«ICH HABE GESICHTER DES HASSES GESEHEN»

SonntagsBlick

Der Genfer Regisseur Daniel Schweizer untersucht in seinem Film «White Terror», wie rechtsextreme Propaganda in der globalisierten Welt an den Mann gebracht wird

Den Ausgangspunkt seiner filmischen Recherche bildet ein schwedisches Neonazi-Propagandavideo. Darauf ist zu sehen, wie sich schwedische Skinheads, religiöse Eiferer und White-Power-Aktivisten aus den USA und russische Neonazis in brüderlicher Eintracht üben. Daniel Schweizer macht sich auf, die Propagandisten des Hasses aufzustöbern. Seine Suche führt ihn von der südschwedischen Stadt Helsingborg über Dallas bis nach Moskau.

sobli: Kurz zusammengefasst: Was zeigt Ihr Film?

Daniel schweizer: Er zeigt, wie unterschiedlichste rechtsextremistische Gruppierungen, die sich teilweise eben noch bekämpft haben, zusammengerückt sind. Sie bilden eine grenzüberschreitende Achse Europa-USA-Russland und haben eine gemeinsame Theorie formuliert. Ihre Ziele sind Zerstörung der Demokratie, Rassenkrieg, weisse Vorherrschaft – White Power.

sobli: Die weissen Extremisten in den USA, die Sie in Ihrem Film zeigen, wirken vor allem paranoid.

schweizer: Natürlich, das ist es ja gerade, das ist neu. Zuvor hiess es ganz einfach: Wir sind die höhere Rasse, wir sind sowieso die Besten. Jetzt sagen sie: Wir Weissen sind eine Minderheit, wir sterben aus, wir sind Opfer. Und diese Opferhaltung legitimiert Gewalt. In Russland, wo rechte Extremisten starken Zulauf haben, sagen sie: Wir befinden uns in einem weissen Dschihad.

sobli: Welche Rolle spielt dabei das Internet?

schweizer: Das World Wide Web dient natürlich als Vertriebskanal für Propagandamaterial wie Videos, DVDs, Magazine, Musik-CDs. Aber es ist inzwischen aufgrund unzähliger einschlägiger News-Portale auch die einzig relevante Informationsquelle für Extremisten geworden. Viele der jungen Rechtsextremen sagen: Wir lesen keine Zeitung, wir schauen kein Fernsehen, das ist alles Bullshit. Wir haben das Internet. Für viele Junge, gerade in Russland, wo die Alten das Thema tabuisieren, ist das Dritte Reich etwas Virtuelles. Ich erinnere mich an eine russische Website, auf der man mit einer Art Hitler-Puppe spielen konnte. Wir leben in einer virtuellen Welt, wo alles ein Spiel ist. Auch Geschichte.

sobli: Sie sind in eine verschworene Gemeinde eingedrungen und haben dort rechtsextreme Führer interviewt und gefilmt, die die Öffentlichkeit scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Wie sind diese Kontakte zustande gekommen?

schweizer: Den Dreharbeiten gingen über ein Jahr minutiöse Recherchen voraus. Dabei profitierte ich von Kontakten, die ich bereits bei meinen früheren Filmen in der Szene geknüpft hatte. Dann ist mir zugute gekommen, dass ich aus der Schweiz komme. Ein kleines Land irgendwo in Europa – das wirkte nicht besonders gefährlich. Zudem bezeichnete ich mich immer als Filmemacher, nicht als Journalisten. Wäre ich ein Journalist der BBC gewesen, hätte ich grössere Schwierigkeiten gehabt. Ich sagte zu den Leuten: Ich bin nicht eurer Meinung. Aber seht mich als Ethnologen, der etwas über euren Stamm herausfinden will. Ich beschreibe nur, was ich sehe.

sobli: Und dabei spielte Ihre persönliche Einstellung nie eine Rolle?

schweizer: Doch, natürlich. Die Welt ist klein, die meisten Leute, die ich traf, ob in Helsingborg, Dallas oder Moskau, waren bestens informiert über mich. Die Dreharbeiten waren also ein stetiger Balanceakt, und wenn die Stimmung gegen uns kippte, wussten wir, dass es jetzt Zeit war, schleunigst ins Hotel zurückzukehren.

sobli: Gab es Situationen, in denen Sie Angst hatten?

schweizer: Ja, mehrmals. Wir waren ja nur ein kleines Team von vier Leuten. Einmal, in Schweden, filmten wir einen grossen Neonazi-Aufmarsch. Danach gingen wir ins Parkhaus unser Auto holen. Dort realisierten wir, dass nicht nur wir dort geparkt hatten, sondern auch die Teilnehmer des Marsches. Ich sass vorne in unserem winzigen Auto, als ich einen Schweizer Aktivisten entdeckte, den ich für einen Film über Neonazi-Konzerte in der Schweiz gefilmt hatte. Er stand direkt vor uns. In diesem Moment wusste ich, wenn der jetzt seinen Kopf dreht und mich erkennt, haben wir ein Problem.

sobli: Was hätte passieren können?

schweizer: Vermutlich hätte er den andern gesagt, wer ich bin, nämlich ein fucking linker Schweizer Journalist, und die ganze Meute hätte sich dann auf unser Auto gestürzt.

sobli: : Hatten Sie Angst um Ihr Leben?

schweizer: Da waren 500 aufgeheizte Nazi-Skins in diesem Parking, es gab keine Fluchtmöglichkeit, die Polizei war nicht da. Ja, ich geriet in Panik. Aber er hat sich ja zum Glück nicht umgedreht.

sobli: : Sie haben während acht Monaten in diesem feindseligen Klima gefilmt. Haben Sie diese Dreharbeiten verändert?

Schweizer: Am Anfang sagte ich mir: Okay, die spielen ihr Spiel, ich spiele meins. Und habe versucht, neutral zu bleiben. Aber dann habe ich Gesichter des Hasses gesehen, Augen, die sagen: Ich möchte dich töten. Man hielt mich oft für jüdisch, was ich nicht bin, aber offenbar entsprach ich einem bestimmten Bild. Ich hörte Leute Sätze zu mir sagen wie: Du bist ein Jude. Wir hassen Juden. Wir hassen dich. Ich habe erfahren, wie es sich anfühlt, wenn man gehasst wird, nur weil man zufälligerweise so ist, wie man ist. Das hat mich geprägt.

sobli: Ihr Film «White Terror» wurde letztes Jahr in Locarno gezeigt und seither an Festivals rund um die Welt. Wie sind die Reaktionen?

Schweizer: Erfreulicherweise kommt er beim Publikum überall sehr gut an. Aber nach Locarno gab es auch Stimmen, gerade auch aus politischen Kreisen, die sagten: Ach nein, nicht schon wieder ein Film über Neonazis. Das ist doch so negativ, all diese furchtbaren, hässlichen Menschen, wir möchten das bitte lieber nicht mehr sehen.

sobli: Frustriert Sie das?

Schweizer: Es macht mich ratlos und ja, frustrierend ist es natürlich auch. Denn ich habe für diesen Film gekämpft, weil ich eine Mission habe: Schaut nicht weg. Schaut hin.

sobli: Etwa dann, wenn der schwarze Mister-Schweiz-Kandidat Junior Manizao bei einer Veranstaltung von Neonazis mit dem Hitlergruss und Affengeräuschen empfangen wird?

schweizer: Solche sogenannten Zwischenfälle sind symptomatisch für eine extreme Rechte, die die Öffentlichkeit nicht mehr fürchtet, weil sie sich stark fühlt. Sehen Sie, jedes Mal, wenn es, wie in den vergangenen Wochen, wieder zu rassistisch motivierten Übergriffen kommt, heisst es: Skandal! Und zwei Wochen später: Ach je, das waren doch nur ein paar verwirrte junge Leute.

sobli: Wo liegt das Problem?

Schweizer: Wir haben es heute mit einer neuen, global hervorragend vernetzten Generation von Rechtsradikalen mit hohem Bildungsniveau und starken, neuen Ideen zu tun. Doch niemand erklärt uns, was das bedeutet. Es gibt kaum Spezialisten, die uns die tieferen Zusammenhänge dieser Entwicklung erörtern können. Ich bin erstaunt über die grosse Bereitschaft, wegzuschauen. In der Schweiz wird das Thema abgetan mit der Begründung, der Rechtsextremismus sei hier nur eine Randerscheinung.

sobli: Ist er das nicht?

Schweizer: Auf den ersten Blick vielleicht schon. Doch man muss nicht besonders tief graben, um zu sehen wie gut die einzelnen Gruppierungen untereinander vernetzt sind. Gerade in der Schweiz finden regelmässig Konzerte statt, die von hunderten Neonazis aus ganz Europa besucht werden. An diesen Veranstaltungen geht es nicht in erster Linie um Musik. Wie die schwedischen Nazi-Skins in meinem Film sagen: «Konzerte sind 50 Prozent Politik und 50 Prozent Musik. Denn wir sind dabei, eine neue Generation von Kämpfern heranzuziehen.»

sobli: Sie wirken etwas müde.

Schweizer: Wirklich? Ja, vielleicht bin ichs. Ich habe diesen Film gemacht, um etwas über die heutige Welt zu verstehen. Aber für jemanden wie mich ist es sehr hart, Filme zu drehen ohne jegliches Mitgefühl für die Protagonisten. Deshalb freue ich mich wie ein Kind auf mein nächstes Projekt. Es wird ein Film über die Ureinwohner Französisch Guayanas. Ein Märchen im Regenwald.

interview sabine eva wittwer

«Ich möchte verstehen» Daniel Schweizer, hier vor dem Kulturzentrum Artamis in seiner Heimatstadt Genf, gehört zu den renommiertesten Dokumentarfilmern des Landes. Nach «Skin or Die» (1998) und «Skinhead Attitude» (2003) schliesst der 47-jährige Regisseur mit «White Terror» seine Trilogie über die Hintergründe der Skinhead- und Neonazi-Bewegungen ab

unheimliche welt

Ku-Klux-Klan und Hitlergruss erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Und Extremistenführer sehen plötzlich aus wie Jungmanager