«Ich habe die Waffe beschafft und ausprobiert, bin aber nicht der Täter»

Aargauer Zeitung: Mordprozess · Nach dem ersten Verhandlungstag liegt beim Tötungsdelikt von Gränichen noch vieles im Dunkeln

Als sich die Türe beim Gebäude der Mobilen Einsatzpolizei in Schafisheim am Morgen öffnete, war es draussen noch finster. Rund elf Stunden später, als Gerichtspräsident Thomas Müller den ersten Verhandlungstag im Mordprozess von Gränichen schloss, war es schon wieder dunkel. Dies ist durchaus sinnbildlich für den Prozessverlauf: Nach dem ersten Tag liegt weiterhin vieles im Dunkeln, obwohl das Bezirksgericht Aarau im hell erleuchteten Verhandlungssaal mit mehr als einem Dutzend Zeugen und Auskunftspersonen versuchte, für Erhellung zu sorgen.

Erst eine Version des Tathergangs

Insbesondere ist weiterhin unklar, wer am 7. Oktober 2012 die tödlichen Schüsse auf David M. abgegeben hat. Zeljko J., von der Staatsanwaltschaft des Mordes beschuldigt, blieb bei seiner bisherigen Version, er habe nur die Tatwaffe beschafft. Das Problem der Staatsanwaltschaft: Genau diese Waffe, eine serbische Pistole des Typs Zastava, ist verschwunden. Immerhin: Auf der Jacke von Zeljko J. wurden Schmauchspuren gefunden, also Rückstände, die beim Abfeuern einer Pistole entstehen. Doch auch dafür hatte der Angeklagte eine Erklärung: Er habe die Waffe im Auftrag von Daniel G. in Bosnien organisiert, ihm dann die Pistole übergeben und sie zusammen mit G. in dessen Werkstatt getestet. Offenbar gab es Probleme mit dem Schalldämpfer, der sich bei der Schussabgabe löste. Als dieser endlich hielt, habe Daniel G. ein paar Probeschüsse in die Luft, und er selber einige in einen Spankübel abgegeben – daher die Spuren, sagte Zeljko J.

Angeklagter belastet Kollegen

Zuvor machte der bosnische Serbe zwei brisante Aussagen, die seinen Kollegen schwer belasten. Einerseits habe Daniel G. ihn aufgefordert, ihm mit der Waffe, die neben dem toten David M. am Boden lag, in die Beine zu schiessen. Damit wollte G. laut Zeljko J. den Eindruck erwecken, er sei angegriffen worden. Der Bosnier weigerte sich aber – und auch eine zweite Idee von Daniel G. setzte er nicht um. Dieser habe vorgeschlagen, die Leiche in einen Transporter zu ziehen und damit ins benachbarte Rütihof zu fahren.

Nach der knapp einstündigen Befragung von Zeljko J. gab Gerichtspräsident Müller offen zu, das Gericht sei ob dessen zahlreichen, vielfältigen Aussagen etwas überfordert. Er kündigte an, heute werde häufiger der Übersetzer beigezogen – damit sollen Fragen und Antworten klarer werden.

Frau des Opfers hatte Affären

Die genauen Tatumstände wurden gestern also nicht klar – dies auch, weil Daniel G. noch nicht zur Sache befragt werden konnte. Zur Person musste der zweite Angeklagte aber schon Fragen beantworten. G. bezeichnete sich selber als Einzelgänger, er sagte: «Meine Zukunft steht in den Sternen.» Daniel G. lebt getrennt von seiner Frau, dafür zusammen mit Nadja M, die nach dem Tod von David M. seit gut zwei Jahren Witwe ist. Auch sie gab vor Gericht Auskunft und bestätigte, sie übernachte seit August regelmässig bei Daniel G. Sie räumte auch ein, während der Ehe mit David M. habe sie mehrere Affären gehabt. Zudem sagte Nadja M., dass sie Daniel G. nicht zutrauen würde, ihren Mann umzubringen. «Ich könnte mir höchstens vorstellen, dass er dies in Notwehr tut.» Auch von einem Mordauftrag an Zeljko J. weiss sie nichts.

Offensichtlich war die Ehe der beiden völlig zerrüttet – dies zeigte sich bei der Befragung der Eltern des Opfers. Davids Mutter sagte: «Das war keine Ehe, was sie geführt haben, da hat nichts gestimmt. Sie suchte nur jemanden, der für sie zahlt.»

Vorwürfe vom trauernden Vater

Davids Vater, der die zwei Angeklagten hasserfüllt anstarrte, machte Nadja M. schwere Vorwürfe. Sie habe David die Kinder völlig entzogen – dies habe ihn todtraurig und verzweifelt gemacht. «Er durfte die Kinder oft monatelang nicht sehen, wir als Grosseltern haben den jüngeren Sohn überhaupt nie gesehen.» Der Vater findet, Nadja M. sei berechnend gewesen, sein Sohn ein liebenswerter «Tscholi», der alles machte, was sie wollte.

Ganz anders sieht dies der Vater von Nadja M., dem einst die Firma gehörte, die Daniel G. im Jahr 2007 übernahm. Seine Tochter habe es nicht zugelassen, dass David M. mit den Kindern alleine war. Dieser sei einmal eingeschlafen, «dann fiel der Kleine zu Boden».

Weiter sagte Nadja M.s Vater, David sei einerseits hilfsbereit und nett, andererseits aber jähzornig gewesen. Als er von den Todesschüssen gehört habe, sei er deshalb zuerst davon ausgegangen, dass David M. der Täter sei und Daniel G. erschossen habe. Dass diese Version falsch ist, steht seit über zwei Jahren fest – bis morgen Donnerstagabend soll nun geklärt werden, wer David M. tatsächlich umgebracht hat.

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Der Auftraggeber

Daniel G. ist Mitangeklagter und war als Nebenbuhler des Opfers der mutmassliche Auftraggeber der Tat. Die Staatsanwaltschaft stellt den Antrag, ihn der vorsätzlichen Tötung schuldig zu sprechen. Er sei mit einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren zu bestrafen. Daniel G. bestreitet die Tat.

Der Täter

Zeljko J. ist der Hauptangeklagte. Er soll David M. in dessen Garage erschossen und gemäss Anklageschrift im Auftrag von Daniel G. gehandelt haben. Auch er bestreitet die Tat. Zeljko J. ist vorbestraft. Ihm droht eine Verur-teilung wegen Mordes und sogar die Verwahrung.

Das Opfer

David M. wurde mit zwei Schüssen in den Rumpf getötet. Er verstarb noch am Tatort. Nachdem David M. von seiner Ehefrau Nadja M. verlassen worden war, setzte er sie und Daniel G. offenbar massiv unter Druck. Der Garagist war früher Mitglied der gewalttätigen rechtsextremen Vereinigung «Blood an Honour».

Die Witwe

Nadja M. ist die Witwe von Daniel M. Sie lebte getrennt von ihm und pflegte eine Beziehung zu Daniel G., dem mutmasslichen Auftraggeber der Tat. Laut Anklage wurde das Opfer unter dem Vorwand zum Tatort gelockt, Nadja M. wolle eine Aussprache. Sie erschien aber nicht. Stattdessen Zeljko J. mit einer Waffe.

Gerichtspräsident

Richterstuhl statt Ruhestand

Eigentlich ist Thomas Müller seit diesem Frühling pensioniert. Weshalb leitet Müller, der zuvor 27 Jahre lang Gerichtspräsident am Bezirks- gericht Aarau war, nun den Mordprozess von Gränichen? «Ich bin seit Mitte August als stellvertretender Gerichtspräsident in Aarau und Kulm tätig, weil zwei Kolleginnen im Mutterschaftsurlaub sind», sagt Müller. «Ich hatte gehofft, dass ich diese Verhandlung noch in meiner regulären Amtszeit durchführen könnte.» Tatsächlich war offenbar vorgesehen, den Prozess im März durchzuführen. Dies sagte gestern zumindest ein Psychologe, bei dem die Eltern des Opfers von Gränichen in Behandlung waren.

Thomas Müller hat nicht nur jahrelange Erfahrung als Gerichtspräsident, er kennt auch die Situation, dass ein Prozess grosses Medieninteresse auslöst. National ins Scheinwerferlicht kam das Bezirksgericht Aarau unter seiner Leitung im Jahr 2009 beim Fall Nicky Hoheisel, der vor dem Club Kettenbrücke attackiert wurde und später an seinen Verletzungen starb.