Neue Zürcher Zeitung: Grenzen des Rassismusartikels
Wer öffentlich gegenüber Dritten den Arm zum Hitlergruss erhebt, macht sich nicht in jedem Fall strafbar. Das sagt das Bundesgericht und versucht einmal mehr, dem Rassismusartikel schärfere Konturen zu verleihen.
fon. Lausanne · Die Strafnorm gegen Rassendiskriminierung beschäftigt das Bundesgericht immer wieder. Nachdem die Lausanner Richter vor kurzem bei den Schimpfwörtern eine Grenze gezogen hatten – indem sie auf die Nationalität und Ethnie bezogene Betitelungen (Bsp. «Sauschwabe») als nicht rassendiskriminierend beurteilten, auf die Hautfarbe und Religion abzielende Beschimpfungen (Bsp. «schwarze Sau») dagegen schon (NZZ 22. 2. 14) –, mussten sie sich nun mit dem Hitlergruss auseinandersetzen. Und auch hier lässt das höchste Gericht eine differenzierte Sichtweise walten.
Bekenntnis oder Propaganda
Zu beurteilen war der Fall eines Mannes, der 2010 auf dem Rütli bei einer Feier der Partei national orientierter Schweizer (Pnos) den Hitlergruss gemacht hatte. Die Gebärde, die beim gemeinsamen Aufsagen des Rütlischwurs aus Schillers «Wilhelm Tell» während 20 Sekunden ausgeführt wurde, konnte ausser von den rund 150 Teilnehmern und den Polizeibeamten auch von unbeteiligten Spaziergängern wahrgenommen werden. Das Urner Obergericht sprach den Mann der Rassendiskriminierung schuldig und bestrafte ihn mit Busse und bedingter Geldstrafe.
Das Bundesgericht sieht die Sache anders. Es weist darauf hin, dass der Tatbestand der Rassendiskriminierung nicht schon durch das blosse öffentliche Bekenntnis zum Nationalsozialismus erfüllt wird. Vielmehr müsse der Täter die rassendiskriminierende Ideologie öffentlich «verbreiten», also dafür werben mit dem Ziel, andere Menschen für die geäusserten Gedanken zu gewinnen oder sie in ihrer Überzeugung zu festigen. Daraus folgt: Wer öffentlich unter Gesinnungsgenossen die Hand zum Hitlergruss erhebt, ist vor dem Gesetz kein Rassist, weil er keine Werbung macht. Wird der Gruss an unbeteiligte Dritte gerichtet, muss ebenfalls noch keine Rassendiskriminierung vorliegen, weil der Grüssende möglicherweise nur seine eigene ideologische Haltung darlegen und keine Propaganda betreiben will. Das Bundesgericht ist hier zurückhaltender als die Lehre, die dazu neigt, jeden an unbeteiligte Dritte gerichteten Hitlergruss als strafbares Verhalten anzusehen. – Im Rütli-Fall hatte der betreffende Mann nach Ansicht des Bundesgerichts nicht beabsichtigt, Propaganda zu machen und die vorbeigehenden Spaziergänger vom Nationalsozialismus zu überzeugen, weshalb die Verurteilung aufgehoben wird.
Kein Verbot von Symbolen
Dass Gebärden wie der Hitlergruss, Zeichen wie das Hakenkreuz und andere rechtsextreme Symbole in der Schweiz nicht a priori verboten sind, sorgt auf der politischen Ebene immer wieder für Diskussionen. So hat das Parlament vor einiger Zeit gefordert, der Gebrauch solcher Zeichen sei durch eine neue Strafbestimmung zu untersagen. Dabei zeigte sich aber schnell, dass es kaum gelingt, die Embleme und Symbole hinreichend präzis zu definieren. Wie sollte die Justiz beispielsweise mit dem Zeichen «88», das für «Heil Hitler» steht, oder ähnlichen Symbolen umgehen? Das Vorhaben wurde schliesslich aufgegeben – nicht zuletzt aus Sorge darüber, dass es zu lächerlichen gerichtlichen Auseinandersetzungen kommen würde.