SonntagsZeitung: Juden in der Schweiz fühlen sich vom Bundesgericht vor den Kopf gestossen
Bern Flirtet die Schweiz mit dem Faschismus? Dieser Frage ging der antiwestliche Fernsehsender RT aus Russland am Donnerstag nach. Anlass: Das Bundesgericht hatte einen Tag zuvor den Hitlergruss erlaubt – solange Rechtsextreme ihre Ideologie damit zeigen, aber nicht für sie werben.
«Keine Doppeldeutigkeit in der Bedeutung des Hitlergrusses»
Hintergrund des Entscheides ist ein Vorfall vom 8. August 2010. Ein Neonazi hatte an einer Veranstaltung der Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) auf dem Rütli die Hand zum Hitlergruss erhoben. Laut den Bundesrichtern hatte er dabei nur seine Gesinnung kundgetan und nicht versucht, andere für sein nationalsozialistisches Gedankengut zu gewinnen.
Der Entscheid stösst die Juden in der Schweiz vor den Kopf. «Als Israelis und Juden befremdet uns die Entscheidung, da es in der Bedeutung des Hitlergrusses keine Doppeldeutigkeit gibt», kritisiert der israelische Botschafter in Bern, Yigal Caspi. «Wenn jemand diesen Gruss nutzt, bringt er damit unmissverständlich seine Unterstützung für die nationalsozialistische und antisemitische Ideologie zum Ausdruck.» Man habe grossen Respekt für Demokratie und Rechtsstaat, wo Rede- und Meinungsfreiheit unerlässlich seien, sagt Caspi auf Anfrage. «Es gilt aber zu bedenken, dass die Nationalsozialisten an die Macht gekommen sind, indem sie das demokratische System von damals nutzten.»
Auch die Vizepräsidentin des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG), Sabine Simkhovitch-Dreyfus, ist konsterniert. Das Bundesgericht habe «ein falsches Zeichen» gesetzt: «Der Hitlergruss wird bewusst als Symbol für eine abscheuliche rassistische Gesinnung gebraucht.»
Neonazis feiern im Internet den Gerichtsentscheid
Während jüdische Kreise mit Unverständnis reagieren, fühlen sich Schweizer Neonazis in ihrer Gesinnung bestätigt. In sozialen Netzwerken bejubeln sie das Urteil der höchsten Schweizer Richter.
«Wieso sollte der Hitlergruss auch verboten werden? Damit wir Nationalsozialisten noch mehr diskriminiert werden?», fragt die Kameradschaft Heimattreu aus der Zentralschweiz in einer Stellungnahme auf Facebook. Ein Anhänger antwortet: «Das stärkt mich jetzt um so mehr.»
Auch Pnos-Präsident Dominic Lüthard meldet sich zu Wort: «Der Antirassismus-Paragraf gehört ohnehin abgeschafft.»
Hier kann er auf Schützenhilfe aus Bundesbern zählen. Die SVP hat im Nationalrat kürzlich eine Motion eingereicht, die verlangt, dass der Artikel im Strafgesetzbuch ersatzlos gestrichen wird.
Das Gesetz hat sich laut den SVP-Vertretern nicht bewährt. Der Bundesrat sprach sich gegen die Motion aus.