von handfesten Sekten, deren Anhänger einer eigentlichen Gehirnwäsche unterzogen werden.
Unabhängig von diesem Problem lassen sich trotzdem einige allgemeine Aussagen machen: Zum ersten teilen wohl die meisten esoterischen Gruppierungen die Auffassung, die derzeitige Gesellschaft befinde sich in einem schlechten Zustand, wobei aber Hoffnung auf Besserung (Stichwort Wendezeit) in Sicht sei. Zum zweiten sind diese Gruppen auch anfällig dafür, als «Auserwählte» gelten zu wollen. Dies wird offenkundig durch das Ritual der Geheimhaltung, das manche esoterische Praktiken umgibt. Mit anderen Worten: man hat gute Gründe, esoterische Gruppen auf Extremismus hin zu prüfen.
Ein Urteil ist damit aber noch nicht gefällt. Jetzt geht es darum, im Einzelfall abzuklären, ob sich Bruchstücke rechtsextremen Gedankengutes finden lassen, beispielsweise Antisemitismus, sozialdarvinistische Ideen oder Gewaltbereitschaft. Vor allem letzteres ist im Umfeld der Esoterik wohl eher selten anzutreffen.

«Eine Machtideologie»

Gewisse sektenartige Gruppen wie die Universale Kirche müssen sich trotzdem ernsthaft dem Vorwurf des Rechtsextremismus stellen. Deshalb lässt sich aber die Esoterik als Ganzes kaum in die Schublade «Rechtsextremismus» legen – auch weil die Vagheit des Begriffs Esoterik dazu verleitet, unappetittliche Gruppen als «nichtesoterisch» zu bezeichnen. Das Urteil des Sektenexperten Philipp Flammer (BT vom 17. 2. 98) bleibt aber gültig: «Esoterik ist elitär und verbreitet ein feudalistisches Weltbild; hinter ihr steckt eine Machtideologie. In ihren Grundzügen muss sie kritisch betrachtet werden.»