Basler Zeitung: Seine Wahl in die Walliser Regierung habe selbst Blocher ins Grübeln gebracht, sagt Oskar Freysinger
BaZ:
Herr Freysinger, eine Zeitung hat geschrieben, dass die Walliser Fahne über dem Walliser Regierungsgebäude in Sitten wie ein alter Lappen aussieht.
Oskar Freysinger:
(Lacht.) Das ist mir bisher nicht aufgefallen.
Stört Sie als Patriot die armselige Beflaggung nicht ein wenig?
Wieso? Sie zeigt doch eindrücklich, dass die Witterung im Wallis härter ist als in anderen Regionen. Und dass wir im Sturm stehen, aber nicht so schnell umfallen. Die zerfledderte Flagge ist dem Sinne nach ein gutes Symbol für den Walliser Charakter.
Will man Besuchern so zeigen, dass man auf den Finanzausgleich angewiesen ist?
Dafür haben wir bessere Argumente. Das Wallis ist eine Randregion und hat nicht das Wirtschafts- und Finanzpotenzial eines Kantons Zürich. Wir versuchen uns wirtschaftlich zu verbessern. Aber das ist nicht so einfach. Wir haben sehr wenige Grossfirmen, dafür sehr viele kleine und dynamische Unternehmen. Wir müssen die Lebensqualität im Wallis verstärkt als Trumpf ausspielen. Es gibt immer mehr Menschen, die im Wallis dauerhaft leben wollen. Vorläufig sind es vor allem Rentner. Und das ist ein Problem. Wir werden langsam zum Florida der Schweiz. Viele Pensionäre aus Genf und der Waadt verbringen im Wallis ihren Lebensabend, weil die Lebensqualität hoch, die Lebenserhaltungskosten tiefer sind und weil sie von den sozialen Problemen in Städten wie Genf die Nase voll haben. Der Sicherheitsfaktor spielt auch eine grosse Rolle. Wir haben die tiefste Kriminalitätsrate der Schweiz.
Sie sind vor knapp einem Jahr als Staatsrat angetreten mit dem Anspruch, in Sitten aufzuräumen.
Ich habe nie von Aufräumen geredet. Wir wollten in erster Linie die seit über einem Jahrhundert bestehende absolute Mehrheit der CVP im Parlament brechen. Das ist uns gelungen. Und wir haben dabei auch einen Sitz in der Kantonsregierung erringen können. Als Mitglied des Walliser Staatsrates halte mich an die Kollegialitätsregel. Ich habe noch nie einen Kollegen kritisiert. Und ich trage die Entscheide des Staatsrates mit. Das ist hin und wieder nicht sehr einfach. Besonders, wenn es um Budgeteinschränkungen geht.
Bundesrat Ueli Maurer hat Bundesrat Burkhalter wegen dessen Bemühungen in der Ukraine-Krise scharf kritisiert. Was sagen Sie dazu?
Das soll Ueli Maurer selber beantworten. Ich weiss nicht gut genug, was da geschehen ist.
Lehnt sich Burkhalter in der Ukraine zu sehr aus dem Fenster?
Anstatt sich neutral zu verhalten, hat der Bundespräsident ein merkwürdiges Konstrukt präsentiert: Man trägt die Sanktionen der EU zwar nicht mit, will aber verhindern, dass die Schweiz als Plattform zur Umgehung der Sanktionen dient. Typisch Schweiz. Burkhalter verhält sich sonst im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Micheline Calmy-Rey eher zurückhaltend. Sie hat mit ihrer «aktiven Neutralität» der Schweiz sehr geschadet. Wegen ihrer Politik werden wir heute immer stärker dem Nato-Lager zugerechnet. Dadurch haben wir die Neutralität teilweise verspielt. Burkhalter ist zwar farblos, aber er richtet weniger Schaden an.
Reden wir über Ihr Mandat als Staatsrat. Ihr Wahlprogramm umfasste einen Zehn-Punkte-Plan. Konnten Sie davon schon etwas umsetzen?
Was ich im Departement bewirken konnte, habe ich getan. Aber ich hatte zu Beginn auch eine Lernphase, stand unter Dauerangriff und musste meine Mannschaft zusammenstellen. Drei Monate nach meinem Amtsantritt wurde der «Plan Gitan» (Zigeuner-Konzept, die Red.) vorgelegt. Wir haben ein Protokoll für das Verfahren entwickelt, wenn Fahrende ein Grundstück illegal besetzen. Das Problem war früher, dass man nicht wusste, wer in einem solchen Fall verantwortlich ist. Das haben wir jetzt geregelt. Das Verfahren verläuft nun nach einem abgestuften Sanktionskatalog. Wir konfiszieren zum Beispiel die zwei schönsten Mercedes der Fahrenden. Sie bekommen sie zurück, wenn sie den angerichteten Schaden bezahlt haben. Die härteste Massnahme ist die Ausweisung.
Als Bildungsdirektor haben Sie einen drastischen Stellenabbau im Schulwesen angekündigt – obwohl Sie eigentlich mehr Stellen schaffen wollten?
Das hat mir das Parlament aufgebrummt. Es war für mich der bisher schmerzvollste Entscheid seit dem Amtsantritt. Ich hoffe, dass es am Ende nicht ganz so schlimm herauskommt. Insgesamt trifft es zwischen 90 und 95 Vollzeitstellen. Zirka 60 davon sind natürliche Abgänge, also Leute, die in Rente gehen oder den Job wechseln. Es geht also um 30 bis 35 Stellen. Wie viele dieser Stellen wirklich abgebaut werden, wissen wir erst im August, wenn wir die genauen Schülerzahlen kennen.
In der Deutschschweiz hat man den Eindruck, das Wallis werde von einer Chaostruppe regiert. Kürzlich musste sich die gesamte Regierung wegen Skandalen erklären.
Bei diesen Skandalen handelt es sich vorwiegend um Altlasten, wie zum Beispiel die Quecksilber-Geschichte in Visp. Wir wurden von der Vergangenheit eingeholt und müssen das jetzt verwalten.
Die Steuerhinterziehungs-Geschichte von Weinhändler Giroud ist aber nicht so alt.
Die ist auch schon einige Jahre alt. Bei der Geschichte um Weinhändler Giroud sind zwei Kommissionen, die Geschäftsprüfungskommission und die Rechtskommission des Walliser Grossrates, mit Untersuchungen beauftragt. Die Ergebnisse werden im Juni bekannt gegeben. Da die CVP keine Mehrheit mehr hat, gehe ich davon aus, dass die Untersuchung korrekt ablaufen wird. Dieser Fall wurde meines Erachtens von den Medien stark aufgebauscht.
Es gibt nachweislich Verbindungen zwischen Finanzdirektor Maurice Tornay und Dominique Giroud.
Wir haben in der Walliser Regierung gegenwärtig keinen Anhaltspunkt, dass Staatsrat Maurice Tornay als amtierender Finanzminister in irgendeiner Weise in die Steueraffäre von Weinhändler Giroud verwickelt war. Wir haben dem Kollegen Tornay deshalb unser Vertrauen ausgesprochen. Er hat uns versichert, er trete sofort zurück, wenn die Untersuchungen des Parlamentes Beweise zutage fördern würden, dass er sich in Zusammenhang mit der Affäre Giroud falsch verhalten habe.
Sie selber sollen Giroud nahestehen. Laut Medienberichten wollten Sie in dessen Kellerei ein Meeting mit dem holländischen Rechtsaussen Geert Wilders durchführen.
Weil mir für den Auftritt von Geert Wilders im Wallis niemand einen Saal zur Verfügung stellen wollte. Giroud war der Einzige, der mir ein Lokal anbot. Wilders kam dann doch nicht ins Wallis. Ich habe ihn in Den Haag getroffen.
Giroud wird den fundamentalistischen Katholiken um die Priesterbruderschaft Pius X. in Ecône zugerechnet. Warum sympathisieren Sie mit diesen Kreisen?
Ich habe mit den Anhängern von Ecône nichts zu tun. Die SVP Wallis hat aber manche Wähler aus katholisch-konservativen Kreisen. Diese haben mich von allem Anfang an unterstützt, vor allem weil ich beispielsweise in Abtreibungsfragen die gleiche Position wie sie vertrat und weil ich für christliche Grundwerte eintrete, auch wenn ich nicht jeden Sonntag zur Messe gehe. Für mich ist eine Gesellschaft ohne Werte schlimmer als eine, die noch gewisse Grundwerte aufrechterhält.
Marine Le Pen, die Chefin des rechtsextremen Front National (FN), sagte kürzlich, ihre Partei sei Ihnen wohl zu zahm.
Ich habe den Kontakt zum FN nie gesucht. Eine Zusammenarbeit macht nur Sinn, wenn man in etwa das gleiche Gesellschaftsmodell hat. Ich bin ein föderalistisch denkender, wertkonservativer und liberaler Mensch. Marine Le Pen ist jedoch eine Jakobinerin: zentralistisch, etatistisch und bürokratisch. Berührungspunkte haben wir bloss bei der Einwanderungspolitik: Wir sagen beide, dass diese gegenwärtig in Europa schlecht funktioniert.
Wann finden Sie überhaupt Zeit zum Regieren? Sie bekleiden viele Ämter, sind SVP-Vizepräsident und Nationalrat und deshalb sicher viel unterwegs.
Die Sitzungen des SVP-Vorstandes finden in der Regel vor den Delegiertenversammlungen oder während der Nationalratssession statt. Ich muss dafür nicht extra in die Deutschschweiz reisen. Der Zeitaufwand ist gering.
Zu reden gibt vor allem Ihr Doppelmandat als Staatsrat und Nationalrat.
Ich habe immer gesagt, dass ich bis zum Ende dieser Legislatur im Nationalrat bleibe. Danach müssen im Wallis andere Leute dieses Mandat übernehmen. Im nationalen Parlament sind viele Themen aktuell, die meinen Kanton betreffen. Es ist also für das Wallis von Vorteil, wenn ich dort noch eine Zeit lang Einfluss nehmen kann. Ich habe meine Abwesenheitsrate inzwischen auch stark reduzieren können.
Ihre Kritiker sagen, Sie seien zwar einer der wenigen SVP-Politiker, die selbstständig denken, aber leider immer das Falsche.
Die Kritiker von links müssen ja wohl sagen, dass ich falsch denke. Ich sehe mich selber als Freidenker und unterzeichne selbst gewisse Vorstösse der SP. Wahrscheinlich bin ich unterschreibungsfreudiger als die meisten SP-Politiker, denn ich habe keine Berührungsängste mit politischen Gegnern.
Aber sonst finden Sie die Linken humorlos, konnte man einmal lesen.
Ja. Wenn man jeden Morgen beim Aufstehen glaubt, man müsse die Welt retten, dann vergeht einem das Lachen.
Und wie ist Ihr Verhältnis zur SVP?
Die SVP hat mit mir das gleiche Problem wie meine Gegner: Ich bin für sie nicht fassbar. Eine Person mit meinem Profil wird normalerweise nicht Staatsrat. Mein gesamter Werdegang als Politiker entspricht nicht dem üblichen Schema. Und das verunsichert viele Leute – auch bei der SVP. Sie verstehen manchmal nicht, wieso ich dies oder das tue. Weil ich in kein Schema passe, musste ich auch parteiintern einiges einstecken.
Hat Ihnen Christoph Blocher ins Gewissen geredet?
Wir sind ein paarmal aneinandergeraten – zum Beispiel bei der Abzockerinitiative. Das waren harte Auseinandersetzungen, die aber stets in gegenseitigem Respekt ausgetragen wurden. Er hat mir die Wahl in die Walliser Regierung nicht zugetraut. Und dann gelang mir in einem für die SVP schwierigen Kanton, was Spitzenkandidaten der SVP in anderen Kantonen misslungen war. Das brachte selbst Blocher ins Grübeln. Er hat mir nach der Wahl gesagt, das sei halt das Wallis. Dort funktioniere alles ein bisschen anders.
Warum ist die Walliser SVP immer noch eine One-Man-Show?
Das war früher einmal so, inzwischen aber nicht mehr. Nach meiner Wahl in den Staatsrat waren viele in der Walliser SVP ein wenig orientierungslos. Das ist auch ein Grund, weshalb ich mein Mandat im Nationalrat beibehalten habe. Die Partei bekommt dadurch Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen. Inzwischen haben wir Persönlichkeiten im Ober- und im Unterwallis, die sich durchsetzen werden. Die heutige SVP Wallis hat nichts mehr zu tun mit der Jekami-Truppe der ersten Jahre. Wir haben stark an Substanz gewonnen. Da das Wallis bei den Nationalratswahlen 2015 auf einen zusätzlichen Sitz Anrecht hat, rechnen wir mit einem zweiten SVP-Mandat. Die neuen SVP-Vertreter in Bern haben es dann in den Händen. Sie können die neuen Identifikationsfiguren der Walliser SVP werden.
Sie selber haben vor allem mit Provokationen Karriere gemacht …
… nicht nur. Die Provokationen waren der sichtbare Teil meiner Politik. Ohne intensive Grundlagenarbeit kann man aber keine Partei gründen und auf die Siegerstrasse führen. Es sieht so aus, als würde ich alles mit links erledigen und durch ein paar flotte Sprüche die Medien auf Trab halten. Tatsächlich bin ich aber ein Arbeitstier, ein Marathonmann. Provokationen waren hauptsächlich in der Anfangsphase nötig. Das brauche ich heute nicht mehr. Die Medien sind inzwischen mit der Lupe hinter mir her. Was ich sage, wird sofort zum Event. Als Mitglied der Walliser Regierung ist das etwas problematisch, wenn alles akribisch untersucht und laut kommentiert wird. Bei meinen Kollegen ist das selten der Fall.
Provokateur mit verschiedenen Rollen
Ein Mann eckt an. Der Walliser Staatsrat, Nationalrat und SVP-Vizepräsident Oskar Freysinger ist einer der umstrittensten Vertreter seiner Partei. Er eckt mit seinen Provokationen bei Parteikollegen wie politischen Gegnern gleichermassen an. Seit Frühling 2013 leitet der frühere Gymnasiallehrer das Walliser Departement für Bildung und Sicherheit. Das ist eine neue Rolle für den Gründer der Walliser SVP. Der SVP-Politiker ist 54 Jahre alt, verheiratet und Vater von drei Kindern.
hmo