Tages-Anzeiger: RassismusDas Bundesgericht erlaubt den öffentlichen Hitlergruss.Das hat absurde Konsequenzen.
Die ausländische Presse staunt: Auf dem Rütli, der wichtigsten Schweizer Wiese, darf man den Arm zum Hitlergruss heben. Das höchste Gericht hat dies so bestimmt (TA von gestern).
Auch im Inland herrscht Unverständnis. Der «Blick» nennt das Urteil eine «Schande für die Schweiz». Experten sagen, es «spiele Rechtsextremen in die Hände».
Tschechien, Deutschland und Österreich werten den Hitlergruss als Straftat. Das Schweizer Parlament hat 2011 darauf verzichtet, rechtsextreme Zeichen einzeln zu ächten. Man befürchtete «lächerliche Prozesse».
So gilt weiterhin die Antirassismusstrafnorm. Sie verbietet rassistische Symbole in der Öffentlichkeit nur dann, wenn man mit ihnen für die entsprechende Ideologie wirbt. Dies hat der mittlerweile 66-jährige Angeklagte laut Bundesgericht nicht getan. Mit dem Hitlergruss habe er lediglich seine Haltung ausgedrückt.
Diese Begründung blendet den Ort des Geschehens aus. Die 150 Sympathisanten der Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) hätten in einer abgelegenen Scheune alte Nationalhymnen johlen können. Niemand hätte sie beachtet. Doch ein Treffen unter Gleichgesinnten reichte ihnen nicht. Sie zogen auf jene Wiese, wo General Guisan die Schweizer Armee 1940 gegen Nazideutschland eingeschworen hatte. So versuchte die Pnos, die Schweizer Geschichte neu zu besetzen.
Der Kern der Rütli-Kundgebung bestand darin, in aller Öffentlichkeit braune Gedanken zu verbreiten. Ein solches Propagandaumfeld machte den Hitlergruss zu einer Geste, die Zuschauer nur als Überzeugungsversuch verstehen konnten.
Mehr als ein Symbol
Das Urteil hat zudem verstörende Konsequenzen. Seiner Logik zufolge darf jeder mit durchgestrecktem Arm durch Zürich spazieren und Passanten ein «Heil Hitler» zurufen. Damit tut man angeblich nur das persönliche Weltbild kund – wie wenn man ein FCZ-Trikot trägt, Che-Guevara-Shirts anzieht, das Kreuz schlägt oder mit Springerstiefeln herummarschiert.
Nur: Solche Symbole lassen die Passanten gleichgültig, auf den Hitlergruss hingegen würden viele empört reagieren. Zu Recht. Springerstiefel, Kreuz oder Che-Guevara-Prints erlauben unterschiedlichste Deutungen. Der Hitlergruss begleitete den Genozid an Abermillionen. Wer ihn öffentlich vorführt, gibt Juden, Ausländern oder Andersdenkenden zu verstehen: Ihr seid unerwünscht, man sollte euch alle vernichten.
Der Nationalsozialismus hat die Bedeutung des durchgestreckten Arms für lange Zeit festgeschrieben. Er fordert zum Massenmord auf, macht Werbung für ein Schwerverbrechen. Brutaler und unmissverständlicher kann ein Symbol nicht sein.
Die Urner Gerichte haben den Pnos-Mann wegen seines Hitlergrusses verurteilt. Die Busse: 800 Franken. Diese Strafe haben die Lausanner Richter ohne Not aufgehoben.
In mehreren jüngeren Urteilen setzte das Bundesgericht die Gesinnungsfreiheit über den Antirassismus-paragrafen. So stufte es Wörter wie «Sauschwabe» oder «Drecksschweizer» als nicht rassistisch ein.
Der Hitlergruss geht viel weiter als solch alltägliche Beschimpfungen. Die Gewähr, ihn überall zeigen zu dürfen, vermittelt Rechtsextremen ein falsches Signal. Das Signal, dass ihre untolerante Lehre Toleranz verdient.