Jetzt reden die geständigen Täter: Seit gestern stehen drei junge Männer vor Gericht, die 2001 in Unterseen ihren «Kollegen» Marcel von Allmen getötet haben. Am ersten Prozesstag sagte Haupttäter Marcel M. aus.
Stefan Geissbühler
«Ich weiss nicht mehr, ob ich mit dem Chromstahlrohr fünf oder zehn Male auf Marcels Kopf eingeschlagen habe und was er sagte, als er am Boden lag, weiss ich auch nicht mehr – es ist aber durchaus möglich, dass er sagte ?La mi, i ha gnue?»: Mit völlig ruhiger Stimme und sorgfältig gewählten Worten beantwortet der 25-jährige Marcel M. die Fragen von Gerichtspräsident Thomas Zbinden. Seit gestern muss sich der 25-Jährige zusammen mit seinen ehemaligen Kollegen Renato S. (24) und Michael S. (24) wegen versuchten und vollendeten Mordes vor dem Kreisgericht Interlaken-Oberhasli verantworten – welches aus Platzgründen im Berner Amthaus tagt. Bereits verurteilt ist der vierte Täter Alexis T. – er war zur Zeit der Tat noch minderjährig. Das Jugendgericht schickte Alexis T. Ende 2001 wegen Mordes für eine zweijährige Vollzugsmassnahme in ein Erziehungsheim. Alle vier hatten schon in Untersuchungshaft gestanden, an der Tötung Marcel von Allmens beteiligt gewesen zu sein.
Marcel M. schlug zu
Der erste Prozesstag hat klar gemacht, wer den 19-Jährigen vor drei Jahren tatsächlich getötet hat: Es war Marcel M. – derselbe Marcel M. , der 1999 beim Interlakner Westbahnhof aus zwei Metern Distanz auf einen Kantonspolizisten in Zivil geschossen hatte. Der Polizist hatte nur dank einer schusssicheren Weste überlebt, und Marcel M. war im Jahr 2000 zu einer milden Gefängnisstrafe von 18 Monaten bedingt verurteilt worden. Weil er erfolgreich eine strafmildernde Notwehrsituation geltend gemacht hatte.
Jetzt sitzt Marcel M. schon wieder vor Gericht. Dieses Mal nicht wegen Tötungsversuchs, sondern wegen Mordes. Er trägt einen schwarzen Anzug und ein weisses Hemd, die dunkelblonden Haare sind sorgfältig gekämmt und gescheitelt. Neben ihm sitzen seine Mitangeschuldigten Renato S. nd Michael S. Die drei würdigen sich keines Blickes, obwohl sie – zusammen mit Marcel von Allmen und Alexis T. – dem rechtsextremen «Orden der arischen Ritter» angehörten. Auffallend emotionslos erzählt Marcel M. von diesem «Orden» und von der eigentlichen Tötung des 19-jährigen Opfers. Denn: «Ich kann Emotionen nicht gut rüberbringen», sagt Marcel M. knapp. Er beschreibt die entsetzliche Blut tat – ohne sichtliche Rührung. Im Gerichtssaal wird es still, sehr still.
Todesurteil vollstreckt
«Ja, man könnte die Tötung als Vollstreckung eines Todesurteils bezeichnen», sagt Marcel M. Und: «Ich habe mir die Tötung leichter vorgestellt. » Er habe Marcel von Allmen «nicht quälen wollen» und habe gedacht, «ein gezielter Schlag auf das Genick würde reichen». Marcel M. schlug aber mehrmals zu, «wie ein Wilder», hatte Alexis T. in der Voruntersuchung ausgesagt.
Marcel M. muss auf Geheiss des Gerichts aus dem Obduktionsbericht vorlesen – er tut dies nach eigenen Aussagen das erste Mal: «Der Täter versetzte dem Opfer mit einem Chromstahlrohr mehrfache, heftige Schläge gegen den Kopf, vor allem gegen das Gesicht, aber auch gegen Brustkorb und Gliedmassen, was zu einer Zertrümmerung des knöchernen Mittelgesichts, des Unterkiefers und der Schädelbasis und dadurch zum Erstickungstod zufolge schwerer Einatmung von Blut in die Lungen führte», liest Marcel M. vor. Ohne das geringste Zittern in der Stimme. Marcel M. richtet sich ans Gericht – beinahe entschuldigend: «Es ist halt nicht jedem gegeben, Emotionen zu zeigen», sagt er.
«Ja, es war sehr brutal»
«Ja, es war sehr brutal», stellt er immerhin nüchtern fest. Aber: Marcel von Allmen habe sterben müssen, weil er das Schweigegebot des «Ordens der arischenRitter» verletzt und «herumgeplaudert» habe. Am Tötungsentschluss seien er, Renato S. , Michael S. nd Alexis T. gleichermassen beteiligt gewesen.
Den «Orden der arischen Ritter» habe man übrigens gegründet, um sich gegen Pöbeleien von Ausländern auf dem «Bödeli» zu wehren. «In jeder Form wollten wir gegen Gewalt und Übergriffe von Asylbewerbern vorgehen», gibt Marcel M. zu Protokoll. Zu diesem Zweck habe man auch Tötungen geplant – an einem 18-jährigen Jugoslawen und einem 19-jährigen Schweizer. «Ich bin nach wie vor nationalistisch, aber nicht antidemokratisch», sagt Marcel M. aus. Aber: «Ich habe noch nie einen geistig gesunden Albaner gesehen», bestätigt er eine frühere eigene Aussage. Er und seine Kollegen hätten sich auf dem «Bödeli» von Asylbewerbern «bedrängt gefühlt». Deshalb habe man mit dem «Orden der arischen Ritter» ein «Gegengewicht» schaffen wollen. Denn: «Schweizer sollen im Ausgang keine Angst vor Ausländern haben müssen. »
So geht der Prozess weiter
Die Mitangeschuldigten Renato S. nd Michael S. sagten gestern zu ihren persönlichen Verhältnissen aus. Der 24-jährige Renato S. beteuerte, dass «es mir zutiefst Leid tut, was passiert ist, aber leider kann ich es nicht ungeschehen machen. » Er sei übrigens nie ein Nazianhänger gewesen, diesbezügliche Schriften habe er von Marcel M. erhalten. Auch Michael S. betonte, dass er kein Rechtsextremer sei – «ich bezeichne mich als bürgerlich-rechts», sagte er. Der «Orden der arischen Ritter» sei nicht zur «Naziverherrlichung» gegründet worden, «sondern um uns zu wehren». Das extreme Gedankengut habe Marcel M. eingebracht. Heute äussern sich Renato S. nd Michael S. zur Tat und zu ihren jeweiligen Tatbeiträgen. Morgen wird Alexis T. als Zeuge aussagen, am Donnerstag wird Gerichtspsychiater Volker Dittmann Ausführungen machen. Nach den Plädoyers am Freitag wird sich das Gericht zur Beratung zurückziehen. Das Urteil wird am 29. März eröffnet.